Als junge Frau hatte Jean Boesch (76) aus Zürich einen klaren Traum, wie ihr Lebensabend aussehen sollte: verheiratet sein mit Hans (80), ein Leben in einem hübschen Häuschen, umgeben von ihren Kindern und Enkeln. Doch die Ehe scheiterte, sie musste allein neu anfangen.
Mit 21 Jahren hatte sie Hans beim Camping kennengelernt: sie Telefonistin, er Maschinenschlosser. Acht Monate später heiratete das Paar, innerhalb von vier Jahren hatte es drei Kinder. 16 Jahre später verliess er sie.
«Unsere Ehe war vom ersten Tag an schwierig», erinnert sich Jean Boesch. «Ich fühlte mich kontrolliert und bevormundet, in die Rolle der duldsamen Hausfrau gedrängt. Unser Leben war anstrengend. Viele Umzüge, die Kinder und der Haushalt blieben an mir hängen. Hans hat sogar mit dem Finger kontrolliert, ob ich oben auf dem Türrahmen gründlich Staub wische. Wir stritten uns ständig, ich war am Ende.»
Sie bat um Trennung auf Zeit, er reichte die Scheidung ein: «Der Unterhalt wäre ihm zu teuer gekommen.» Zerplatzt war ihr Traum von der lebenslangen Ehe und Liebe, Jean ist bis heute allein geblieben. In ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung lebt sie mit wenig Geld, entfremdet von Teilen der Familie. Was half ihr beim Neuanfang? Erst die Anforderungen des Alltags, ihre drei Kinder: «Ich musste unser Leben am Laufen halten – egal, wie es in mir aussah.» Sie arbeitete u. a. als Kindermädchen und Lehrerin.
Ihr Leben kam anders, es ist aber schön und erfüllend
Im Jung-Institut nahm sie Psychoanalyse wahr – ein schmerzlicher, aber heilsamer Blick zurück auf ihre Träume und Hoffnungen als junge Ehefrau. «Ich wurde ganz auf mich zurückgeworfen. Dabei habe ich auch den Glauben an Jesus gefunden, der mich bis heute trägt.»
Sie fand Halt in ihrer Kirchgemeinde, schloss mit 62 Jahren ein Bachelor-Studium (Religiöse Studien) ab und wurde Seelsorgerin. Für fünf Jahre ging sie nach Südafrika und gab ihre Liebe dort als Missionarin an andere weiter.
Mit Hans steht sie wieder in lockerem Kontakt, eine Freundschaft wurde aber nicht mehr daraus. Heute lebt er in einem Heim. Jean: «Mein Leben ist anders verlaufen, als ich es mir vorgestellt habe. Trotzdem war es auf seine Art schön und erfüllend. Ich habe meinen Frieden gefunden.»