Heute vermitteln uns Google und Wikipedia den Eindruck, fast alles sei bekannt, die Welt und ihre Bewohner lückenlos beschrieben. Doch dieser Eindruck täuscht. Die meisten Lebewesen dieser Erde kennen wir nicht. Biologen schätzen, dass von den insgesamt zehn Millionen Tier- und Pflanzenarten, die auf unserem Planeten leben, weniger als zwei Millionen bekannt sind. Jedes Jahr beschreiben Forscher rund 18’000 neue, vor allem kleinere wie Spinnen oder Käfer, aber manchmal auch grössere wie Affen oder Schlangen.
Einige dieser Arten werden gefunden, wie man sich das gemeinhin vorstellt: Biologen wandern in unerforschte Urwälder und Wüsten, sammeln dort Proben und schicken diese nach Hause. Aber auch in den Museen dieser Welt warten heute viele Arten auf ihre Entdeckung. Sie liegen jahrzehntelang vergessen in Schubladen irgendwo in Kellerarchiven. Umgeben von Millionen anderer Exemplare verlieren sie sich in der Zeit – bis ein interessierter Forscher eine Schublade öffnet, den Deckel eines Behälters abnimmt und dabei auf etwas Neues stösst.
Grossarchiv im Untergrund
Christian Kropf ist einer dieser Forscher. Der Leiter der Abteilung Wirbellose im Naturhistorischen Museum Bern (NMBE) kennt das Gefühl, Neues zu entdecken. «Viele Menschen glauben, es sei selten und quasi die Krönung eines Forscherlebens, ein neues Tier zu finden», sagt der Biologe, der sich auf Spinnen spezialisiert hat. «Doch in Wahrheit finden wir alle paar Monate eine neue Art.» Kropf nimmt uns mit in den Untergrund des Museums, das von der Burgergemeinde Bern finanziert wird. Wir nehmen den Lift in den Keller. Nach mehreren schweren Betontüren stehen wir in einem grossen, kargen Raum, in dem sich links und rechts Schränke mit Kurbeln aneinanderreihen. Es sind Rollregale. Kropf dreht an einer der Kurbeln – ein Durchgang wird frei. Er greift nach einer Schublade und bringt einen Glaskasten zum Vorschein, in dem sich eine Vielzahl von toten, präparierten Käfern befinden. «Das ist nur ein Kasten von Hunderten», erklärt Kropf. «Vor rund 180 Jahren, als hier erste Bestände angelegt wurden, wusste der Fachmann genau, was da war. Sein Nachfolger wusste es auch noch, doch die Bestände wuchsen und wuchsen, und langsam ging die Übersicht verloren», erklärt Kropf.
Knapp ein Drittel erfasst
Für den Biologen, der auch an der Universität Bern doziert, und seine Kollegen bedeutet das Sammelfieber ihrer Vorgänger nun viel Arbeit. Aber auch Vergnügen. «Bisher haben wir von unseren sechs Millionen Objekten rund 1,7 bis 1,8 Millionen beschrieben», sagt Kropf. «Die Wirbeltiere sind vollständig erfasst. Doch bei den Wirbellosen, die rund 90 Prozent der Sammlung ausmachen, wartet noch viel Arbeit. Und dort werden wir sicherlich noch zahlreiche neue Arten finden.» Im Jahr 2016 habe allein seine Abteilung rund 50 neue Spezies identifiziert. «Das waren vor allem Laufkäfer, Spinnen und Schnecken.» Ebenfalls eine neue Schneckenspezies sei vor wenigen Wochen von Kurator Eike Neubert beschrieben worden. «Die Tiere stammen aus der Türkei und liegen seit über 30 Jahren in unserer Sammlung», sagt Kropf.
Zugleich wächst der Bestand des Museums, denn die Forscher suchen auch im Feld nach neuen Arten. Sogar in der Schweiz würden noch neue Arten auftauchen. «Selten zwar», sagt Kropf, «aber es kommt vor.» So habe im Jahr 2009 sein Doktorand Holger Frick in Graubünden eine neue Spinnenart beschrieben.
