Forschergruppe warnt
Reines Online-Lesen macht doof

Nachrichten, Geschichten, Schulstoff – wir lesen immer mehr online. 
Nur gut ist das nicht, postulieren 130 Forscher aus ganz Europa in einer gemeinsamen Erklärung.
Publiziert: 27.01.2019 um 09:10 Uhr
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Aktualisiert: 17.03.2023 um 14:39 Uhr
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Ein Netzwerk von europäischen Forschern warnt davor, dass das digitale Lesen das Lesen auf Papier ganz ablöst.
Foto: Getty Images
Rebecca Wyss

1. Wie unterscheidet sich das Lesen auf Papier vom digitalen Lesen?

Der Unterschied zwischen dem Lesen auf Papier und am Bildschirm ist gravierend. Längere Texte verstehen wir besser, wenn wir sie auf Papier lesen. Das gilt nur für Texte, die Informationen vermitteln – wie Unterrichtsstoff oder Medienberichte. Nicht aber für ­narrative Stücke wie Romane oder Kurzgeschichten. Das trifft auch auf die jüngere Generation zu, den Digital Natives, die mit dem Computer aufwächst. Diese Erkenntnisse stammen aus einer Auswertung von über 50 Studien, die die Forscher-Gruppe des E-READ-Netzwerks jüngst publik machte. Das Netzwerk wird von der EU gefördert und widmet sich dem Lesen in Zeiten der Digitalisierung.

2. Welche Gefahren birgt das digitale Lesen?

Wir erleben einen vollkommen neuen Umgang mit Texten. Die durchschnittlich pro Tag und Kopf konsumierte Textmenge hat gewaltig zugenommen. Das hat mehrere Folgen. Online überfliegen wir Texte viel häufiger und merken uns den Inhalt weniger gut. Vor allem dann, wenn wir nicht viel Zeit haben und unter Druck stehen. Hinzu kommt: Links, die zu anderen Inhalten führen, eingebettete Videos oder immer wieder mal eine Nachricht, die von Whatsapp und Co. aufploppt – das macht es fast unmöglich, konzentriert und kontinuierlich einem Textverlauf zu folgen. Wenn wir hingegen einen längeren Text gedruckt vor uns liegen haben, lesen wir ihn viel sorgfältiger durch.

3. Warum ist es so wichtig, lange Texte lesen zu können?

Die Forschergruppe warnt davor, dass das Überfliegen und das ständige Abschweifen zur Gewohnheit nachfolgender Generationen werden. Denn gerade indem wir uns durch längere Texte kämpfen und lernen, mit diesen umzugehen, ­erweitern wir unseren Wortschatz, unser Gedächtnis und trainieren unsere Konzentration. Wir tendieren auch mehr dazu, bei einem Thema zu verweilen, uns Gedanken zu machen und es richtig zu verstehen. Genau das braucht es, um für die Zukunft gerüstet zu sein, wie Gerhard Lauer, einer der 130 Forscher und Literaturwissenschaftler der Uni Basel, sagt. «Die Digitalisierung bringt immer kompliziertere Jobs hervor. Diese kann nur machen, wer mit langen und komplexen Texten umgehen kann.»

4. Verdummt die digitale Gesellschaft?

Nein! Gerhard Lauer relativiert die Warnung der Forschergruppe: «In der Schweiz ist heute das Leseniveau im internationalen Vergleich sehr hoch.» Das gelte für alle Länder mit einer geringeren sozialen Ungleichheit. Er betont zudem: «Soziale Plattformen, auf denen User Geschichten präsentieren und lesen, boomen.» Und diese Geschichtenplattformen wie Wattpad.com seien gerade bei jüngeren immer beliebter. Zwar ist es noch so, dass die Mehrheit der jüngeren Generation ihre Informationen von Youtube oder von Kurznachrichten auf Medienportalen bezieht. Dass aus ihnen einmal alles Erwachsene werden, die nur schlecht lesen ­können, ist hingegen nicht gesagt: «Man kann lernen, längere und kompliziertere Texte auf dem Bildschirm zu lesen», so Lauer.

5. Was ist nötig, damit die Jugend in Zukunft konzentriert liest?

Ob jemand gut mit längeren Texten umgehen kann, hängt vor allem von den Eltern und der Schule ab. Studien zeigen, dass Menschen mit höherer Bildung mehr Geld für Medien mit längeren Texten ausgeben. Diese Haltung geben sie ihren Kindern weiter. Kinder, die aus sozial schwächeren Familien kommen, haben oft einen Nachteil. Umso mehr ist die Schule gefordert. «Lehrer müssen Schülern beibringen, wann ein Buch als Informationsquelle gut ist und wann Wikipedia reicht», sagt Lauer. Die Forscher fordern: «Man sollte Schülern und Studenten Strategien beibringen, die sie nutzen können, damit ihnen tiefes Lesen auf digitalen Geräten gelingt.»

6. Wie werde ich Profi für längere Texte?

Die Forschung zeigt: Wie und was wir lernen, wissen und können, hängt von Aspekten ab, die den ganzen Körper betreffen. Indem wir einen Text mit verschiedenen Sinnen wahrnehmen, können wir uns dessen Inhalt besser merken. Etwa indem wir das Gewicht eines Buches spüren und dessen Lage in der Hand. Beim digitalen Lesen fehlt dieses körperliche Gedächtnis. Deshalb raten Experten, nicht nur am Bildschirm Inhalte zu konsumieren, sondern auch regelmässig in einer Zeitung oder einem Buch zu lesen. Wer sich jeden Tag einem längeren Text widmet, verbessert seine Lesekompetenz.

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