Weihnachten ist das Fest der Familie. Also werden wir wohl wieder einen Baum schmücken, Kerzen anzünden und irgendwie besinnlich sein im Kreise unserer Nächsten.
Und da dämmert uns vielleicht, dass wir unser Leben nicht im Griff haben. Denn wir wurden geboren und konnten nicht wählen, wo und von wem. Wir wuchsen auf mit Menschen, die uns verwandt sind und fremd sein können und fern wie die Sterne.
Noch nicht erschlagene Maus
Der Sohn sieht im Vater die Daseinsform einer noch nicht erschlagenen Maus, so will er nie darben. Die Tochter wundert sich über ihre Mutter, der das Unsichtbare jede Mühe wert scheint, die den Stofftaschentüchern mit eiserner Sorgfalt jedes Fältchen ausbügelt, bevor sie sie in der Schublade verstaut. Der Bruder versucht, sich gedanklich in die üppig wuchernden Lebensverläufe seiner Schwester zu begeben; aber nur schon ihr Veganismus ist ihm zu exotisch. Die Schwester wiederum wüsste nicht, warum sie sich auf Diskussionen mit ihrem Bruder einlassen sollte, diesem tyrannischen Kind in Erwachsenengestalt.
Und trotzdem sitzen sie alle an Weihnachten zusammen und feiern: offiziell die Geburt des Erlösers, in Wahrheit das Bestehen ihrer Zwangsverwandtschaft.
Familie ist Schicksal
Denn natürlich ist die Familie kein Hort von eitel Friede, Freude, Freundlichkeit, wie uns das die Werbung oder der Pfarrer gerne glauben machen. Weder beschützt sie uns vor den Wechselfällen des Lebens, noch ist sie ein Schutzschild gegen die Unwägbarkeit der Welt.
Im Gegenteil.
Die Familie schlägt in unsere Biografie ein wie die Muttersprache. Man kann vor ihr fliehen, aber man entkommt ihr nie. Familie ist Schicksal.
Das wildeste Abenteuer
Sie ist die grösste Beleidigung für unsere Wahlfreiheit. Und genau darum befreit sie uns. Wir vervielfältigen unsere Möglichkeiten, indem wir uns mit jenen umgeben, die wir nicht gewählt haben. Wie kaum jemand sonst können uns Eltern und Geschwister ärgern, irritieren, in den Wahnsinn treiben, aber auch verblüffen und erfreuen: Die Familie ist das grösste und kleinlichste, wildeste und zuverlässigste Abenteuer, auf das wir uns einlassen – weil wir müssen.
Wir schaffen uns Freunde, wir schaffen uns Feinde, Gott schuf uns die Familie. Vielen Dank! Frohe Weihnachten! Alles wird gut!
Ursula von Arx wird sich auch dieses Jahr mit dem tschechischen Märchenfilm «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» auf Weihnachten einstimmen. Da ist die Welt beruhigend klar: Vater gut, Stiefmutter böse, Glück garantiert. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.