Ein Mann ohne Allüren
So wohnt der preisgekrönte Architekt Gus Wüstemann (53)

Der mehrfach ausgezeichnete Architekt Gus Wüstemann realisiert mit seinem Team weltweit herausragende Bauten. BLICK hat den Architekten zuhause in Zürich besucht. Im Rahmen von Open House Zürich öffnet er seine Tür demnächst für die breite Öffentlichkeit.
Publiziert: 20.09.2019 um 09:03 Uhr
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Der preisgekrönte Architekt Gus Wüstemann realisiert mit seinem Team weltweit Bauprojekte und Wohnräume. Seine Zürcher Mietwohnung entspricht auch seiner persönlichen Philosophie.
Foto: STEFAN BOHRER
Corine Turrini Flury (Text), Stefan Bohrer (Fotos)

Am Morgen noch in Barcelona, empfängt Gus Wüstemann gegen Mittag in Jeans und Shirt BLICK in seinem Zuhause in Zürich. Es ist keine exklusive Adresse an der Zürcher Goldküste oder am Zürichberg, wie man es bei einem preisgekrönten Architekten vermuten könnte. Wüstemann lebt in einem modernen Mehrfamilienhaus, inmitten von älteren Wohnblocks und einem Schulhaus mit Sportanlage in Zürich-Albisrieden.

Im ersten Stockwerk des Gebäudes aus Sichtbeton bewohnt Gus Wüstemann eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung für rund 1500 Franken. Im gleichen Neubau mit Viereinhalb- und Dreieinhalb-Zimmer-Wohnungen ist auch eine WG eingemietet, hier leben Familien mit Kindern oder Alleinerziehende.

Die Dachterrasse wird gemeinsam für Feiern oder zum Entspannen genutzt, auch die Waschküche teilen sich die neun Wohnparteien. Das Schlagen der Kirchenglocke ist auf dem Balkon zu hören, genauso wie die Kinder auf dem nahen Pausenplatz oder das quengelnde Kleinkind vor dem Hauseingang. Hier wird gelebt und Wüstemann gefällt das. «Ich wohne hier unglaublich schön und gern», sagt der Architekt und lässt seinen Blick zum Üetliberg schweifen. 

Eine weitere Architekturauszeichnung

Dass ein Architekt seine realisierten Projekte lobt, ist keine Seltenheit. Aussergewöhnlich ist eher, dass ein mehrfach ausgezeichneter Architekt auch in einem seiner realisierten Wohnobjekte mit sozialer Durchmischung auf wenig Wohnraum lebt.

Günstigen und qualitativ guten Wohnraum in Zürich zu schaffen – «gute Architektur für alle» –, das war die Vorgabe der I+B Bächi Stiftung an Gus Wüstemann Architects für diesen Ersatzbau in Zürich-Albisrieden. Wüstemann und sein Team haben geliefert und an der Langgrütrasse den Beweis erbracht. Das hat ihnen diesen Frühling einen weiteren Architekturpreis eingebracht: Gold beim «Best Architects»-Award, der mittlerweile zu den renommiertesten Auszeichnungen in Europa gehört. 

Ein Mann ohne Allüren 

Die Preise sind für Wüstemann kein Grund, abzuheben. Als Stararchitekt, wie er in den Medien oft genannt wird, will der Mann mit den markanten Gesichtszügen, der vor seinem Architekturstudium als Model tätig war, keinesfalls erwähnt sein. «Hinter all unseren Erfolgen steht immer ein ganzes Team», sagt er. Bescheidenheit trifft eher auf den Architekten zu, einen luxuriösen Lifestyle pflegt er nicht. Weder an seinem Zweitwohnsitz in Barcelona, wo er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in einer umgebauten Wohnung lebt und ein weiteres Architekturbüro besitzt, noch in Zürich, wo er meist mit dem Fahrrad unterwegs ist.

Bescheidenheit zeigt sich auch beim Betreten seiner Zürcher Wohnung. Knapp 30 Quadratmeter umfasst sein Zürcher Wohnzimmer. Die beiden Fensterfronten lassen den Raum optisch grösser wirken. Sie lassen sich komplett öffnen, so dass der Raum wie ein Openair-Wohnzimmer wirkt und mit der begrünten Umgebung verschmilzt.

Low-Budget-Wohnungen mit 60 Quadratmeter Wohnfläche

Die Einrichtung des Architekten ist minimalistisch, genauso wie die reduzierte Innenausstattung der gesamten Wohnungen. Zwei Grünpflanzen zwischen viel Beton und Holz sind die einzigen Farbtupfer in Wüstemanns Wohnzimmer, der nur über eine Liege und zwei Schwarzweissbilder eines von ihm erstellten Wohnobjekts in Marbella verfügt. «Hier lümmle ich mich gern vor den Fernseher und mache es mir gemütlich.»

Zusätzliche Sitzmöglichkeit bietet die gegenüberliegende Bank aus Beton direkt an der Wand mit indirekter Beleuchtung. Natürliche und künstliche Lichtquellen sind mitunter ein wesentlicher Faktor der im Standard reduzierten Wohnungen, der für ein grosszügiges Wohnambiente sorgt. Die Übergänge zum Bad und den beiden Schlafzimmern sind ebenfalls fliessend, was wiederum dazu beiträgt, dass die geringe Gesamtwohnfläche von nur rund 60 Quadratmetern nicht spürbar ist. 

«Es war eine Herausforderung, dieses Mehrfamilienhaus mit den Low-Budget-Wohnungen zu erstellen, aber es ist möglich», erklärt Wüstemann. Gespart wurde beim Mehrfamilienhaus vorwiegend an der Wohnfläche, aber nicht an der Qualität. Reduktion des Einzelnen auf das Nötige und mehr für die Gemeinschaft, entspricht dem Zeitgeist der Nachhaltigkeit, insbesondere in Städten und deren Wohnbauentwicklung. Es entspricht aber auch der gelebten Philosophie von Wüstemann.

Wer sich dann beim Betreten der offenen Küche mit den Fichtenfronten fragt, wo Wüstemann kocht, weil er vergeblich einen Herd sucht, der sollte sich die clevere Lösung an den Führungen im Rahmen von Open House Zürich von Gus Wüstemann persönlich demonstrieren lassen. Der Architekt öffnet dann, wie viele andere, seine Tür für die Öffentlichkeit und steht für Fragen zur Verfügung.

Zum vierten Mal Open House Zürich 

Das Architektur- und Stadterlebnis Open House Zürich findet dieses Jahr am Wochenende vom 28. und 29. September zum vierten Mal statt. Angeboten werden Besichtigungen und Führungen in über 100 Gebäuden, ausgewählte Bauten aus allen Epochen, die aufgrund ihrer architektonischen und städtebaulichen Qualitäten von besonderem Interesse sind.

Bereits am 19. September startet das Rahmenprogramm Open House Plus. Neben den Besichtigungen der über 100 Gebäude und Aussenräume bietet das Rahmenprogramm eine Reihe von Veranstaltungen bestehend aus Architekturtalks, Filmvorführungen, Präsentationen, Workshops und Ausstellungen an.

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