Boden lässt sich nicht vermehren – und ist deshalb eine lukrative Kapitalanlage. Schon Mark Twain (1835–1910) schrieb: «Kauft Land! Gott erschafft keines mehr!» Bund und staatsnahe Betriebe scheinen von der Weisheit des US-Schriftstellers nie gehört zu haben – sie stossen laufend Land und Liegenschaften ab.
Vor zwei Wochen berichtete SonntagsBlick, dass die SBB unter ihrem CEO Andreas Meyer Immobilien für 1,5 Milliarden Franken verkauft haben. Recherchen zeigen nun: Auch Post, Swisscom, ETH, Ruag, Armee sowie das Bundesamt für Bauten und Logistik veräusserten Boden und Immobilien im Wert von Tausenden Millionen Franken. Ihre Erträge aus Land- und Liegenschaftsverkäufen von 2008 bis 2017 summieren sich auf 2,743 Milliarden Franken.
Andere profitieren
Zwar floss die astronomische Summe in die Kassen von Bund und staatsnahen Betrieben. Von künftigen Mieterträgen und der Wertsteigerung dieser Immobilien aber profitieren andere. Wer genau, ist völlig unbekannt. Niemand weiss, wie viele der teuren Grundstücke in der Hand von kommerziellen, profitorientierten Anlegern sind. Der Anteil dürfte aber beträchtlich sein.
Die Post, deren Immobilienportfolio heute 25 Prozent weniger wert ist als vor zehn Jahren, teilt mit: «Die Käuferstruktur erheben wir nicht, da sie für das Portfolio keinen Mehrwert bringt.» Auch dem Bundesamt für Bauten und Logistik fehlt der Überblick: «Wir führen keine Statistik, wie viel Prozent an Gemeinden, Städte und Kantone gingen.»
Einzig die Armee wagt eine Schätzung. «Rund 50 bis 60 Prozent der Verträge werden mit der öffentlichen Hand und Nichtregierungsorganisationen abgeschlossen», sagt eine Sprecherin. Auch sonst scheint die Armee mit ihren Immobilien am sorgfältigsten umzugehen: Gebäude und Anlagen, die für den Bund von längerfristigem Interesse sind, würden wenn möglich im Baurecht abgegeben.
Die Verordnung über das Immobilienmanagement schreibt vor, dass Kantone und Gemeinden ein Vorkaufsrecht haben, wenn der Bund oder die ETH Liegenschaften abstossen. Dabei soll der Verkauf «grundsätzlich zu Marktpreisen» erfolgen. Dieser Zusatz hat zur Folge, dass Bundesimmobilien regelmässig in private, gewinnorientierte Hände geraten – selbst wenn eine Gemeinde Interesse bekundet. «Zu Marktpreisen» bedeutet in der Realität «an den Meistbietenden».
Stadt wollte gemeinnützige Wohnungen bauen
Michael Aebersold (55), SP-Finanzdirektor der Stadt Bern, kann davon ein Liedchen singen. 2017 stand das altehrwürdige Gebäude der Alkoholverwaltung, an bester Lage mitten in Bern gelegen, zum Verkauf. Die Stadt wollte auf dem Grundstück gemeinnützige Wohnungen bauen und bot dem Bund 18 Millionen Franken. Dann erhielt eine Luzerner Immobilienfirma den Zuschlag – sie offerierte fast das Doppelte.
Aebersold ärgert sich: «Statt bezahlbare Wohnungen für alle Bevölkerungsschichten entstehen auf dem Grundstück nun teure Business-Apartments.» Damit lässt sich naturgemäss deutlich mehr Geld verdienen als mit gemeinnützigen Wohnungen. Deshalb ist es logisch, dass die Immobilienfirma – die künftigen Mieteinnahmen bereits einkalkuliert – deutlich mehr Geld bieten konnte als die Stadt. «Das Vorkaufsrecht von Gemeinden und Kantonen verkommt so zur Farce!», sagt Aebersold.
Trotz dieser Kritik will der Bundesrat an der heutigen Praxis festhalten. In der Antwort auf eine Interpellation schrieb er Ende November: «Aufgrund der Zusammensetzung der Immobilienportfolios sind Desinvestitionen der Bau- und Liegenschaftsorgane nicht dafür geeignet, wohnpolitische Ziele zu fördern.»
Und weiter: «Die Immobilienportfolios könnten von ihrer Nutzung, ihrer Lage und ihrer Grösse her nur einen marginalen und kantonal unausgeglichenen Beitrag zur Erreichung von wohnpolitischen Zielen des Bundes leisten.»
Mit anderen Worten: Der Bundesrat will auch in Zukunft nicht auf einmalige Gewinne aus Immobilienverkäufen an den Höchstbietenden verzichten. Dass Volksvermögen so für immer in die Hände privater, gewinnorientierter Immobilienfirmen wandert, scheint der Landesregierung egal zu sein.
Nationalrätin Jacqueline Badran (56) beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit der Wohn- und Baupolitik des Landes. Sie hält die Immobilienpolitik des Bundes für mehr als unverantwortlich: «Der Bundesrat begeht mit seinem Vorgehen Verfassungsbruch!» Die Zürcher Sozialdemokratin beruft sich dabei auf Artikel 108 der Bundesverfassung. Der schreibt vor: «Der Bund fördert den Wohnungsbau, den Erwerb von Wohnungs- und Hauseigentum, das dem Eigenbedarf Privater dient, sowie die Tätigkeit von Trägern und Organisationen des gemeinnützigen Wohnungsbaus.» Des Weiteren müsse er «die Beschaffung und Erschliessung von Land für den Wohnungsbau, die Rationalisierung und die Verbilligung des Wohnungsbaus sowie die Verbilligung der Wohnkosten» unterstützen.
Badran kritisiert nicht nur den Bundesrat, sondern auch die Finanzdirektoren der Städte, Gemeinden und Kantone. «Sie müssen zum Verkauf stehende Grundstücke um jeden Preis erwerben. Langfristig zahlt sich Grundbesitz immer aus. Immer!» Den Einwand, die öffentliche Hand könne sich das gar nicht immer leisten, lässt Badran nicht gelten: «Beim Kauf von Immobilien gibt man erstens kein Geld aus, sondern schichtet nur das Vermögen um. Und zweitens hat man Erträge. Zudem ist Liquidität für die öffentliche Hand in der Schweiz nie ein Problem!»