«Wir fühlen uns sehr wohl in unserem Zuhause und sind glücklich. Es funktioniert alles, auch wenn noch nicht alles optimal ist», erzählt Mirjam Lerch (33). Seit Herbst 2021 lebt sie mit ihrem Partner Gregor Tanner (47) und den gemeinsamen Kindern Emilie (6) und Frederic (4) in einer selbsterstellten Jurte in Bischofszell TG.
Unter mongolischen Nomaden sind die runden Jurten eine typische Behausung. In der Schweiz hingegen sind sie noch selten. Nicht zuletzt wegen der zum Teil noch unklaren gesetzlichen Bestimmungen, die regional unterschiedlich geregelt sind. Diese mühsame Erfahrung haben auch Lerch und Tanner bei ihrem Bauvorhaben gemacht.
Bewusster Entscheid für reduzierte Wohnfläche
Das ausgefallene Zuhause der Familie in Bischofszell hat einen Durchmesser von rund acht Metern. An der höchsten Stelle, in der Mitte der zeltähnlichen runden Behausung, ist ihr Zuhause rund dreieinhalb Meter hoch.
Der vierköpfigen Familie stehen rund 50 Quadratmeter Wohnfläche im Innenraum zur Verfügung. «Für mich ist es unvernünftig, mehr Wohnfläche als nötig zu haben. Das reicht für uns und gibt auch weniger Arbeit», findet Gregor Tanner.
Die Familie möchte sich nicht mit einem Haus bei einer Bank verschulden und ist darauf bedacht, ihren ökologischen Fussabdruck etwas zu reduzieren. «Wir missionieren nicht mit unserem Lebensstil. Wir haben ein Auto und sind auch schon in die Ferien geflogen. Das versuchen wir, mit unserer einfachen Wohnsituation zu kompensieren. Wir bemühen uns, auch sonst im Alltag etwas ressourcenschonend zu leben», so der selbstständig erwerbende Familienvater.
Sich beim Wohnen auf das Nötigste zu reduzieren, sei ein bewusster Entscheid gewesen, sagt auch die Mutter und Assistenzärztin Mirjam Lerch. «Ursprünglich wollten wir in ein Tiny House ziehen, bis Gregor 2019 mit der Idee einer Jurte kam.»
Damals lebte die Familie noch in einem befristet gemieteten Bauernhaus bei Andelfingen ZH, das abgerissen werden sollte. Dort im Garten wurde die Jurte, die rund 20’000 Franken ohne Boden und Innenausstattung kostete, erstmals zur Probe aufgestellt.
Weil auf dem Grundstück des abbruchreifen Bauernhauses eine Einfamilienhaussiedlung geplant war, musste sich die Familie einen neuen Standort für ihre Jurte suchen. Ein schwieriges Unterfangen, nicht zuletzt wegen der unklaren gesetzlichen Grundlagen, wie die Familie bald merkte. «Die Gemeindebehörden waren mit unseren Anfragen oftmals überfordert und mussten sich zuerst beim Kanton erkundigen. Im Zweifelsfall wird eher ein Bauvorhaben abgelehnt, zumal in vielen Köpfen wohl auch noch Vorurteile gegen solche Wohnformen und die Bewohner herrschen», erklärt Tanner.
Persönlichen Gesprächen und Einblicke gegen Vorbehalte
Nach einigen Absagen kamen Mirjam Lerchs Eltern mit dem Vorschlag, dass die Familie in ihrem Garten neben ihrem Haus in Bischofszell die Jurte aufbauen und leben könnten. Tatsächlich erteilte die Stadt im Thurgau die Bewilligung befristet auf 20 Monate, mit Option auf Verlängerung auf drei Jahre, sofern die Nachbarschaft einverstanden ist. «Jetzt wo alles grünt und blüht, ist unsere Jurte im Garten von Nachbarn kaum zu sehen», so Tanner.