Wichtig für den Schutz
Doch welchen Nutzen hat das Sammeln und Beschreiben von neuen Tieren und Pflanzen überhaupt noch? Für die Öffentlichkeit sind solche Museumsbestände oft nicht mehr als staubige Kuriositäten. Für die Forschung jedoch sind sie wichtig, heute vielleicht wichtiger denn je. Denn sie liefern eine Aufzeichnung des Lebens auf der Erde und wie es sich verändert. «Sammlungen ermöglichen es zum Beispiel, die Auswirkungen des Klimawandels zu verstehen, indem die Forscher die Arten vergleichen, die in einer bestimmten Region im Laufe der Zeit vorkommen», sagt Kropf.
Noch wichtiger sei jedoch, dass Arten nur geschützt werden könnten, wenn klar sei, dass sie existierten. «Hunderte Arten verschwinden pro Tag», sagt der Biologe. So wird die Biodiversität auf der Erde immer kleiner. «Darum ist es so wichtig zu wissen, wo welche Arten leben und wie selten sie sind: Erst indem wir sie beschreiben und damit Schwarz auf Weiss vorweisen, dass sie existieren, können wir Druck auf die Politik ausüben und so bewirken, dass Gebiete geschützt werden.»
Was seine Sammlung betrifft, ist das Naturhistorische Museum Bern nebst Genf und Basel eines der drei grössten der Schweiz. International rangiert es im Mittelfeld. Die grössten Naturhistorischen Museen wie jene in Paris, London, New York hätten das Zehnfache oder noch mehr an Beständen, erklärt Christian Kropf, Leiter der Abteilung Wirbellose des Berner Museums. So wie in Bern sind auch in den anderen Schweizer Museen die Bestände nicht vollständig erfasst. Etwa in Basel: «Wir haben über 7,7 Millionen Objekte bei uns, und da gibt es sicher noch einige neue Arten zu entdecken», sagt Interimsdirektor Basil Thüring.
In Zürich, wo sich das Naturhistorische Museum in den Räumlichkeiten der Universität befindet, gäbe es insgesamt rund eine Million Objekte, sagt Kuratorin Martina Schenkel. Und auch hier sei noch vieles unerforscht. Das Stöbern ist zeit- und kostenintensiv. Doch gerade in Zürich fehle das Geld. «Deutschland und Frankreich haben in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht, was das betrifft», sagt Schenkel. «In der Schweiz warten wir leider noch immer darauf, dass auch für Sammlungsarbeit und die Aufarbeitung von Wissenschafts- und Kulturgütern Gelder beantragt werden können.»
Was seine Sammlung betrifft, ist das Naturhistorische Museum Bern nebst Genf und Basel eines der drei grössten der Schweiz. International rangiert es im Mittelfeld. Die grössten Naturhistorischen Museen wie jene in Paris, London, New York hätten das Zehnfache oder noch mehr an Beständen, erklärt Christian Kropf, Leiter der Abteilung Wirbellose des Berner Museums. So wie in Bern sind auch in den anderen Schweizer Museen die Bestände nicht vollständig erfasst. Etwa in Basel: «Wir haben über 7,7 Millionen Objekte bei uns, und da gibt es sicher noch einige neue Arten zu entdecken», sagt Interimsdirektor Basil Thüring.
In Zürich, wo sich das Naturhistorische Museum in den Räumlichkeiten der Universität befindet, gäbe es insgesamt rund eine Million Objekte, sagt Kuratorin Martina Schenkel. Und auch hier sei noch vieles unerforscht. Das Stöbern ist zeit- und kostenintensiv. Doch gerade in Zürich fehle das Geld. «Deutschland und Frankreich haben in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht, was das betrifft», sagt Schenkel. «In der Schweiz warten wir leider noch immer darauf, dass auch für Sammlungsarbeit und die Aufarbeitung von Wissenschafts- und Kulturgütern Gelder beantragt werden können.»
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