Nun ist es also gelungen, Mario Fehr aus der sozialdemokratischen Partei zu vertreiben. Der Zürcher Regierungsrat geht, weil er das Theater seiner Genossen um die Asylpolitik leid ist. Entzündet hat es sich an Maghrebinern, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, die sich aber der Ausschaffung verweigern:
26 Nordafrikaner insgesamt.
Mario Fehr ist für 19'000 Migranten zuständig.
In den nächsten Wahlen wird der verdiente Sozialdemokrat nach zehn Jahren im Regierungsamt als unabhängiger Kandidat antreten, weil seine Partei ihn nicht mehr auf ihrer Liste portieren will. Beim letzten Urnengang wurde Fehr vom Volk mit dem besten Resultat gewählt. Seine Wiederwahl ist wahrscheinlich.
Ein absurdes Spektakel: Die SPS ekelt einen erfolgreichen Verantwortungsträger aus der Partei. Ohne Not, denn Mario Fehr hat in keiner Weise gegen die Statuten verstossen. Er ist seinen Genossen lediglich nicht mehr genehm, weil er in der Migrationspolitik das Gesetz befolgt: Recht und Ordnung – unter Parteilinken als «Law and Order» verpönt.
Man könnte den Verfemten einen konservativen Sozialdemokraten nennen. Mit seinem konsequenten Rechtsstaats-Denken vertritt er eine Haltung, die der Arbeiterbewegung einst ganz besonders wichtig war – und die der legendäre SP-Bundesrat Willi Ritschard mit folgenden Worten begründete: «Die einfachen Bürger brauchen einen Rechtsstaat, der die Ordnung, für die sie kämpfen, schützt.»
Willi Ritschard war von Beruf Heizungsmonteur, später Gewerkschaftssekretär, dann Solothurner Regierungsrat, schliesslich ebenso brillanter wie beliebter Bundesrat.
Ein Lebenslauf, keine Karriere.
Das aber ist der springende Punkt. Er liefert die Erklärung für viele missliche Vorgänge in der Sozialdemokratie, nicht allein in der Schweiz. Mehr und mehr jugendlich beschwingte Führungsfiguren der Partei sind geprägt von akademischer Kastenkultur: Kreisssaal, Hörsaal, Ratssaal – das Gegenteil der Vita eines Willi Ritschard.
Karriere statt Lebenslauf.
Dieser neuen Generation fehlt die existenzielle Erfahrung der Arbeitswelt. Sozial Schwache stattet sie zwar bereitwillig mit Leistungen des Sozialstaates aus – für Sozialdemokraten ist dies «Business as usual». Doch die kulturelle Verbindung mit den ganz normalen Menschen im ganz normalen Berufsleben fehlt. Auch hier herrscht bei der Linken eine völlige Verkehrung der Verhältnisse: Wir Akademiker-Funktionäre-NGO-Aktivisten oben – ihr abgehängten Arbeitnehmer unten.
Ja, das Linkssein ist zum einfältigen Spiel mit wöchentlich neuen exzessiven Juso-Forderungen verkommen. Das Hauptziel der Sandkasten-Revoluzzer ist die Überwindung des Kapitalismus. Wie einst im Mai 1968: Die Kinder protestieren gegen ihre Eltern, diesmal die rundum verwöhnten Sprösslinge gegen ihre Verwöhner – die ihnen inzwischen auch noch zujubeln.
Auch die Revolution der «Generation Verwöhnt» braucht – getreu nach Marx – ein revolutionäres Subjekt. Der fachlich qualifizierte und täglich tüchtige Werktätige steht für diese Rolle nicht zur Verfügung; er geniesst seinen sozialen Erfolg und begreift sich als Citoyen, nicht als Proletarier; also muss Ersatz her.
Der Migrant.
Ihm widmet sich die Linke hingebungsvoll, wobei sie ihr neu entdecktes Geschichtssubjekt mit der Herablassung von Kolonialherr*innen behandelt: als unmündig und deshalb keiner Forderung auszusetzen, sondern zu behüten vor jeglicher Zumutung des wirklichen Lebens in unserer westlich-kapitalistischen Leistungsgesellschaft – in unserer emanzipatorisch-demokratischen Rechtsordnung.
Der Migrant – Objekt der Begierde einer paternalistischen Elite-Linken.
In einer solchen Parteikultur hat Mario Fehr tatsächlich nichts zu suchen. Denn auch mit der Toleranz ist es vorbei, die der SPS einst eigen war: Vom bürgerlich-konservativen Luzerner Genossen Anton Muheim bis zum international-revolutionär engagierten Genfer Jean Ziegler – man raufte sich, aber man raufte sich zusammen.
Linke Zeiten – vergangene Zeiten.