Wo Brennstäbe 100'000 Jahre lagern sollen
Zu Besuch bei den Atommüll-Pionieren

In Schweden wird derzeit für das weltweit erste Endlager für hochaktiven Atommüll geforscht. Ein Besuch im Felslabor zeigt, was die Schweiz von Schweden lernen kann.
Publiziert: 12.07.2019 um 16:17 Uhr
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Das Felslabor Äspö befindet sich in der Nähe des Atomkraftwerks Oskarshamn.
Foto: SKB
Roman Rey @higgsmag

Es ist dunkel, feucht und kühl. Ich stehe in einem tropfenden Tunnel 450 Meter unter der Erdoberfläche – genauso wie die radioaktiven Abfälle, die eines Tages in der Tiefe verscharrt werden sollen. Hier, im Felslabor Äspö in Schweden, suchen Forscher nach der besten Methode, Atommüll für mindestens 100'000 Jahre von unserem Lebensraum fernzuhalten.

«Wir machen öffentliche Führungen, um den Leuten die Angst zu nehmen», sagt Eva Häll von der Entsorgungsgesellschaft SKB. Diesmal ist eine Gruppe von Journalisten aus der Schweiz zu Gast. Das Gebäude an der Oberfläche erweckt den Anschein eines Landhauses. Es ist umgeben von praktisch unberührter Natur mit Seen und Wäldern.

Forschung für das erste Hochaktiv-Endlager

Man händigt mir eine Sauerstoffmaske und einen taschenbuchgrossen Sender aus – für den Fall, dass ich im unterirdischen Labyrinth verloren gehen sollte. Danach geht es mit dem Lift mit fünf Metern pro Sekunden in die Tiefe.

Es gäbe noch einen anderen Weg: Der 3,6 Kilometer lange Tunnel, der sich mit einem 14-Prozent-Gefälle bis 460 Meter in den Erdboden windet. Links und rechts tauchen Schächte auf. Einige sind zu Testzwecken gefüllt mit Bentonit, einem tonhaltigen Füllmaterial.

Die Idee eines Tiefenlagers, wo hochaktive Materialien gelagert werden, bis sie nicht mehr gefährlich strahlen, hat sich weltweit durchgesetzt. Die Forscher des Labors Äspö nehmen dabei eine Pionierrolle ein: Ihre Methode wird im finnischen Onkalo, dem weltweit ersten Endlager für hochaktive Abfälle, zum Einsatz kommen. Es soll nächstes Jahr seinen Betrieb aufnehmen.

Skandinavien ist der Schweiz voraus

Bei der Methode schützen Kupferkanister, Bentonit und schliesslich das Granitgestein die Biosphäre vor dem verscharrten Atommüll. «So haben wir eine dreifache Barriere», sagt SKB-Sprecherin Eva Häll. Man wolle die Materialien mindestens 470 Meter tief unterbringen, um sie auch vor geologischen Veränderungen zu schützen – bei einer Eiszeit etwa kommt das Gestein in Bewegung.

Die Schweiz blickt aufmerksam nach Skandinavien. Oder soll man sagen, neidisch? Denn die Schweden und Finnen sind uns weit voraus. Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) rechnet damit, im Jahr 2050 ein Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle zu haben, rund zehn Jahre später eines für hochaktive Abfälle.

Ein Grund könnte die grössere Akzeptanz sein: Tatsächlich sind in den betroffenen Gemeinden laut aktuellen Befragungen mehr als 80 Prozent der Anwohner für ein Tiefenlager. Als 2009 das Areal des Atomkraftwerks Forsmark in Südschweden für ein Endlager auserkoren wurde, freute sich die Lokalbevölkerung. Läuft alles nach Plan, ist die Anlage 2025 betriebsbereit.

Zweifel an Sicherheit

Die Schweiz ist zwar ein Nachzügler, dem Geologen Marcos Buser geht es aber immer noch zu schnell. Buser war bis 2012 Mitglied in der Expertenkommission für das Schweizer Endlagerkonzept und beschäftigt sich seit 40 Jahren mit dem Thema. «Es gibt noch zu viele offene Fragen», sagt er. Mit dem aktuellen Wissensstand könne die Sicherheit eines Tiefenlagers nicht garantiert werden.

«Die Techniken müssen unter realen Bedingungen gründlich experimentell geprüft werden», fordert Buser. Er schlägt ein zentrales Lager vor, wo die Bedingungen möglichst genau rekonstruiert und getestet werden könnten – und das über einen Zeitraum von 100 bis 200 Jahren. Zum Beispiel wie sich Strahlung auf das Gestein und auf das Bentonit auswirkt, mit dem die Schächte aufgefüllt werden sollen. Die Nagra plant zwar ein solches Pilotlager, dieses soll jedoch erst kurz vor dem Hauptlager in Betrieb genommen werden und dann parallel dazu laufen.

Busers Kritik geht noch tiefer: Er fordert eine unabhängige Nagra. Diese ist heute im Besitz der AKW-Betreiber. «Die Nuklearwirtschaft hat ganz klare Interessen und nimmt Einfluss auf die Nagra», sagt Buser. «Das darf bei einem wissenschaftlichen Programm für Langzeitsicherheit nicht sein.»

Diese Nähe zur Atomlobby wird auch bei dem Besuch in Schweden deutlich: Die Informationsreise, zu der mehrere Journalisten eingeladen waren, wurde von der Nagra bezahlt und zusammen mit dem Nuklearforum, das die Interessen der Atombranche vertritt, organisiert.

«Vielen Dank, keine Kontamination»

Wenige Kilometer vom Felslabor Äspö entfernt befindet sich Clab, das zentrale unterirdische Zwischenlager für verbrauchte Brennstäbe. Nach einem gründlichen Sicherheitscheck und nach unzähligen Drehtüren und Schleusen stehen wir vor einem Bassin, in dem die strahlenden Elemente in acht Metern Tiefe lagern. 6700 Tonnen sind es in der ganzen Anlage.

Plötzlich ertönt ein Alarm. Eine Sirene, gefolgt von einer Frauenstimme aus dem Lautsprecher, die uns auffordert: «Begeben Sie sich zum nächsten Sammelpunkt.» Die Sicherheitsangestellte, die uns auf Schritt und Tritt begleitet, lacht verlegen: «Es ist nur eine Übung.»

Ich bin erleichtert – und spüre doch das Adrenalin. Nach einer Minute ist der Spuk vorbei. «Übungen gibt es regelmässig», sagt Eva Häll. «Einen Ernstfall gab es hier noch nie.»

Dennoch bleibt ein leichtes Unbehagen. Ich fühle mich, als hätte ich gerade das gesamte Gefühlsspektrum der Endlager-Diskussion durchlebt.

Erst das Felslabor, das Sicherheit und Kompetenz ausstrahlt. Und dann das leise Aber, das sich während des Alarms meldet: Was, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert? Die Experten etwas übersehen? Etwas schiefgeht?

Beim Verlassen der Anlage müssen wir alle einen gründlichen Scan über uns ergehen lassen. Mir entgleitet ein Seufzer, als die Maschine freundlich sagt: «Vielen Dank, keine Kontamination.»

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