Von Bern aus sind die Figuren der Weltpolitik rasch abqualifiziert. Neben Donald Trump eignet sich aus linker und europafreundlicher Perspektive kein Mann besser für die Rolle des Prügelknaben als der konservative britische Premier Boris Johnson.
Doch Johnson stellt die Schweizer Verteidiger der EU, zu denen auch ich gehöre, vor ein Problem: Gerät der Brexit zum Erfolg, hätte der Blondschopf im Alleingang die Sehnsüchte einer ganzen Generation Europafreunde pulverisiert.
Denn manch eidgenössischer Parlamentarier wünscht sich stattdessen eine harte Haltung Brüssels gegenüber den Briten – nicht zuletzt als Drohkulisse im heimischen Streit ums Rahmenabkommen.
Auch im Streit mit China passt Johnson nicht in das Raster seiner Kritiker: Als ihn das Coronavirus erst politisch in die Enge trieb und schliesslich auf die Intensivstation beförderte, war ihm die Häme noch sicher. Doch nun das: Ein zur Mittelmacht geschrumpftes Ex-Empire bietet der aufstrebenden Weltmacht China die Stirn, stellt Bürgern der ehemaligen Kronkolonie Hongkong Asyl in Aussicht und will den Techkonzern Huawei aus seinen Netzen verbannen.
Bei der Verteidigung europäischer Werte beweist das als «anti-europäisch» gebrandmarkte London mehr Rückgrat als die Union – oder die mit China freihandelnde Schweiz. Dabei hätte Grossbritannien in dieser Auseinandersetzung den Rückhalt des ganzen Kontinents verdient. Das wäre europäisch.