Editorial über die politische Unlust der Mitte
Pfisters fatales Signal ans Volk

Wie soll man Bürgerinnen und Bürger für mehr Engagement in den Gemeinden gewinnen, wenn die Politiker des Landes keinen Bock auf einen Bundesratsposten haben?
Publiziert: 05:00 Uhr
|
Aktualisiert: 07:19 Uhr
1/2
Reza Rafi, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Philippe Rossier

Was haben Wassen in Uri, Naters im Wallis oder Hemishofen in Schaffhausen gemeinsam? Diese Dörfer machten einmal Schlagzeilen, weil sie kein politisches Personal fanden. Heute tut sich jede zweite Gemeinde im Land schwer, Freiwillige für die Exekutive zu rekrutieren. Das Milizsystem krankt.

Doch Wassen ist nicht Bern. Oder etwa doch?

Die Wahl in den Bundesrat galt bislang als heimliches Sehnsuchtsziel aller zurechnungsfähigen Parlamentsmitglieder. Die wollen schliesslich ihre Agenda umsetzen – und wo liesse sich das effektiver bewirken als im höchsten politischen Gremium? Politik strebt nach Macht, ganz im Sinn von Wirkungsmacht.

Die Mitte belehrt uns nun eines Schlechteren. Seit der Rücktrittsankündigung von VBS-Chefin Viola Amherd trat die Partei vor allem mit dem Kneifen prominenter Aushängeschilder in Erscheinung, allen voran Präsident Gerhard Pfister. Kein inneres Feuer, keine Zeit, keine Lust. So lauten die Begründungen. Nur der geschmeidige Markus Ritter steht bis dato bereit. Möchte Pfisters Truppe eines Tages den Status einer Nichtregierungsorganisation in Anspruch nehmen? NGOs winkt immerhin Mammon vom Staat.

Für die machtpolitische Keuschheit der Christdemokraten gibt es drei mögliche Gründe. Keiner ist schmeichelhaft.

Erstens: Amherds Scheitern am Widerstand ihrer Gegner hat die Parteikollegen derart verängstigt, dass sie lieber im Schneckenhaus ihrer gut bezahlten Nebenämter verharren als sich für 477‘688 Franken im Jahr teeren und federn zu lassen.

Zweitens: Es liegt am Departement VBS, an dessen Spitze man fast nur verlieren kann. Leider bringt der Zeitgeist keine Politiker mit der Kühnheit eines Herkules hervor.

Drittens: Wir leben in einer polarisierten Welt. Die Lustlosigkeit im politischen Zentrum ist ein Symptom dafür. Man erinnert sich: Bei freien SP- und SVP-Sitzen werden selbst manche Hinterbänkler über Nacht zu Papabili.

Bis vor kurzem hatte Gerhard Pfister das politische Momentum auf seiner Seite. Das war einmal. Dank der ehemaligen CVP ist die Schweiz vielleicht die einzige Nation, die Mühe bekundet, selbst für Ministerposten Freiwillige zu finden. So erweist die Mitte dem Ziel, Bürgerinnen und Bürger für kommunales Engagement zu erwärmen, einen Bärendienst.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?