Unser Körper misst die Höhe
Eine Zürcherin hat anderes Blut als ein Bündner

Leben wir in der Höhe, verändert sich der Anteil roter Blutkörperchen im Blut, denn die Sauerstoffzufuhr ist dort geringer. Schon ab 300 Metern merkt der Körper einen Unterscheid.
Publiziert: 10.03.2020 um 13:56 Uhr
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Wie viele rote Blukörperchen in unserem Blut sind, hängt ab von Alter, Geschlecht, Ethnizität und auch der Höhe, auf der wir leben.
Foto: Pierre Adenis/laif
Katrin Schregenberger @higgsmag

Theoretisch leidet jede zweite Frau weltweit an Blutarmut. Jedenfalls, wenn man die Hämoglobingrenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) streng anwendet. «Das kann fast nicht sein», sagt Max Gassmann vom Zürcher Zentrum für Integrative Humanphysiologie der Universität Zürich.

Gassmann unterstützt deshalb die WHO seit über zwei Jahren dabei, die Normwerte für Hämoglobin neu festzulegen. Das ist schwierig, denn allgemeingültige Normwerte gibt es nicht: Die Anzahl und Dichte roter Blutkörperchen im Blut – das ist es, was der Hämoglobinwert angibt – variiert von Mensch zu Mensch. Dabei spielt das Alter ebenso eine Rolle wie das Geschlecht, die Ethnizität und die Ernährungsgewohnheiten. Und auch: die Höhe, auf der wir leben.

Bereits ab Höhendifferenz von 300 Metern ändern sich Hämoglobinwerte

Viele kennen es: Beim hochalpinen Wandern geraten wir ausser Atem. Da die Sauerstoffzufuhr dort geringer ist, beginnt der Körper nach acht bis zehn Tagen, mehr rote Blutkörperchen zu produzieren, um mehr Sauerstoff aus der dünnen Luft aufnehmen zu können. Bisher dachte man, dass dieser Effekt erst über 1500 Metern einsetzt. Schweizer Forschende um Max Gassmann haben nun aber herausgefunden: Auch im Flachland variiert der Hämoglobinwert je nach dem, ob jemand in Graubünden auf der Alp wohnt oder in der Stadt Zürich. Die Studie ist nun in der Fachzeitschrift «Blood» publiziert worden.

Die Schweizer Forschenden untersuchten die Hämoglobinwerte von Stellungspflichtigen, die während der Rekrutierung freiwillig Blutproben abgaben. «Eine so einheitliche Probandengruppe ist weltweit einzigartig», sagt Max Gassmann, Letztautor der Studie. Die Forschenden analysierten also die Blutwerte von jungen Männern, die meist eine ähnliche Ethnizität aufweisen, sich ähnlich ernähren und ähnlich gebildet sind. Dann verglichen die Forschenden die Blutwerte mit der Höhe, auf der die angehenden Rekruten leben. Beziehungsweise: «Wir korrelierten die Wohnhöhen der Postleitzahlen mit den Hämoglobinwerten», sagt Gassmann, «und wir erhielten eine akkurate Höhenkarte der Schweiz».

Die Daten zeigen, dass sich die Hämoglobinwerte bereits ab einer Höhendifferenz von 300 Metern ändern. «Die Unterschiede der Hämoglobinwerte sind zwar klein», sagt Kaspar Staub, Erstautor vom Institut für Evolutionäre Medizin in Zürich. «Die klinische Relevanz ist aber gegeben, wenn man die Verteilung anschaut.» In der Höhe seien keine tiefen Hämoglobinwerte mehr zu finden, die Resultate seien robust.

Jede Region des Körpers braucht unterschiedlich viel Sauerstoff

Doch wie merkt der Körper bei so kleinen Höhenunterschieden, dass er mehr rote Blutkörperchen produzieren sollte? Entscheidend ist hier der Sauerstoffsensor, den jede einzelne Zelle des Körpers besitzt. Denn auch im Körper selber gilt: jede Region braucht unterschiedlich viel Sauerstoff. Hirn und Herz brauchen viel, Knorpelzellen dagegen eher wenig. Jede Zelle hat also eigene Grenzwerte. Und wenn diese Grenzwerte erreicht sind, verlangt nach mehr roten Blutkörperchen.

Der Sauerstoffsensor spielt aber bei verschiedenen Ethnien eine unterschiedliche Rolle: Die Bevölkerung des tibetischen Hochlandes zum Beispiel passt sich aufgrund einer Mutation des Sauerstoffsensors anders an die Höhe an als beispielsweise die südamerikanischen Indios. Der Sauerstoffsensor reagiert bei Tibetern viel langsamer, dafür weitet sich zum Beispiel das Lungenvolumen aus. Ihr Körper hat sich an das permanente Leben auf 4500 Metern gewöhnt. Kein Wunder, ist der Sauerstoffsensor da nicht permanent in Betrieb. Denn wenn er aktiv wird, löst das Hunderte von Prozessen im Körper aus. Darunter auch die Ausschüttung von Stresshormonen. Die Höhe stresst die Tibeter aber nicht mehr. Schweizer können da nicht mithalten.

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