Freitag, der 7. Dezember: Das ist der letzte Termin. Entweder gibt es dann eine Einigung über das Rahmenabkommen – oder die Verhandlungen sind gescheitert. So lautet das Ultimatum der Europäischen Union. Die beiden Knackpunkte: Wie schützen wir unsere hohen Löhne? Und: Wie schützen wir unsere Sozialwerke vor dem Ansturm verarmter EU-Bürger?
Ex-Aussenminister Didier Burkhalter argumentierte immer: Wir brauchen dieses Abkommen – koste es, was es wolle. Ignazio Cassis meint: Wir verhandeln erst mal ohne Tabus, dann entscheiden wir, ob das Resultat akzeptabel ist oder nicht. Mit diesem Trick hat Burkhalters Nachfolger den festgefahrenen Dialog mit Brüssel wieder in Gang gebracht.
Doch was passiert, wenn nächste Woche ein Verhandlungsergebnis auf dem Tisch liegt, das für die Schweiz weniger vorteilhaft ist als der Status quo? Dann stehen wir vor einem Dilemma.
Einerseits brauchen wir den Lohnschutz. Denn nirgendwo in Europa verdienen die Menschen mehr als in der Schweiz. Machen wir da zu grosse Kompromisse, sind Schweizer Arbeitsplätze in Gefahr.
Anderseits brauchen wir den ungehinderten Zugang zum EU-Markt, der mehr als die Hälfte unserer Exporte aufnimmt. Auch jede Einschränkung des Warenverkehrs gefährdet Schweizer Arbeitsplätze.
Was die Sache kompliziert macht: Die EU kämpft gegen ihren inneren Zerfall und hat kaum noch Spielraum für massgeschneiderte Beziehungen zu anderen Wirtschaftsräumen. Darum droht sie Grossbritannien, der Schweiz und allen, die am europäischen Markt teilhaben wollen: Es gibt alles, oder es gibt nichts – den freien Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Personen oder eben kein Abkommen. Deal or No Deal.
Deshalb müssen wir fragen: Welchen Preis ist uns ein hoher Lohnschutz wert? Und was zahlen wir für den ungehinderten Zugang zum EU-Markt?
Im Augenblick ist der Preis für ein Rahmenabkommen zu hoch. Auf der einen Seite sind die Gewerkschaften dagegen, auf der anderen der Gewerbeverband, selbst der Bundesrat ist tief gespalten. Eine Regierung aber, die sich in einer derart entscheidenden Frage nicht einig ist, hat bereits verloren. Und kein Vertrag, der von links wie rechts bekämpft wird, hat vor dem Volk eine Chance.
Niemand weiss, was ein Scheitern der Verhandlungen mit Brüssel bedeutet. Vielleicht bleibt es bei Nadelstichen, mit denen die Schweiz umgehen kann, etwa einer Verweigerung des Börsenzugangs. Vielleicht will die EU ein Exempel statuieren und unsere Universitäten von der Forschungszusammenarbeit ausschliessen, unsere Produkte nicht mehr zulassen, einzelne bilaterale Verträge künden.
Dann kann der Preis für den Lohnschutz plötzlich zu hoch sein. Dass die Schweiz unter Druck extrem handlungsfähig ist, hat sie beim Bankgeheimnis bewiesen. Jahrzehntelang galt es als unantastbares Heiligtum. Als der Preis zu hoch wurde, um daran festzuhalten, fiel es über Nacht.
Und heute vermisst es kaum noch jemand.