Das «United States Patent» trägt die Nummer 3,691,140 und hat die Oberzeile Silver, englisch für Silber. Das passt doppelt, denn Silver heisst der Erfinder, und seine Erfindung, die er am 9. März 1970 patentieren lässt, ist damals kein goldwürdiger Sieg. Sein Arbeitgeber, der amerikanische Multi-Technologiekonzern 3M, kann zunächst nichts mit Silvers Klebstoff anfangen.
Acrylate copolymer microspheres – auf Deutsch: Mikrokügelchen aus Acrylates Copolymer – lautet die komplizierte Bezeichnung, die der 1941 in Texas geborene Chemiker Spencer Ferguson Silver 1968 im 3M-Hauptsitz in Saint Paul (Minnesota) erfindet.
Acrylates Copolymer ist ein wasserlöslicher Kunststoff, der häufig in Kosmetikprodukten vorkommt: In Duschgels sorgt er für einen Film auf der Haut, in Make-up-Produkten wirkt er als Bindemittel, und in Haarwachs verhindert er das elektrostatische Aufladen der Frisur.
3M und Dreifaltigkeit als Segen
Nichts davon braucht die Minnesota Mining and Manufacturing Company, kurz: 3M. Die 1902 gegründete Firma ist spezialisiert auf Beschichtungen und erfindet 1923 das erste wasserfeste Schleifpapier, 1930 transparentes Klebeband (Scotch) und 1947 das Audio-Magnetband für Tonaufnahmen.
Silver soll für 3M wieder einen solchen Meilenstein entwickeln: einen Superkleber, stärker und kräftiger als alles auf dem Markt. Bei seinen Forschungen entdeckt der Chemiker aber bloss die Mikrokügelchen, durch die Klebstoffe ihre Hafteigenschaft behalten, sich jedoch wegen der speziellen Beschaffenheit leicht von der Oberfläche ablösen lassen.
Ohne genau zu wissen, was seine Entdeckung bringt, lässt er sie vor genau 50 Jahren patentieren. Und auch sonst gibt Silver nicht klein bei: Mehrere Jahre versucht er, seinen schwach haftenden Klebstoff zu fördern und hält dafür firmeninterne Seminare ab – zunächst ohne Erfolg.
Doch das Beschwören der Arbeitskollegen trägt auf die Dauer Früchte. Denn an einem solchen Seminar von Silver nimmt einmal der zehn Jahre ältere Arthur Fry teil, der schon seit 1953 Produkteentwickler beim Chemieunternehmen ist und in seiner Freizeit in einem Kirchenchor singt. Und diese Mischung aus 3M und Dreifaltigkeit erweist sich als Segen.
4000 Post-it-Produkte für über 150 Länder
1974 ists, da erinnert sich Fry an Silver. Wie jeden Mittwochabend bereitet der fromme Mann das Gesangsbuch für den Sonntag vor und markiert die zu singenden Kirchenlieder mit Papierstreifen. Spätestens im Gottesdienst, wenn Fry im Chor steht, fällt der letzte Schnipsel zu Boden, die anderen Markierungen fielen schon früher raus oder verrutschten. Silvers nutzloser Leim könnte da helfen: Ein Zettelchen damit beschichten, schon haftet es auf einer Seite wie ein Lesezeichen und lässt sich wieder ablösen.
In seinem Keller experimentiert Fry an der idealen Mischung des Leims, der keine Spuren auf den Buchseiten hinterlässt. Diese Perfektion erreicht das Produkt auch nach der Markteinführung nie. So warnt die National Archives and Records Administration (Nara), das Nationalarchiv der USA, eindringlich vor der Verwendung von Post-its als Lesezeichen, weil beim Ablösen Schrift am Klebeband haften bleiben kann und auf der Seite ein giftiger Film zurückbleibt, der das Papier zersetzt.
Gut, entwickelt Fry zusammen Silver das Produkt weiter, denn die beiden Chemiker erkennen: Die Kombination von Kleber und Papier hat Potenzial. «Uns wurde klar, dass es sich nicht nur um ein einfaches Lesezeichen handelt», so Fry, «sondern um ein neues Kommunikationsmedium.» Wie wahr!
