Manchmal – oder eigentlich oft – tue ich so, als ob ich jemanden nicht sehe. Dabei sehe ich ihn ganz genau. Ich entschuldige mich nicht bei allen, die sich angesprochen fühlen. Ich werde das nicht ändern. Ich kann aber sagen: Es liegt nicht an diesem Jemand. Also manchmal schon. Es gibt Personen, auf die man per se keine Lust hat. Meistens aber liegt es an mir und meiner fehlenden Lust auf Interaktion.
Vergangene Woche treffe ich an der Haltestelle auf eine Ex-Arbeitsbekannte. Ich seh sie – aber seh sie eben nicht. Es klappt nicht, sie kommt auf mich zu. «Hey, wie gehts?» Ich hasse diese Frage und hasse, dass auch ich oft total banal damit eine Unterhaltung beginne. Will der Frager wirklich wissen, wie es einem geht? Antwortet der Gefragte wirklich ehrlich? Sagt er, dass er sich überlegt, seinen Job zu wechseln (betrifft nicht mich, Chef!), dass er genervt ist, weil der Partner es einfach nicht hinkriegt, den Müll korrekt zu trennen (betrifft schon ein bisschen dich, Freund!), oder dass ihn diese Konversation gerade anwidert?
Wir reden Belangloses. Als wir ins Tram einsteigen, passiert es schon bald: Betretene Stille kehrt ein. Keiner weiss, was er noch fragen oder sagen soll, weil es da einfach nichts gibt. Diese Situation ist mir derart unangenehm, dass ich bei der nächsten Haltestelle aussteige und sage, ich müsse noch einkaufen gehen. Als ich draussen an der frischen Luft bin, fühle ich mich frei. Ich bin frei.
Ein Arbeitskollege erzählte mir zufällig auch vergangene Woche, dass er an einer Hochzeit war und dermassen froh, als endlich die Tanzfläche eröffnet wurde und er nicht mehr smalltalken musste. «Eine beiläufige Konversation ohne Tiefgang», so wird Smalltalk übrigens definiert. Bähm! Da hast du es, du kleines Gespräch, du! Viel bist du nicht wert.
Wiederum vergangene Woche hörte ich noch die bessere Beschreibung des kleinen Gesprächs. Ein Autor, den ich sehr schätze und dessen Texte Sie auch als Kolumne auf Blick.ch lesen können, beschreibt in seinem Werk «Meyers kleines Taschenlexikon» 150 Stichwörter aus dem Alltag – und gibt ihnen ganz eigene Bedeutungen. So auch dem Begriff «Tod».
Seine Definition: «Ereignis, das einem endlich Ruhe vor Smalltalk verschafft.»