Heute sind es schon 200 Milliarden Dollar. So reich ist Jeff Bezos, Gründer von Amazon, dem Online-Versandhaus. Rekord!
Etliche Medien zeigten sich über die astronomische Zahl entzückt. Sie rechneten vor, wie lange Bezos brauchen würde, um sein Geld von Hand zu zählen (Hunderte Jahre). Sie enthüllten, wo der reichste Mensch der Welt seinen Urlaub verbringt (auf einer Yacht). Oder verrieten sein Erfolgsgeheimnis (richtig investieren).
Beschämend, wie hier einem superreichen Krisengewinnler zugejubelt wird. Amazon profitiert von der Pandemie wie kein anderes Unternehmen, die Aktie steht seit Beginn der Krise auf einem Rekordhoch. Der Grund ist simpel: Wer zu Hause in Quarantäne sitzt, bestellt mehr Waren im Internet. Viele von uns tun es. Mit dem Resultat, dass Bezos’ Vermögen allein zwischen März und Mai um 35 Milliarden Dollar wuchs.
Der Kalifornier könnte sogar als erster Mensch zum Billionär werden. Rosige Aussichten!
Die Realität der Menschen, die diesen immensen Profit in seinen Logistikzentren erwirtschaften, ist weniger berauschend. Lange Arbeitszeiten, tiefe Löhne, hohe Fluktuation – die Bedingungen sind berüchtigt. Dazu kommt die Angst der Belegschaft, sich mit dem Virus anzustecken. Eine begründete Furcht, wie jüngst ein Corona-Ausbruch bei Amazon in Deutschland zeigte.
Bezos und Co. werden ständig reicher – und das ist ein Problem. In vielen westlichen Ländern wurde die Einführung gerechter Vermögens- und Erbschaftssteuern sabotiert. Deshalb klaffen die Einkommen immer weiter auseinander. Das typische Dilemma fehlgeleiteter Wirtschaftspolitik: mehr arme Schlucker hier, mehr stinkreiche Mogule dort.
Nur: Wieso gelingt es den Reichen selbst in den grössten Krisen, dem Volkszorn zu entgehen? Martin Schürz, Ökonom und Psychotherapeut aus Wien, hat darüber das Buch «Überreichtum» geschrieben. Seine Erklärung: Diese Ungerechtigkeit ertragen wir, weil unsere Gefühle gegenüber Arm und Reich manipuliert werden.
Einerseits verachten Arme alle noch Ärmeren. Wer nach unten tritt, muss kaum Vergeltung fürchten. Andererseits werden Reichtum und Privilegien seit jeher mit hoher Moral und Tugend gerechtfertigt, etwa in Heldengeschichten über Milliardäre, die sich als Genies und Jahrhunderttalente sehen (obwohl vor allem erben reich macht). Superreiche inszenieren sich als Spender, Wohltäter und Stifter. Auch Bezos ist ein grosser Gönner.
Wenn es einer alleinerziehenden Amazon-Mitarbeiterin trotz Krise gelingen könnte, 200 Dollar zu sparen, würde ich vor ihr den Hut ziehen. Die 200 Milliarden von Jeff Bezos beeindrucken mich weniger.