«Bitte umgehend korrigieren», «Mutter hat angerufen», «Wir sind schon im Mittag»: Es gibt heute wohl kaum jemanden auf der Welt, der noch nie ein Post-it geklebt hat. Die Haftnotizzettel sind in mehr als 150 Ländern in Umlauf und gehören zu den fünf gebräuchlichsten Büroartikeln. Ursprünglich aus der Not als fahlgelbe 76 mal 76 Millimeter grosse Papierchen entstanden, gibt es Post-its heute in allen Farben und Formen – über 4000 Produkte, wie die 3M-Pressestelle sagt.
«Ein klebriges Stück Papier»
Ansonsten ist das Unternehmen sehr zugeknöpft und gibt keine Auskunft zum aktuellen Erfolg. Vor 15 Jahren errechnete die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», dass 3M alleine mit Post-its auf der ganzen Welt dreistellige Millionenbeträge umsetzt. «Würde man die Post-it-Jahresproduktion Zettel an Zettel aneinanderkleben, so käme man auf rund zehn Millionen Kilometer», so die «FAZ». «Die Strecke zum Mond wäre damit gleich fünfundzwanzigfach zugeplastert.»
Das US-Wirtschaftsmagazin «Forbes» zählt das Post-it zu den «100 bedeutendsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts». Und Robert Thompson, Professor für Populärkultur an der Universität Syracuse im US-Bundesstaat New York, sagt neulich: «Die Post-it-Zettel zählen zu jenen Dingen, die einfach nicht mehr besser werden können, als sie jetzt schon sind.»
Im Gegensatz zu Leim aus der Tube ist Silvers Klebstoff bereits ausgehärtet. Es gibt also keine chemische Reaktion mehr. Die Mikrokügelchen verkleinern die Kontaktfläche zwischen dem Post-it und der Gegenseite und haben winzig kleine Härchen. Die halten sich wie Tentakel eines Tintenfischs an glatten, sauberen Flächen fest. Unverschmutzt lässt sich ein Post-it so mehrfach umkleben.
«Ein klebriges Stück Papier», soll der damalige 3M-Konzernchef die ersten Versuche von Fry bezeichnet haben – es braucht also noch viel Überzeugungsarbeit und einige Zeit von den Kellerexperimenten bis zur Marktreife. Am besten, man zeigt den Nutzen, sagt sich Fry und schickt seinem Vorgesetzten Akten, darauf ein Klebezettel mit einer Notiz. Andere Akten kommen zurück – mit einer Antwort auf dem gleichen Zettel. Nach langem Hin und Her steht zuletzt geschrieben: «Hey, das macht süchtig!»
Von Press & Peel zu Post-it
Nachdem die Bosse angefixt sind, geht es darum, die Kundschaft vom neuen Klebestoffe abhängig zu machen. 1977 will man die Haftnotizzettel als Press & Peel (drücken & schälen) unter die Leute bringen. Doch niemand weiss so recht, was man damit machen soll.
3M verändert darauf die Strategie: 1978 verteilen Trainer massenweise gelbe Klebeblöcke an Unternehmen und erklären den Mitarbeitern deren Verwendung. Als Übungsfeld wählt man dabei die Stadt Boise, etwa so bevölkerungsreich wie Genf, Hauptort des Bundesstaats Idaho im Mittleren Westen der USA. Die Aktion heisst «Boise Blitz» und schlägt ein: Der Erfolg der Klebezettel ist lanciert.
1979 präsentiert 3M das Produkt erstmals als Post-it (kleb es!) – ein zackiger Zweisilber im Befehlston. Ein sprachlicher Glücksgriff: Der Markennamen steht heute für alle Klebezettel, auch wenn sie nicht von 3M hergestellt sind. Am 6. April 1980 ist es dann so weit: 3M bringt die Post-it-Blöcke auf den US-amerikanischen Markt, ein Jahr später auf den kanadischen und europäischen.
40 Jahre nach der Markteinführung haben Post-its ihre alleinige Bestimmung als internes Bürokommunikationsmittel längst verloren und ein Eigenleben entwickelt. So kleben heute Firmen mit verschiedenfarbigen Post-its Computerspiel-Figuren wie Pac-Man oder Super Mario an die Scheiben, um nach aussen zu kommunizieren.
Post-it-Wars und Strassenschlachten
Zuweilen kann das auch eine feindselige Botschaft an das gegenüberliegende Bürohochhaus sein. Post-it-War nennt sich das, Klebezettel-Krieg, was 2012 in Paris seinen Anfang nimmt: Mitarbeiter der Firma Ubisoft kleben ein Rayman-Motiv aus bunten Papierchen an die Scheiben, worauf die Belegschaft der gegenüberliegenden Grossbank BNP Paribas mit einem schiessenden Hasen aus Klebezetteln antwortet. An der Canal Street in New York beteiligen sich später gleich mehrere Büros an einem Post-it-War – eine richtige Strassenschlacht.
