Trotz etlicher Versuche in den vergangenen rund vier Jahrzehnten wurde bislang noch kein Vakzin gegen das HI-Virus entwickelt. Die Crux: HIV ist ein sehr wandelbares Virus. Wirksame Antikörper müssen daher möglichst viele Virusvarianten erkennen und unschädlich machen können. Fachleute sprechen von breit neutralisierenden Antikörpern. Nur etwa ein Prozent der Infizierten aber produziert Antikörper mit ausreichender Breite und Potenz wie sie für einen Impfstoff erforderlich wären.
Bisher lag der Fokus der Impfstoffforschung vor allem darauf, mithilfe von induzierten Antikörperreaktionen das Virus daran zu hindern, überhaupt an eine menschliche Zelle zu binden. Das Team um die Virologie-Professorin Alexandra Trkola von der Universität Zürich konzentrierte sich nun auf die zweite Verteidigungslinie: Klebt das Virus nämlich erst einmal an der Zelle, dockt die sogenannte V3-Schleife der Virenhülle an einen weiteren zellulären Rezeptor an, um schliesslich in die Zelle einzudringen. Teile dieser Schleife sind in unterschiedlichen Virusvarianten fast immer gleich und wären daher ein guter Angriffspunkt für Impfstoffe.
Nur: Bislang ging man davon aus, dass Antikörper machtlos sind, weil insbesondere die Krone der Schleife von einem anderen Teil der Virushülle sehr gut abgeschirmt wird. In ihrer aktuellen Studie berichten die Forschenden nun, dass der Angriff doch funktionieren kann - nämlich dann, wenn sich der schützende Schirm um V3 öffnet sobald das Virus an die menschliche Zelle andockt.
«Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die sogenannte V3-Krone, die Spitze des V3, als Angriffsziel lange Zeit unterschätzt wurde», sagte Trkola im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. So zeigte sich in Laborexperimenten, dass sich die V3-Krone mit neu entdeckten breit neutralisierenden Inhibitoren attackierten lässt und so dem Virus der Zutritt zur Zelle verwehrt bleibt.
«Die Potenz dieser Inhibitoren ist zwar nicht berauschend», räumte Trkola ein. «Aber dafür ist ihre breite Wirkungskraft enorm. Wenn es gelänge, analoge Antikörperreaktionen mit einem Impfstoff hervorzurufen, hätte man einen Backup, wenn die erste Verteidigungslinie des Vakzins, nämlich die Verhinderung einer Virus-Zell-Bindung, versagt hat.»
Die grosse Herausforderung liege nun darin, ein Immunogen zu entwickeln, das die Produktion der gewünschten, breit neutralisierenden Antikörper anrege. Denn aus der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie weiss man, dass das Immunsystem breit wirksame Antikörper nur sehr selten und erst in einer späten Phase der Krankheit bildet. «Die Aufgabe ist daher nicht trivial und erfordert sicher noch einige Jahre an Forschung», sagte Trkola.
Die nun neu gewonnenen Erkenntnisse stimmen sie aber zuversichtlich, dem Ziel auf dem langen Weg zu wirksamen HIV-Impfstoffen einen kleinen Schritt näher gekommen zu sein.
https://doi.org/10.1038/s41467-021-27075-0
(SDA)