Ich wusste gar nicht, dass so viele Männer von einer Midlife-Crisis betroffen sind. Anders kann ich mir die imposante Menge an schweren Töffs jedenfalls nicht erklären, die letzten Sonntag über den Oberalppass von Sedrun GR nach Andermatt UR kurvten.
Zwischen all dem glänzenden Chromstahl drängten sich Horden von Velofahrern. Sie fluchten über die Töfffahrer. Die Töfffahrer fluchten über die Autofahrer, die Autofahrer wiederum über die Velofahrer. Auf den Wegen abseits des Asphalts kämpften derweil Wanderer und Mountainbiker um ihr Terrain.
Die Nerven lagen blank an diesem ersten Schweizer Ferienwochenende. Es herrscht Dichtestress in den Alpen. Viele redeten vom Sommer im Corona-Jahr, an dem sich die Leute im eigenen Land auf den Füssen stehen würden, weil sie nicht wie sonst ans Mittelmeer fahren. Jetzt ist er da. Unser Kollege Tobias Marti hat sich im Berner Oberland in das Getümmel gestürzt. Und eine Durchmischung von Besuchern vorgefunden, wie es sie in den Bergen wohl noch nie gegeben hat.
Was mir letzten Sonntag ebenfalls auffiel: Von einer Covid-Mindestdistanz war wenig zu erkennen. Fröhliche Senioren, schwitzende Biker und ausgepowerte Gümmeler sassen in den Bergbeizen beinahe aufeinander.
Lieber drischt man jetzt auf die Jungen ein. Ihr Vergehen: Sie besuchen Bars und Clubs, die Politiker aus Angst vor der eigenen Courage nicht schliessen wollen. Dass sich manche ihre Corona-Infektion in Serbien geholt haben, passt noch besser zu den alten Denkmustern – die Schweizer Sehnsucht nach dem Sonderfall lebt: Wir doch nicht! Die Gefahr kommt von aussen, aus China, oder schlimmer noch: vom Balkan!
Nach der Passüberquerung wollten wir in der Lobby des Chedi Andermatt ein wenig Raum und Ruhe finden. Doch selbst in Samih Sawiris’ High-End-Lodge herrschte Dichtestress: Mitglieder eines deutschen Porsche-Klubs verstopften die Zufahrt. Der Corona-Sommer ist da. Definitiv.