Bei den Strassenschlachten in Hongkong in den letzten Monaten ist der Einsatz der Post-it-Zettel weit weniger spielerisch: Frei nach dem chinesischen Sprichwort «Blumen blühen überall» haben die Protestierenden seit Sommer 2019 in der ganzen Stadt Mauern mit Tausenden bunten Post-it-Zetteln vollgeklebt und darauf Hoffnungen, Wünsche und Verwünschungen gegenüber der Regierung notiert.
Dass sein schwach haftender Leim dereinst ganze Bürgerbewegungen zusammenhält, hätte Spencer Ferguson Silver (79) wohl nicht gedacht, als er seine Erfindung vor 50 Jahren patentieren liess.
1859: Vaseline
Der amerikanische Chemiker Robert Chesebrough steht kurz vor dem Bankrott und versucht sein Glück im Erdölgeschäft. Dort fällt ihm die glibberige Masse am Bohrgestänge auf, von dem die Arbeiter sagen, dass es Wunden heilt. 1870 gelingt Chesebrough erstmals, reine Vaseline herzustellen und lässt das Produkt 1872 patentieren.
1904: Teebeutel
Da ihm Blechdosen zu teuer sind, verschickt der amerikanische Teehändler Thomas Sullivan kleine Seidenbeutel gefüllt mit Teeblättern an seine Kunden. Wie praktisch, denkt sich da die eine und andere und tunkt den Beutel direkt ins heisse Wasser. 1929 kommt der heute bekannte Teebeutel auf den Markt.
1928: Penicillin
Die Arbeit vor den Ferien liegen zu lassen, kann durchaus etwas bringen: Der Brite Alexander Fleming stellt vor den Sommerferien eine Bakterienkultur zur Seite; als er im September zurückkommt, haben sich Schimmelpilze aus der Luft darauf abgesetzt und das Wachstum der Bakterien gestoppt – die Entdeckung des Antibiotikums.
1941: Klettverschluss
Als er von der Jagd zurückkommt, bemerkt der Schweizer Georges de Mestral winzige, festgehakte Pflanzenteile an Hose und im Fell des Hundes. Unter dem Mikroskop erkennt er die Früchte der Grossen Klette – igelartige Kugeln mit elastischen Häkchen. Nach diesem Haken-Ösen-Prinzip entwickelt de Mestral einen Verschluss.
1998: Viagra
Die blaue Pille ist ein Reinfall: Die Chemiefirma Pfizer will damit den Bluthochdruck bei Frauen und Männern senken und das Medikament gegen Brustschmerzen einsetzen. Versuche zeigen wenig Wirkung. Bei den männlichen Testpersonen kommt es allerdings zu einem unerwarteten Nebeneffekt: Das Blut schiesst bei ihnen in den Penis und führt zur Erektion.
1859: Vaseline
Der amerikanische Chemiker Robert Chesebrough steht kurz vor dem Bankrott und versucht sein Glück im Erdölgeschäft. Dort fällt ihm die glibberige Masse am Bohrgestänge auf, von dem die Arbeiter sagen, dass es Wunden heilt. 1870 gelingt Chesebrough erstmals, reine Vaseline herzustellen und lässt das Produkt 1872 patentieren.
1904: Teebeutel
Da ihm Blechdosen zu teuer sind, verschickt der amerikanische Teehändler Thomas Sullivan kleine Seidenbeutel gefüllt mit Teeblättern an seine Kunden. Wie praktisch, denkt sich da die eine und andere und tunkt den Beutel direkt ins heisse Wasser. 1929 kommt der heute bekannte Teebeutel auf den Markt.
1928: Penicillin
Die Arbeit vor den Ferien liegen zu lassen, kann durchaus etwas bringen: Der Brite Alexander Fleming stellt vor den Sommerferien eine Bakterienkultur zur Seite; als er im September zurückkommt, haben sich Schimmelpilze aus der Luft darauf abgesetzt und das Wachstum der Bakterien gestoppt – die Entdeckung des Antibiotikums.
1941: Klettverschluss
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1998: Viagra
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