Natürlich gibt es immer noch Leute, die heiraten. Wie es auch immer noch Leute gibt, die einer politischen Partei beitreten. Beides verlangt ein gewisses Mass an Selbstaufgabe im Namen einer höheren Macht, heisse sie nun Liebe, Ehe oder Parteidisziplin.
Jedoch scheint diese Art von Askese heute Misstrauen zu wecken: zu starr, zu eng. Binden kann man sich auch kurzfristig. Wer tindert, zum Beispiel, muss keine grosse Anpassung seiner selbst vornehmen und kann sich doch Bestätigung, Spass und Stoff für weitergehende Träume holen.
Occupy Wallstreet, Gelbwesten …
Auch politisch engagiert man sich zunehmend gern ohne verbindlichen Gruppendruck und Gesinnungszwang. Wen Wut oder Ohnmacht überrollen, den behindern die Hierarchien und Klüngeleien der institutionalisierten Politik nur. Der verschafft sich anders Gehör.
Occupy Wallstreet: Sie erinnern sich? Es war Finanzkrise, und grosse Kinder mit einem Heisshunger auf Verteilungsgerechtigkeit protestierten und campierten weltweit. Forderungen? Wenig konkret.
Oder die Gelbwesten in Frankreich. Eine angekündigte Ökosteuer auf Benzin und Diesel, darauf gewaltsame Proteste in Paris. Grosses Polizeiaufgebot, Strassenschlachten, Tote. Dann Konzessionen des Präsidenten und eine nationale Debatte, immerhin. Doch wer sind die Gelbwesten? Schwer zu fassen. Darunter viele, die sich weder rechts noch links positionieren und sich zum ersten Mal politisch äussern. Was wollen sie? Ein besseres Leben, oder ein weniger schlechtes. So einfach und so diffus.
Was ändern? Alles
In der Schweiz gibt es die Operation Libero. Eine Bewegung, die «für Umbruch in der Schweizer Politlandschaft» steht, «für das Chancenland Schweiz». Junge Frauen lesen unliebsamen Parteipolitikern vor laufender Kamera die Leviten. Und meiden die Parteien.
Und eben war Greta hier, in Davos, am WEF, um den Mächtigen ins Gewissen zu reden. Greta Thunberg, das 16-jährige Mädchen mit den langen Zöpfen, das die Schule schwänzt, um für das Klima zu demonstrieren und Nachahmer fand auf der ganzen Welt. Auf die Frage, was sie ändern möchte, antwortete Greta: «Alles.»
Alles nur viel Lärm? Die Hebel der Veränderung liegen immer noch in den Händen der traditionellen Politik. Aber all die Bewegten können diese anstupsen. Alles wird gut.
Ursula von Arx mag Mani Matters «Mir hei e Verein», wo es über die Mitgliedschaft heisst: «I bi mängisch stolz und ha mängisch gnue – U das ghört derzue.» Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.