Fix zur Gesellschaft
Der Kettenmann

Unsere Autorin hat den Eindruck, dass die Leute in der Corona-Zeit einiges netter zueinander sind. Dennoch war sie überrascht von dem fremden Mann, der ihr Velo reparierte.
Publiziert: 25.04.2020 um 14:16 Uhr
|
Aktualisiert: 08.05.2020 um 17:05 Uhr
Alexandra Fitz, stv. Leiterin SonntagsBlick Magazin
Foto: Thomas Meier
Alexandra Fitz

Wir fuhren mit den Velos aus der Stadt raus, meine Freundin und ich brauchten mal eine Pause. Wir starteten um 14 Uhr und kehrten gegen Mitternacht nach Hause. Wir hatten eine verdammt gute Zeit. Es war einer meiner schönsten Tage, einer meiner schönsten Abende und eine meiner schönsten Nächte in den letzten Wochen.

Mein Fahrrad liess ich nachts vor dem Haus meiner Freundin stehen. Als ich es ein paar Tage später holen wollte, ist die Kette rausgesprungen. Wir (die Freundin vom Haus und ich) sind spät dran. Hektisch fummle ich an der Kette rum. Dann sie. Sie dreht den Drahtesel um. Ihre Finger werden immer dunkler. Bald sind sie schwarz und die Fahrradkette weit davon entfernt, am richtigen Ort zu sein. Da sind wir also: zwei Frauen mit schmutzigen Händen. Als ihr Nachbar in Rennradmontur herradelt, wende ich mich an ihn: «Äh, Entschuldigung, könnten Sie nicht kurz schauen, ob die Kette komplett hin ist oder ob wir es einfach nicht checken?» Der Mann, ganz in Schwarz gekleidet, bewegt sich mit diesen Noppen-Stöckel-Klick-Velo-Schuhen in unsere Richtung. «Ich will aber nicht, dass Sie schwarze Hände bekommen», sag ich noch.

Doch da ist der Nachbar meiner Freundin schon mitten in der Reparatur. Er dreht und zieht, hebelt sogar das Rad aus. «Hast du noch kurz Zeit, dann hol ich oben eine Spitzzange?» Hallo! Ich versaue ihm den Feierabend, und er fragt mich, ob ich Zeit habe? Als er nach oben geht, höre ich ein vertrautes Geräusch. Glauben Sie es oder glauben Sie es nicht, aber als ich auf das Dach des Hauses meiner Freundin schaue, sitzen da zwei Türkentauben. Als ich ihr Du-duu-du höre, weiss ich: Alles wird gut.

Wir werkeln an meinem Velo rum. Also ich halte – er werkelt und sagt ständig: «Pass auf! Tu dir nicht weh!» Ich versuche Abstand zu halten, aber beim Reparieren eines Velos ist das nicht so einfach. Wir sind uns so nah, wie ich es wohl in der letzten Zeit kaum jemandem war. Denkt er auch über Social Distancing nach? Dieser Mann, der einer fremden Frau hilft, das Fahrrad zu flicken. Zwischendurch bietet er mir sein Velo an, sodass ich wenigstens heimradeln könne. Meines soll ich hier lassen und es dann zum Mech um die Ecke bringen. Das kann ich nicht annehmen. Wir verabschieden uns, und er sagt: «Komm gut heim und heb dr Sorg!» Dann tappt mein Alltagsheld mit seinen Noppen-Stöckel-Klick-Velo-Schuhen die Treppe hoch. Sie fragen sich, ob wir es geschafft haben, das Velo zu reparieren?

Nein, aber das ist ja auch total egal.

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?