Zu reden gab das ungewöhnliche Bauvorhaben nach der Ausschreibung aber im Vorfeld schon, wie vor allem der Vater als Neuzuzüger in Gesprächen bei neuen Bekanntschaften in Bischofszell bemerkte. Mit einem «Tag der offenen Tür» wollte das Paar darum kürzlich Interessierten Einblick in ihre Jurte geben und in persönlichen Gesprächen auch allfällige Vorbehalte klären. «Es kamen einige aus der Nachbarschaft und zudem waren Freunde, die beim Aufbau geholfen haben eingeladen.»
Wiederaufbau am neuen Standort
Der Aufbau der Jurte ging nach den Erfahrungen aus dem Erstaufbau in Andelfingen und dank Helfern aus dem Freundeskreis relativ schnell. «An zwei Wochenenden wurde die Jurte aufgebaut. Mühsamer war aber vorher das Nivellieren des Grundstücks, damit der Boden aufgebaut werden konnte», sagt die angehende Kinderärztin Lerch.
Im Internet fand Tanner einen gebrauchten Holzboden eines Messebauers, den der Vater günstig kaufen und verarbeiten konnte. Auch vom Abbruchhaus konnte die Familie einiges Material mitnehmen, wie alte Türen und Regale, die in der Jurte aufgefrischt wiederverwendet wurden.
Ohne Dusche und warmes Wasser
Die Höhe der Jurte wurde ausgenutzt. Über eine Holztreppe gelangt man auf die offene obere Schlafetage mit dem grossen Familienbett. Auf der gleichen Ebene, unter der Plexiglaskuppel findet sich zudem ein gemütlicher Bereich, den die Kinder gern zum Bücheranschauen oder Malen nutzen.
Tagsüber spielt sich das Familienleben aber vorwiegend im Erdgeschoss ab, wo sich eine Küchenzeile mit einem Gaskochherd mit zwei Herdplatten befindet, sowie der Wohn-/Essbereich. Geheizt wird mit einem kleinen Holzofen. «Wenn es sehr kalt ist, haben wir auch noch einen kleinen Gas-Ofen, den wir kurz einstellen, bis die Kinder am Morgen angezogen sind und wir angefeuert haben», erklärt der Vater.
Der Familie steht in der Jurte nur kaltes Wasser zur Verfügung, weiss sich aber zu helfen. Morgens wird Wasser aufgekocht und in Thermosflaschen abgefüllt und auf dem Ofen steht ein Krug mit warmen Wasser für Tee oder Kaffee. «Das reicht für unseren täglichen Bedarf», erklärt Lerch.
In der Mitte der Jurte ist ein abgetrenntes Kompost-WC. Eine Dusche gibt es nicht. Geduscht wird im Elternhaus. «Es ist noch einiges provisorisch. Wenn wir einen definitiven Standort haben, wollen wir aber sicher eine eigene Dusche, und die Toilette würden wir am Rand platzieren. Das ist praktischer zum Entleeren des Kompost», weiss die Mutter.
Auch über einen grösseren Ofen denkt die Familie nach. Bevor sie aber nicht wissen, wo sie künftig mit ihren Kindern leben werden und wie die gesetzlichen Bestimmungen auch beispielsweise in Bezug auf Solaranlagen an einem allfälligen neuen Wohnort sind, belässt die Familie ihre Jurte so wie sie ist.
Hoffnung auf bessere Regelungen für Kleinwohnformen
Die Eltern hoffen, dass sich in der Zwischenzeit auch politisch endlich etwas bewegt und klare Regelungen geschaffen werden für beliebte Kleinwohnformen, wie Jurten oder Tiny Houses. Der Familienvater erzählt: «Wir möchten uns nicht in einer Grauzone bewegen. Wir arbeiten beide, zahlen Steuern und möchten nur gern legal ein kleines unbenutztes Grundstück mit Garten, ohne uns zu verschulden und wo wir unbefristet wohnen können.»
Bis dahin ist die Familie froh und dankbar, dass sie in Bischofszell die Möglichkeit erhalten haben, im elterlichen Garten in ihrer Jurte zu wohnen. «Wir möchten aber irgendwann, irgendwo richtig ankommen. Das sind wir jetzt noch nicht.»