Fix zur Gesellschaft
Danke für die wunderbare Zugfahrt!

Eine Frau im Zug liest die Kolumne unserer Autorin. Das ist ihr unangenehm. Doch dann entsteht ein spannendes Gespräch und eine unvergessliche Zugfahrt – inklusive Rat fürs Leben.
Publiziert: 21.09.2019 um 14:44 Uhr
Alexandra Fitz, stv. Leiterin SonntagsBlick Magazin
Foto: Thomas Meier
Alexandra Fitz

«Nicht dass Sie in der nächsten Kolumne über mich schreiben», sagten Sie – und lachten. Dass ich das nicht ­einhalten kann, wusste ich in den ersten Sekunden unserer Begegnung. Zu interessant ist unsere Unterhaltung, zu ­spannend Ihr ­Leben, zu liebenswürdig Ihre Person. Also ­lassen Sie mich ­die Geschichte unserer Zugfahrt erzählen:

Sie steigen in Bern ein und setzen sich neben mich. Ihre Begleitung nimmt vis-à-vis Platz. Sie lesen den SonntagsBlick, der vor mir auf der Ablage liegt. Als Sie anfangen, meine ­Kolumne im Magazin zu lesen, wird mir bang. Sie sitzen so nah und haben meine Zeilen vor sich. Ein Kloss bildet sich in meinem Hals, ich fange an zu schwitzen. Was, wenn Sie einfach weiterblättern? Sie tuns nicht. Und so gebe ich mich, als Sie fertig gelesen haben, zu erkennen (fiese Zungen sagen, ich hätte das aus Eitelkeit getan – okay, vielleicht ein bisschen): «Bevor Sie gleich losschimpfen, das ­ bin ich!», sage ich. Sie schauen mich überrascht an. Dann mein Bild, und wieder mich. Wir lachen beide.

Bald sprechen wir über Ihren bevorstehenden Ausflug. Sie haben Geburtstag und wollen mit der Zahnradbahn von Montreux aus auf die Rochers de Naye. Sie erzählen mir, wie schön es da oben ist. Und dass Sie beim Geburtstag ­Ihres Partners auf dem Schilthorn Pech hatten. Komplett in Nebel gehüllt war der Gipfel. Ich frage mich, wie alt Sie wohl sind. Ihr Haar ist voll, hat das schönste Grau aus der Farbpalette. Sie tragen Make-up und haben so viel Charme. Sie lernten nach 50 noch den Umgang mit Computern, fingen dann an zu malen. Jetzt wollen Sie sich ein Keyboard kaufen. «Ich muss immer was Neues machen!»

Sie sind 86
– und ich falle fast vom Zugsitz. Seit vier Jahren sind Sie mit Ihrem Jugendfreund zusammen. Sie sind im gleichen Dorf aufgewachsen, Ihre Leben verliefen aber verschieden. Jetzt sitzt er Ihnen gegenüber, strahlt Sie an. Sie sind ein Glücksfall für ihn. Und er für Sie. Sie sagen zwar: «Manchmal muss ich ihn stupfen und sagen: Sag doch auch mal was!» Wir sind uns einig, dass das in einer Beziehung oft so ist. Ich sage: «Aber deswegen passen Sie vielleicht so gut zusammen.» Und dann geben Sie mir einen Rat mit auf den Weg, den ich mir merke. «Wissen Sie, wir Frauen können sehr viel. Aber Männer ändern, das können wir nicht!»

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