Im zweiten Stockwerk des Experimentalgebäudes der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und Eawag in Dübendorf ZH war im Mai 2018 für zwei Studenten der Erstbezug. Die Unit «Urban Mining & Recycling» wurde im «Next Evolution in Sustainable Building Technologies», kurz Nest, als Dreizimmerwohnung konstruiert.
Seit Anfang Jahr teilt sich der Doktorand Kevin De France (28) aus Kanada die rund 120 Quadratmeter grosse Wohnung mit einer Studentin aus Polen. Die offene Küche mit Essbereich und Wohnzimmer nutzen sie gemeinsam. Ihnen stehen zusätzlich je ein eigenes Schlaf- und Badezimmer zur Verfügung. Die moderne WG wirkt hell, ordentlich und wohnlich. Bis hierhin unterscheidet sich die Unit kaum von anderen Studentenbuden.
Prototyp im Alltagstest
Es gibt aber wesentliche Unterschiede: Die Materialien in der wandelbaren Unit des Empa-Forschungsgebäudes sind wiederverwertet, waren zum Teil schon irgendwo in anderer Form im Einsatz oder sind biologisch abbaubar.
So waren die Türgriffe beispielsweise vorher in einem Bankgebäude in Brüssel, und Teile der Fassaden sind wiederverwendete Kupferplatten eines Hoteldachs in Österreich. Zur Dämmung wurden unter anderem Textilien wie alte Jeans oder Hanf verwendet. Zelluloseabfälle und Pilz-Myzelium ersetzen konventionelle Unterputzplatten.
Sprich: Zu einem grossen Teil wurde in der Wohnung Abfall zu Forschungszwecken verbaut. Zu riechen ist davon aber nichts, und optisch zeigt sich die frühere Verwendung auch erst bei genauem Hinsehen. «Das Badezimmer ist besonders cool», findet der Kanadier. Dort ist die Wandverkleidung auffällig. Ausgediente weisse Küchen-Schneidbretter und blaue Getränkeflaschendeckel wurden zu pflegeleichten und hygienischen Wandplatten für den Bad-Bereich verarbeitet. Die Armaturen bei den Lavabos sind ein Prototyp aus dem 3D-Drucker, die von den Studenten vorerst noch auf Gebrauchstauglichkeit geprüft werden.
Reges Interesse an Führungen
Die moderne Mietwohnung im Nest ist bei Studenten und Forschenden der Empa begehrt. De France meint: «Ich finde es spannend, hier zu wohnen und mit meinen Alltagserfahrungen einen Teil zur Weiterentwicklung dieses Forschungsprojekts beizutragen.» Dafür muss der Kanadier seine Erfahrungen schriftlich festhalten. Regelmässig können zudem Besuchergruppen die Unit besichtigen und sich in den offenen Wohnräumen von De France und seiner Mitbewohnerin umsehen. Die Schlafzimmertüren bleiben verschlossen.
Während unseres Interviews besuchen zwei geführte Gruppen die Wohnräume. «Das stört mich nicht. Häufig bin ich an der Arbeit und bekomme davon nichts mit, und wenn ich zu Hause bin, sind die Besucher sehr respektvoll», sagt der Chemie- und Biologie-Ingenieur, der noch bis zum Abschluss seiner Doktorarbeit im Sommer im Nest wohnen darf.
Der minimalistische Einrichtungsstil entspricht genau seinem Gusto. Mehr als ein Bett, ein kleiner Holzschrank und ein Schreibtisch mit einer aus gepressten Getränkekartons bestehenden Platte finden sich in seinem Schlafzimmer nicht. «Ich hab hier alles, was ich brauche.»
Neue Wege in der Bauindustrie
Der Stuttgarter Architekt Werner Sobek, der mit den Forschern Dirk Hebel und Felix Heisel vom Karlsruher Institut für Technologie für das Konzept der Unit verantwortlich ist, hat bewusst auch Wert auf Ästhetik gelegt. Das Grundprinzip der ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft muss auch optisch ansprechen, damit es im Baubereich der Zukunft markt- und massentauglich wird.
Davon ist auch der Gesamtprojektleiter und Innovation Manager der Unit, Rico Marchesi, überzeugt: «Bei immer knapper werdenden Ressourcen muss sich die Bauindustrie vermehrt Gedanken machen, wie Materialien mehrfach genutzt werden könnten. Wir liefern Ideen und experimentieren im Nest für nachhaltige Materialverwendung und Bauweisen.»
Im 2016 eingeweihten Nest-Haus in Dübendorf ZH werden neue Bau- und Energietechnologien erforscht und der Innovationsprozess im Gebäudebereich beschleunigt. Es besteht aus einem zentralen Rückgrat und drei offenen Plattformen, auf denen unterschiedliche Gebäudemodule (Units) hineingeschoben, umgebaut und wieder herausgenommen werden können. Im Nest arbeiten nationale und internationale Forschungsteams mit Architekten, Firmen und Partner aus der öffentlichen Hand, Wirtschaft und Baubranche zusammen.
Im 2016 eingeweihten Nest-Haus in Dübendorf ZH werden neue Bau- und Energietechnologien erforscht und der Innovationsprozess im Gebäudebereich beschleunigt. Es besteht aus einem zentralen Rückgrat und drei offenen Plattformen, auf denen unterschiedliche Gebäudemodule (Units) hineingeschoben, umgebaut und wieder herausgenommen werden können. Im Nest arbeiten nationale und internationale Forschungsteams mit Architekten, Firmen und Partner aus der öffentlichen Hand, Wirtschaft und Baubranche zusammen.