Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Stromlücken? Erinnerungslücken!

Die SVP geht mit der Energiepolitik hart ins Gericht. Doch wäre die Schweiz heute besser gewappnet, wäre die Energiepolitik die letzten Jahre von der SVP gestaltet worden? Die Frage lässt sich mit Nein beantworten.
Publiziert: 07.08.2022 um 00:41 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2022 um 13:34 Uhr
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Thomas Meier
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Im August 2015 forderte der damalige SVP-Präsident Toni Brunner in einem Interview, Simonetta Sommaruga solle als Asylministerin abtreten und durch den Berner SVP-Mann Adrian Amstutz ersetzt werden. Im August 2022 fordert SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger», Sommaruga solle als Energieministerin abtreten und durch SVP-Mann Ueli Maurer ersetzt werden.

Frau Sommaruga löst bei ihren Gegnern Reflexe aus, die über die üblichen parteipolitischen Befindlichkeiten hinausgehen. Was immer die SP-Bundesrätin gerade tut oder lässt, die SVP will sie durch einen Mann aus den eigenen Reihen austauschen.

Worin sich 2022 von 2015 unterscheidet: Anders als von Toni Brunner behauptet, versank die Schweiz vor sieben Jahren keineswegs im «Asylchaos» – die absehbare Knappheit von Strom und Gas hingegen bedeutet für unser Land effektiv eine historische Herausforderung. Der Schweiz droht im Winter eine Energiekrise, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat.

Stellt sich die Frage: Wäre die Schweiz heute besser gewappnet, wäre die Energiepolitik die letzten Jahre von der SVP gestaltet worden?

Die Frage lässt sich einfacher beantworten, als viele vielleicht denken. Denn in Tat und Wahrheit hat die SVP die Energiepolitik in jüngster Zeit entscheidend geprägt – dafür braucht es gar keinen SVP-General im Bundeshaus. Fast die Hälfte aller Energie in der Schweiz wird für Gebäude verbraucht, insbesondere für Heizen und Warmwasser. Und die politische Verantwortung dafür liegt bei den Kantonen.

2018 beschlossen die Parlamente von Solothurn und Bern, den – eher gemächlichen – Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen; 2019 tat der Aargauer Grosse Rat das Gleiche. Neubauten sollten künftig mit einer Solaranlage ausgerüstet sein. Statt neuer Öl- und Gasheizungen sollten Wärmepumpen oder Pelletöfen installiert werden. Natürlich ging es damals in erster Linie um den Klimaschutz – aber eben nicht nur. Wie formulierte es die grüne Aargauer Grossrätin Gertrud Häseli aus dem Fricktal während der Ratsdebatte im September 2019 so schön? «Möchtest du das Gas von Putin oder das Holz vom Landolt, Gsell oder Öschger?»

Die SVP liess sich von solchen Reden nicht beeindrucken. In Solothurn, in Bern und im Aargau ergriff sie das Referendum gegen das kantonale Energiegesetz – und gewann die Volksabstimmungen. «Damit wird kein einziges Problem gelöst sein», argumentierte der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark im Abstimmungskampf. «Dafür aber werden hohe Kosten und unnötige Aufwände verursacht.»

Der Fairness halber sei gesagt: Die SVP stand mit ihrem Kampf dafür, dass die Schweiz weiterhin möglichst mit Öl und Gas beheizt wird, keineswegs allein. In Solothurn und Bern gab es tatkräftige Unterstützung von der FDP und vom Hauseigentümerverband. So engagierte sich in Bern selbst die als progressiv geltende freisinnige Nationalrätin Christa Markwalder für ein Nein zum kantonalen Ener-giegesetz, also letztlich für mehr Abhängigkeit von russischem Gas. Eben jene Christa Markwalder, die sich jetzt auf Social Media als entschiedene Gegnerin von Wladimir Putin präsentiert.

Politik ist ein vergessliches Geschäft. Wahrscheinlich war sich SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi diese Woche gar nicht bewusst, dass er mit seiner Idee, Simonetta Sommaruga durch einen SVP-Vertreter zu ersetzen, lediglich eine alte Idee aufwärmte. Gut erinnern sollten sich aber all die Menschen im Aargau, in Bern und in Solothurn – nämlich daran, wer wirklich die Verantwortung dafür trägt, wenn sie im Winter frieren müssen.

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