Wie von Geisterhand: Steinway-Flügel spielen sich via App
Lang Lang in der Stube

Der Steinway-Flügel wird digital: Das Modell Spirio merkt sich jeden Tastendruck eines Pianisten. Weltstars lassen sich so via App ins Wohnzimmer locken.
Publiziert: 08.10.2018 um 19:09 Uhr
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Aktualisiert: 20.10.2018 um 19:46 Uhr
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Musizieren wie ein Profi: Das neue Modell Spirio der Steinway-Flügel merkt sich 
jeden Tastendruck. So kann man ganz einfach Stücke des chinesischen Superstars der Klassik Lang Lang nachspielen.
Foto: Contour by Getty Images
Reza Rafi

Das Instrument wiegt beinahe eine halbe Tonne. Aus ihm ertönt federleichte Musik. Lang Lang spielt die «Nocturnes» von Frédéric Chopin; piano ma non troppo. Die Komposition gehört zu den Paradestücken des chinesischen Superstars der Klassik – bloss: Lang Lang sitzt gar nicht da. Der Klavierstuhl ist leer. Die Tasten des Steinway-Flügels bewegen sich wie von Geisterhand.

Der Flügel, der vor uns steht, ist das ­Nonplusultra, was der Markt zu bieten hat. Spirio heisst das neuste Produkt des Klavierherstellers Steinway & Sons, diesen Sommer lanciert. Die Firma beherrscht schon jetzt den Markt für Flügel – 96 Prozent aller Konzertsolisten spielen auf einem Steinway. Wer derart dominiert, hat sich selber zum grössten Konkurrenten  ­Innovation ist gefragt. Zwar ist das selbstspielende Piano keine neue Idee – der mechanisch betriebene Kasten im Saloon gehört zum Westernfilm wie Cowboy und Indianer.

Das Spirio allerdings ist die Heirat von Digitalisierung und 165-jähriger Tradition. Noch ­immer wird jeder Steinway-­Flügel in geduldiger Hand­arbeit während eines Jahres aus 12 000 Einzelteilen zu­sammengebaut. Noch immer wird das Mahagoni-Holz zwei Jahre lang an der Luft getrocknet, ehe es in die charakteristische Flügelform gebogen wird. Neu aber ist der Flügel auch ein Computer. Die Software misst und speichert mit 800 Signalen pro Sekunde den Druck und die Geschwindigkeit, mit denen der Pianist die Taste drückt. So kann Spirio das Fortissimo eines Vladimir Horowitz bei Tschaikowskis erstem Klavierkonzert vom Fortissimo eines Glenn Gould unterscheiden. Natürlich merkt sich Spirio auch das Spiel eines ehrgeizigen Klavierschülers oder des Enkelbubs im Kindergartenalter, der taktlos auf die Tasten prügelt.

1836 baute Tischler Heinrich Engelhard den ersten Flügel

Als Lang Lang hörte, wie der Spirio seine Interpretation von Chopins «Nocturne» wiedergab, sagte er: «Das bin ja ich!» Steinway ist, auch wenn der Name etwas anderes vermuten lässt, eine deutsche Gründung. Der Tischlermeister Heinrich Engelhard Steinweg baut 1836 seinen ersten ­Flügel. 1850 wandert er in die USA aus und nennt sich fortan Steinway. Das Geschäft blüht, 1880 gründet er eine Steinway-Fabrik in Hamburg. Das transatlantische Business gerät nur zweimal unter Druck: während der Grossen Depression in den 30er-Jahren und in der Nazizeit. In der grossen Wirtschaftsbaisse musste das Werk in den USA für zwei ­Jahre schliessen und den Klavierbestand verkaufen. Die Manufaktur in Hamburg wurde vom Dritten Reich als «Feindvermögen» eingestuft und 1941 unter Aufsicht eines deutschen Treuhänders gestellt. 1943 zerstörte ein Bombenangriff die alte Hamburger Steinway-­Fabrik. In Amerika wurde Steinway während des Krieges dazu verknurrt, statt Pianos Segelflugzeuge und Särge zu produzieren.

Mittlerweile ist die Steinway-Welt wieder im Lot. Die zwei Produktionsstätten in Hamburg und New York laufen auf Hochtouren. Durchschnittlich werden an der Alster jährlich rund 1200 Instrumente hergestellt. In Asien sind neue Märkte entstanden. Allein in China werden Heerscharen von Kindern an den Tasten getrimmt.

