Antibiotikaresistenzen sind ein globaler Notfall, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO schreibt. Besonders gross ist das Problem in Spitälern. Gemäss Schätzungen der WHO sterben «allein in Ländern der Europäischen Union jährlich 25’000 Menschen an schweren Infektionen mit Bakterien, die in einer Gesundheitseinrichtung erworben wurden».
Erst einmal lüften?
Da wundert es nicht, dass Ansätze aus der Forschung, die die Ausbreitung von resistenten Keimen verhindern könnten, mediale Aufmerksamkeit erregen. So auch eine Studie, die von der Technischen Universität Graz initiiert und in der Fachzeitschrift «Nature Communications» publiziert wurde. Ein interdisziplinäres Forschungsteam untersuchte, wie Hygienemassnahmen die Entwicklung von Resistenzen beeinflussen. Dazu verglich es alle vorhandenen Mikroorganismen und allfällige Antibiotikaresistenzen in der Intensivstation der Universitätsklinik für Innere Medizin in Graz mit ähnlich hygienisch gehaltenen Räumen der Luft- und Raumfahrtindustrie sowie mit öffentlichen und privaten Gebäuden ohne spezielle Hygienebedingungen.
Die Analysen zeigen, dass es in extrem hygienischen Räumen zwar weniger unterschiedliche Keime gibt, dafür aber mehr unterschiedliche Resistenzen als in weniger hygienischen Umgebungen. Und umgekehrt kommen in Räumen mit einer grossen Vielfalt an Keimen weniger Resistenzen vor. Laut der Meldung der TU Graz könnte es deswegen helfen, für eine stabile Vielfalt der Keime in den Spitalräumen zu sorgen, zum Beispiel mit regelmässigem Lüften, Zimmerpflanzen oder gezieltem Einsatz von nützlichen Mikroorganismen.
Die klingt ermutigend: Einfache kleine Massnahmen gegen ein komplexes grosses Problem. Doch Patrice Nordmann, Leiter des Schweizer nationalen Referenzlabors zur Früherkennung von Antibiotikaresistenzen und Resistenzmechanismen NARA in Freiburg, hält gar nichts von solchen Vorschlägen: «Das ist Unsinn.» Pflanzen zum Beispiel seien in Spitälern nicht ohne Grund verboten. Sie bringen sofort neue Bakterien in die Räume, die für kranke Menschen gefährlich sind. Eine wirksame Massnahme gegen Antibiotikaresistenzen sieht er allenfalls im Screening von Patienten, die zum Beispiel in Italien, Griechenland oder Indien hospitalisiert waren. Denn in gewissen Ländern habe man ein echtes Problem mit Resistenzen. Sinnvoll fände er zudem, wenn man das Abwasser aus den Spitälern so kanalisieren würde, dass es nicht in die Umwelt läuft. Denn dort sei eine hohe Anzahl resistenter Keime zu finden.
Alles halb schlimm
Der Mikrobiologe gibt zudem Entwarnung für die Schweiz: «Die Leute reden und reden über Antibiotikaresistenzen. In vielen europäischen Ländern vor allem Süd- und Osteuropas gibt es zwar grosse Schwierigkeiten, aber bei uns können wir optimistischer sein.» Im vergangenen Jahr seien hierzulande vermutlich nur drei bis zehn Menschen an resistenten Keimen gestorben. Alle anderen Zahlen, die man höre und lese, würden sich aus Hochrechnungen ergeben und nicht der Realität entsprechen, sagt Nordmann. «Ich bin für die nächsten fünf Jahre zuversichtlich. Die langfristige Entwicklung kann ich jedoch nicht vorhersagen, denn dafür müssten auch die vielen Resistenzen in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen berücksichtigt werden.»
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