Genüsslich zieht Robert Blatter (97) an seiner Zigarre, die ihm seine Enkelin Karin Bertschi (29) angezündet hat. Sie sitzen an einem gemütlichen Schattenplatz in seinem Garten. Er fühlt sich sichtlich wohl hier. Im fast 200 Jahre alten Haus mit Garten ist er mit seinen drei Geschwistern aufgewachsen.
«Mir ist meine alte Hütte lieb, und ich möchte bis zu meinem Lebensende hier bleiben», erzählt Robert Blatter im Interview mit BLICK. Fast wäre es anders gekommen. Mit einem starken Magen-Darm-Virus wurde er im Frühling in ein Spital eingewiesen. Mehrere Wochen musste Blatter bis zur Genesung dort bleiben. Körperlich und geistig ist Blatter seinem Alter entsprechend in guter Verfassung. Er unternimmt gern mit dem Postauto oder dem Zug mit seinem GA Tagesausflüge in der ganzen Schweiz. Dennoch befanden Ärzte und Sozialdienst der Klinik, dass es ratsam sei, wenn Robert Blatter nach dem Klinikaufenthalt nicht mehr allein in seinem Zuhause lebt, und legten der Familie die Einweisung in ein Altersheim nahe.
Von Heimweh geplagt
Für einige Wochen wohnte der ehemalige Fotograf daraufhin in einem Altersheim in Dübendorf, wo auch seine Schwester lebt. «Wir dachten, dass sich mein Grossvater vielleicht im Altersheim eingewöhnt, wenn er einmal einige Zeit dort lebt», erklärt Enkelin Karin Bertschi. Dem war nicht so. «Für mich war das wie ein Gefängnis. Ich bin Frühaufsteher und musste manchmal bis acht Uhr bei der geschlossenen Haustür warten, bis ich aus dem Haus konnte. Da war mein Zug längst weg, und ich konnte meinen geplanten Tagesausflug vergessen», erzählt der Rentner.
Ausserdem habe ihm der Heimleiter gesagt, dass er vielleicht doch noch etwas zu jung für das Heim sei, fügt Blatter lachend an. Immer wieder fuhr Bertschis Grossvater vom Altersheim zurück zu seinem Elternhaus in Fällanden und sass in seinem Garten. Bald war Karin Bertschi und ihrer Verwandtschaft klar, dass Grossvater Blatter von Heimweh geplagt, im Heim nicht glücklich wird. In ihrem neuen Eigenheim mit Lift in Wettingen AG wollte Bertschi mit ihrem Ehemann den Grossvater einquartieren und ihm ein Zimmer zur Verfügung stellen. Aber auch das lehnte der alte Mann ab. «Er weiss genau, was er will, und kann manchmal stur sein», erklärt die ehemalige SVP-Grossrätin aus dem Aargau.
Zahlreiche Reaktionen nach dem Inserat
So kam Bertschi die Idee mit einem Inserat in der Lokalzeitung und einem Aufruf über Facebook, WG-Bewohner für ihren Grossvater im geräumigen Haus in Fällanden zu suchen. Eine eigene einfache Dreizimmerwohnung im Parterre mit Küche und Bad steht Interessierten zur Verfügung. Rund ein Dutzend Interessenten hätten sich darauf gemeldet, so Bertschi. Mit verschiedenen Personen haben schon Gespräche und Besichtigungen stattgefunden. «Ich hätte nicht gedacht, dass sich so viele melden. Die Nachbarschaft hier ist super, und seit dem Aufruf kommen auch noch mehr liebe Nachbarn, bringen eine Fruchtwähe, machen Einkäufe für Grossvater oder schauen einfach, ob es ihm gut geht», so die Enkelin.
Heimkehr mit Auflagen
Auch die Kinder und Enkel besuchen den 97-Jährigen regelmässig und helfen in Haus und Garten, wo nötig, mit. «Sie müssen unbedingt schreiben, dass meine Familie gut zu mir schaut», verlangt Grossvater Blatter beim Gespräch mit BLICK. Zudem hat er seit seiner Rückkehr ins Haus vor wenigen Wochen neben seinem Notfall-Handy auch eine Notfall-Uhr vom Roten Kreuz, damit er sich jederzeit Hilfe holen könnte.
Karin Bertschi erklärt: «Ich möchte den Willen meines Grossvaters respektieren, aber das waren Auflagen von uns, damit Grossvater vorübergehend wieder allein zu Hause wohnen kann. Schliesslich möchte ich ruhig schlafen können ohne Angst, dass mein Grossvater irgendwo hinfallen und nicht mehr aufstehen könnte.» Da kennt die vielbeschäftigte Mitinhaberin des Familienunternehmens Recycling-Paradies im Aargau mit dem soeben neu eröffneten Standort in Spreitenbach bei aller Liebe zum Grossvater keine Kompromisse.
Mitbewohner mit Herz gesucht
Dank dem Rücktritt im Juni als SVP-Grossrätin bleibt Bertschi neben der Arbeit wieder etwas mehr Zeit für ihren Grossvater. Dennoch wäre sie und ihre Verwandtschaft, die alle nicht in unmittelbarer Nähe wohnen, etwas beruhigter, wenn der alte Mann nicht mehr ganz allein wohnen würde. Weder Pflege noch eine Haushaltshilfe braucht Robert Blatter: «Ich kann staubsaugen und koche mir gern eine knusprige Rösti mit Bratwurst.»
Bertschis Familie wünscht sich darum vor allem aufgestellte und herzliche Mitbewohner – egal in welchem Alter –, die ihrem humorvollen und aufgestellten Grossvater etwas Aufmerksamkeit schenken und Freude am Leben in einem einfach ausgestatteten Haus haben. Und was wünscht sich Robert Blatter? «Schön wäre es schon, wenn ich nicht alles aus dem Garten verschenken müsste und wieder jemand daraus Wähen oder Konfitüre selber machen würde», sagt er und strahlt dabei seine Enkelin wieder herzlich an.