#aufbruch mit Patrizia Laeri
Jedes Wort zählt

«Wir suchen einen Experten mit hoher Leistungsfähigkeit, der ergebnisorientiert ein Team managen kann.» Auf diesen Job wird sich wahrscheinlich keine einzige Frau bewerben. Jedes einzelne Schlagwort vergrault sie. Das haben Algorithmen ausgerechnet.
Publiziert: 19.03.2019 um 20:51 Uhr
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Aktualisiert: 20.03.2019 um 10:38 Uhr
Patrizia Laeri, Wirtschaftsredaktorin.
Foto: Thomas Buchwalder
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Patrizia LaeriKolumnistin

Schweizer Firmen, ihr wollt mehr Frauen? Ändert eure Texte. Die Durchschnitts-Stellenanzeige enthält doppelt so viele Worte mit einem maskulinen Unterton als einem femininen. Adjektive allein können entscheiden, ob sich Frauen bewerben. Das zeigen die Analysen des amerikanischen Tech-Start-ups Textio.

«Stark» oder «dynamisch» ziehen bei Frauen nicht, «transparent» und «vielseitig» hingegen schon. «Ein Team managen» gefällt Frauen weniger als «ein Team entwickeln». Frauen mögen auch keine Bullet-Points. Sie mögen keinen Jargon, sogenannten Business-Bullshit, der Phrasen über Stakeholder oder Synergien enthält. Die Datenlage dieser Erkenntnisse ist erschlagend. Textio hat seit seiner Gründung 320 Millionen Stelleninserate ausgewertet. Die Software misst in Echtzeit, ob Inserate Bewerberinnen ansprechen.

Zehn Prozent mehr Bewerberinnen

Eine andere Tech-Firma, TalVista, kämmt Job-Inserate durch und hebt entmutigende Worte rot hervor. Auch Unitive hat eine Software entwickelt, die hilft, Inserate zu schreiben, die alle ansprechen. Für englischsprachige Inserate gibt es sogar Gratis-Tools, die Inserate scannen. 

Gerade Tech-Firmen preschen vor und analysieren neu die Sprache ihrer Inserate. Nasa, Intel, Cisco, Vodafone und viele mehr verbessern mit Echtzeit-Anleitungen Formulierungen. Cisco hat jetzt zehn Prozent mehr Bewerberinnen auf die Stelleninserate. Johnson & Johnson konnte gar 22 Prozent mehr Menschen ansprechen, die sonst unterrepräsentiert sind. Dahinter steckt natürlich auch Kalkül. McKinsey hat in einer umfangreichen Studie gezeigt, dass Firmen mit gemischten Teams überdurchschnittlich profitabel sind.

Männer nicht abgeschreckt

Interessanterweise sprechen die korrigierten, weiblicheren Texte Männer praktisch genau gleich an wie herkömmliche. Man schliesst also nicht männliche Bewerber aus, sondern weibliche mit ein.

Aber was ist mit den Worten in Stellenanzeigen auf Deutsch? Da ist man noch nicht so weit. SAP soll an einer Lösung basteln. Die AI-Firma Textkernel hat Job-Inserate immerhin allgemein sprachlich untersucht. Fazit: Sie strotzen vor abstrakten Formulierungen, Substantivitis, Bandwurmsätzen, Füllwörtern und Standardphrasen. Damit sprechen Firmen übrigens auch jüngere Talente nicht an. Studien mit Millennials zeigen, dass die Generation Y vor allem die sprachliche Monotonie der Stellenanzeigen abstösst. Sie nimmt sie als austauschbar und wenig kreativ wahr.

Wer Millennials und Frauen will, der sollte sich was einfallen lassen. Alles andere ist vorsätzliche Talentverschwendung.

Patrizia Laeri (40) ist Wirtschaftsredaktorin und -moderatorin von «SRF Börse» und «Eco» sowie Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch für BLICK.

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