Fix zur Gesellschaft
Ein Hoch auf zufällige Begegnungen

Wir nehmen unsere Umwelt zu wenig wahr. Viel lieber tippen wir auf dem Handy rum. Unsere Autorin nimmt sich vor, das Smartphone öfters in der Tasche zu lassen.
Publiziert: 15.05.2022 um 12:50 Uhr
Alexandra Fitz

Ich war zu früh. Wie immer, wenn ich mich in einer Gegend nicht auskenne. Ich sass auf einer Bank und wartete auf die S-Bahn. Es war schon fast 23 Uhr, und ich wollte einfach nur nach Hause. Gedankenversunken zog ich das Handy aus der Jackentasche. Ich wollte etwas nachschauen, jemandem zurückschreiben, Mails checken. Einfach was mit dem Handy. Als ich ein paar Mal rumwischte, wurde es plötzlich schwarz. Akku leer.

«Kannst du mir helfen?», riefst du vom Billettautomaten zu mir rüber. Ich ging zu dir. Wir tippten auf dem Automaten rum, irgendwann wussten wir, welches Ticket du brauchst. Du hast dich bedankt und sagtest, du wollest ja ein Ticket haben, weil wenn sie kontrollieren, werden sie sonst ganz böse. «Ja, besser», sagte ich.

Du seist zwar in den 23 Jahren, die du in der Schweiz lebst, nicht einmal kontrolliert worden. Woher kommst du, frage ich. Aus Marokko. Wir sprechen über Marokko. Über das Atlasgebirge. Du sagst, heute sei es in Marokko viel besser als damals. Warum du gekommen bist, frage ich. Zum Arbeiten!

Alleine? Ja ganz alleine. Du hast hier Kollegen gehabt. Dann hast du hier einen Mann kennengelernt. Aus dem Irak. Ihr habt Zwillinge bekommen. Zwei Jungs. Du bist mächtig stolz und erwähnst immer wieder, was für gute Ausbildungen sie gemacht haben und was für gute Jobs sie doch beide haben.

Dann kam die S-Bahn. Wir stiegen gemeinsam ein. Wir haben uns gemeinsam hingesetzt. Du erzählst, dass du dein Leben lang geputzt hast. Dass dein Fuss ganz kaputt ist und du jetzt nicht mehr arbeitest. Wir finden heraus, dass wir jahrelang fast Nachbarn waren und du ein paar Strassen weiter gewohnt hast. Du hast jetzt eine neue Wohnung und erzählst, wie schön sie ist. Offene Küche, direkt bei einem Park.

Ein Sohn kommt häufig zu Besuch. Der andere nicht so. Er hat eine Freundin. So sei das eben, wenn Männer eine Freundin haben. In letzter Sekunde merke ich, dass wir an meiner Station angekommen sind und ich raus muss. «Ich muss aussteigen, Saida!» Ich stürme hinaus, klopfe an die Scheibe, wir winken uns gegenseitig und lachen.

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