Eine Nachfrage existiert freilich auch in der Alten Welt – wer in ­seinem Fuhrpark bereits einen ­Bentley, zwei Porsches (einer für sie, einer für ihn) und einen schwarz lackierten Defender gegen die Midlife Crisis stehen hat, kauft sich eine Yacht. Wem dies zu ­obszön ist und lieber Kultiviertheit ­demonstrieren will, bestellt sich ­einen Spirio: Zum Gläschen Dom Perignon an der herbstlichen Soiree in der Villa mit Sichtbeton spielt via App Diana Krall eine Jazz-Session.

Drei Jahre dauert die Produktion eines Spirio bei Steinway

Privatkunden machen aber nur ­einen kleinen Teil aus – Steinway beliefert vor allem institutio­nelle Kunden: Konzerthäuser, Kultur­zentren, Musikschulen. Natürlich steht auch in der «Elfi» ein Steinway, das ist Ehrensache. «Elfi» ist der Übername, mit dem die Hamburgerinnen und Hamburger das neuste Wahrzeichen ihrer Stadt, die Elbphilharmonie, nennen – mit einer Mischung aus Stolz und leichter Ermattung ob der scheinbar nicht enden wollenden Jahre, bis der ­Kulturtempel am Hafen eingeweiht wurde. Hohe Preise kennt man in der Hansestadt: Statt der ursprünglich budgetierten Baukosten von 77 Millionen berappten die Steuerzahler 866 Millionen Euro.

Der Preis für einen Spirio wirkt da im Vergleich geradezu bescheiden: Er ­bewegt sich zwischen 75 000 und 160 000 Euro – das bei einer dreijährigen Produktionszeit und ­grundsolider Handarbeit. Nach oben gibt es keine Grenzen, die ­Firma berücksichtigt jeden noch so originellen Einzelwunsch. Bei der Tour durch die Werkhallen in Hamburg erzählt ein Mitarbeiter von ­einem asiatischen Kunden, der für seine Tochter einen pinken Steinway mit Glitzerverzierung ­anfertigen liess. Seit 1989 verzichtet man auf den Gebrauch von ­Elfenbein für die Tasten.

Ein Flügel, der ein Computer ist; ein Computer, der ein Flügel ist

Der milliardenschwere Hedgefondsmanager John Paulson geht noch einen Schritt weiter: Aus ­Freude an der Musik kauft er nicht einen Spirio, sondern gleich den ganzen Steinway-Konzern. Seit 2013 gehört Steinway & Co. Inc dem Amerikaner.

Lang Lang jedenfalls ist bescheiden, wenn man an die ­Ansprüche mancher Klienten denkt. In einem Interview mit der «Zeit» freut er sich wie ein Kind, als ihm die Journalisten ein Plastikspielzeug schenken: «Ein Transformer! Wie cool! Da habe ich heute Abend was zum Spielen.» Nun ist der Chinese als Daten­signal selber in einem Gerät ­verewigt, das eine Art Transformer auf höherem Niveau ist – ein ­Flügel, der ein Computer ist; ein Computer, der ein Flügel ist.

Zahlen und Fakten zu Steinway
  • 1 Kubikmeter Holz wird für einen Flügel verarbeitet.

  • 36 Monate dauert die Herstellung.

  • 1989 verzichtet Steinway fortan auf die ­Verwendung von ­Elfenbein.

  • 609'000 Instrumente hat Steinway insgesamt verkauft.

  • 96 Prozent aller ­Konzertpianisten spielen auf einem Steinway.

  • 74'690 Euro ist der ­günstigste Preis, ab dem man einen Spirio erstehen kann.

  • 1 Kubikmeter Holz wird für einen Flügel verarbeitet.

  • 36 Monate dauert die Herstellung.

  • 1989 verzichtet Steinway fortan auf die ­Verwendung von ­Elfenbein.

  • 609'000 Instrumente hat Steinway insgesamt verkauft.

  • 96 Prozent aller ­Konzertpianisten spielen auf einem Steinway.

  • 74'690 Euro ist der ­günstigste Preis, ab dem man einen Spirio erstehen kann.

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