Angela Merkel hat ihren schrittweisen Rückzug aus der Politik bekannt gegeben. Als Nachfolger an der Spitze der christdemokratischen Partei CDU empfehlen sich zwei Männer und eine Frau. Letztere, CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, hat sich noch nicht so recht auf die Äste hinausgelassen.
Die beiden Herren dagegen, Gesundheitsminister Jens Spahn und der einstige Fraktionschef im Bundestag, Friedrich Merz, vermitteln den Eindruck: Mit der Ära Merkel endet eine Zeit des Stillstands.
Doch statt um die Nachfolge der Kanzlerin mit Visionen für die Zukunft Deutschlands zu wetteifern, gefallen sich Spahn wie Merz in der Rolle der Zukurzgekommenen.
Wer dieser Riege der Frustrierten zuhört, fühlt sich unweigerlich an jene längst untergangene CDU mit besten Beziehungen zu Wirtschaft und Kirche erinnert, in der ältere Herren in schalldichten Hinterzimmern die Geschicke der Partei bestimmten und die Frauen am Herd standen.
Der Berliner Erbfolgestreit ist allerdings mehr als nur schlechter Stil. Das Jammerlied der Kandidaten von der «guten alten Zeit» beweist vor allem ein bedenklich schlechtes Kurzzeitgedächtnis.
Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer fiel, hatten nur die wenigsten eine Ahnung von den Problemen, die eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten mit sich bringen würde. Nie zuvor war die friedliche Integration zweier bis dahin verfeindeter Gesellschaftssysteme in einen erfolgreich funktionierenden «Bruderstaat» versucht worden.
Auch wenn sie tatsächlich noch kommen sollten: Die von Helmut Kohl versprochenen «blühenden Landschaften» in Ostdeutschland brauchen wohl erheblich mehr Zeit als vermutet.
Zehn Jahre nach dem Mauerfall und auf dem Höhepunkt der Partei-spenden-Affäre war es dann ausgerechnet die ostdeutsche Pfarrerstochter und Physikerin Merkel, die einen ebenso christlichen wie demokratischen Reformationsbedarf ihrer Partei erspürte.
Nach dem Sturz ihres Ziehvaters Kohl wehte ein frischer Wind durch die muffige CDU. Erst die von Merkel initiierte Öffnung für Zukunftsthemen wie Klima- und Umweltschutz, mehr soziale Gerechtigkeit und eine Stärkung der Europä-ischen Union machten die Konservativen für neue Wählerschichten attraktiv.
Ohne Angela Merkel wäre es wohl bald vorbei gewesen mit der CDU als Deutschlands grösster Volkspartei.
Höher könnte die Latte für ihre Nachfolger im Berliner Kanzleramt daher kaum liegen. Kein anderer Spitzenpolitiker hat Deutschland und Europa so nachhaltig geprägt wie Angela Merkel mit ihrem unaufgeregten Regierungsstil.
Nun hat sich ihre Nüchternheit totgelaufen. Am Ende fand die Kanzlerin keine Antworten mehr auf die Ängste der Wähler.
Doch nicht der für die Demokratie unabdingbare Wechsel des Spitzenpersonals ist das Problem. Dem Wind des Wechsels, der dieser Tage durch Berlin fegt, fehlt bislang jede Vorstellung einer Zukunft für die CDU, für Deutschland und Europa.
Das sollte nicht nur das Personal in Berlin mit Sorge erfüllen, sondern ganz Europa – wenn nicht die Welt.