Stellen Sie sich einen Zauberer vor, der behauptet, er könne einen Elefanten in seinem Zylinder verschwinden lassen. Natürlich möchten Sie dieses Kunststück sehen! Der Zauberer sagt Hokuspokus, und er sagt Abrakadabra. Bloss: Es tut sich nichts. Der Elefant bleibt, wo er ist.
Wie erklärt der Zauberer die Pleite? Er sagt: Wenn nur dieser Zylinder etwas grösser wäre, dann würde alles wunderbar klappen! Vielleicht hilft es, den Hut mit der grossen Zauber-Säge aufzuschneiden? Auf diese Weise findet der Elefant gewiss genügend Platz.
Vor genau zehn Jahren reichte die SVP ihre Ausschaffungs-Initiative ein. Diese verlangte den automatischen Landesverweis für ausländische Straftäter, ohne Rücksicht auf Härtefälle. Im Bundesamt für Justiz kam man überein: Das Anliegen verletzt eine Reihe von Grundrechten und internationalen Übereinkünften, es kann in dieser Form nicht umgesetzt werden. Es wäre ehrlicher, die Ausschaffungs-Initiative gar nicht erst zur Abstimmung zuzulassen.
Bei ihrer Chefin drangen die Beamten nicht durch. Die damalige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf wagte es nicht, sich mit der SVP ein weiteres Mal anzulegen und die Initiative für ungültig zu erklären. Die Vorlage kam zur Abstimmung – und wurde angenommen: Am 28. November 2010 sagten 52,3 Prozent der Stimmenden Ja zur automatischen Ausschaffung ausländischer Straftäter.
Doch die Juristen in der Verwaltung hatten zu Recht gewarnt. Die Initiative liess sich nicht so umsetzen, wie es die SVP behauptet hatte. Das Bundesgericht stellte fest, dass die Menschenrechte auch für Delinquenten ohne Schweizer Pass gelten. Kein Automatismus also bei den Ausschaffungen.
Die Geschichte wiederholte sich bei der Masseneinwanderungs-Initiative. Masslose Versprechungen der SVP, gefolgt von einem Ja an der Urne. Dieses Mal machte das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU die buchstabengetreue Umsetzung unmöglich.
Darum greift die SVP jetzt zur grossen Zauber-Säge.
Mit ihrer Selbstbestimmungs-Initiative möchte die Partei den Zylinder namens Rechtsstaat aufschneiden: Wenn ein Geflecht von Grundrechten und völkerrechtlichen Verträgen verhindert, dass die Versprechen der SVP vollständig umgesetzt werden, dann soll dieser Rechtsstaat eben zerstört werden.
Die SVP vertritt den Standpunkt: Egal, wie problematisch eine Initiative ist, der Volkswille darf an keine Schranken stossen. Sollte es dem Volkswillen entsprechen, darf die Demokratie selbst zu einer «Dämokratie» auswachsen, zu einer Herrschaft der bösen Geister. Dann dürfen Minderheiten vorsätzlich diskriminiert und Menschenrechte missachtet werden. Der Fantasie wären keine Grenzen gesetzt.
Natürlich wird das in dieser Form nicht geschehen. Der Rechtsstaat würde
bei einer Annahme der Selbstbestimmungs-Initiative zwar beschädigt. Aber auch bei einem Ja am 25. November werden erfolgreiche Volksinitiativen weiterhin von National- und Ständerat in Gesetzestexte übersetzt. Das Parlament wird weiterhin eine Güterabwägung vornehmen und andere Grundsätze mit berücksichtigen. Und unsere Richter achten auch in Zukunft auf die Einhaltung fundamentaler Rechte.
Wir leben ja nicht in Nordkorea.
Der Zauberer kann den Zylinder traktieren, wie er will – einen Elefanten bringt er darin nicht unter.
Hier liegt eine unterschätzte Gefahr der Selbstbestimmungs-Initiative. Wer der SVP heute wieder glaubt und von der Allmacht des Volkes träumt, wird erst recht enttäuscht und wütend reagieren, wenn sich der Rechtsstaat auch künftig nicht nach Belieben aushebeln lässt.
Es gibt einen Begriff für das, was die SVP mit der Selbstbestimmungs-Initiative betreibt.
Die Initiative ist falscher Zauber.