Der diesjährige Chemie-Nobelpreis für Chemie geht an den Schweizer Jacques Dubochet, Joachim Frank (USA) und Richard Henderson (GB). Sie werden für die Entwicklung von Kryoelektronenmikroskopie geehrt, wie die Nobel-Jury am Mittwoch in Stockholm mitteilte.
Die Entwicklung der drei Forschenden ermöglicht Einblicke in die Details von Molekülen. Jacques Dubochet arbeitet an der Universität Lausanne. Er verbesserte diese Mikroskopietechnik Anfang der 1980er Jahre wesentlich, indem er die in Wasser gelösten Moleküle für die Messung rasant einfror. Dadurch behalten die Moleküle ihre natürliche Form, und ihre Struktur kann untersucht werden.
Dubochet ist nicht nur ein gestandener Forscher, er hat auch Humor, wie seine Kurzbiographie auf der Website der Uni Lausanne zeigt. Dort heisst es, er sei im Jahr 1955 als 14-Jähriger der erste Mensch mit einer offiziell anerkannten Leseschwäche im Kanton Waadt gewesen. «Das hat es mir erlaubt, in allem schlecht zu sein», schreibt Dubochet. «Und es hat mir erlaubt, die zu verstehen, die Schwierigkeiten hatten.»
An seinem ersten öffentlichen Auftritt richtete der frischgebackene Nobelpreisträger auch einen besonderen Dank an den Direktor seiner früheren Sekundarschule. «Ich war schlecht, ich schaffte es kaum auf diese Schule», sagte Dubochet. Er habe nur deshalb bleiben können, weil ein Lehrer bei ihm Dyslexie diagnostiziert habe.
Kurz nach der Pensionierung dieses Lehrers habe er die Sekundarschule verlassen müssen. Seine Eltern hätten danach eine mutige Entscheidung getroffen und ihn in eine andere Schule in Trogen im Appenzell gebracht. Dort habe er seinen Abschluss gemacht.
In seinen jungen Jahren sei er nicht gerade asozial gewesen, aber habe allgemein viele Probleme mit der Welt gehabt. «Das wurde mit jedem Jahrzehnt besser und heute finde ich, es geht ganz gut», sagte der Nobelpreisträger. Auch die 1968er-Jahre seien für ihn wichtig gewesen - er lernte seine heutige Frau kennen, die ebenfalls anwesend war.
SP-Fraktionschef gratuliert dem Genossen
Dubochet sei im Oktober 1941 von «optimistischen Eltern» gezeugt worden, heisst es im Lebenslauf weiter. Im Jahr 1946 habe er schliesslich seine Angst vor dem Dunkeln verloren. «Weil die Sonne zurückkommt; Kopernikus hat das erklärt.» Der erste Teil seiner wissenschaftlichen Karriere habe im Alter von 6 Jahren begonnen. «Instrumente: Messer, Nadeln, Schnüre, Streichhölzer.»
1967 schloss er sein Studium als Biologe ab. 1969 begann er, die Elektronen-Mikroskopie zu studieren, die sein Hauptthema blieb. 1970 folgte die Abschlussarbeit in Genf und Basel bei Eduard Kellenberger, der ihm «Biophysik, ethische Verantwortung und nachhaltige Freundschaft» beigebracht habe. Den Nobelpreis erhält er für seine Arbeit zur Kryoelektronenmikroskopie.
Als Hobbys gibt der Vater zweier erwachsener Kinder unter anderem «Berge, Natur, Politik (links)» an. Dubochet ist laut SP-Nationalrat Roger Nordmann Mitglied der Waadtländer SP.
Nordmann, der Chef der SP-Fraktion in National- und Ständerat, sieht den Nobelpreis für Chemie parteipolitisch. Er gratulierte auf Twitter Jacques Dubochet zunächst. Er vergass auch nicht zu erwähnen, wie stolz er und die Partei seien, dass ein Genosse derart geehrt werde.
Gewinner Dubochet: «Grosse Anerkennung»
«In einem solchen Moment erfüllt einen das mit dem Gefühl grosser Anerkennung», sagte Jacques Dubochet im Rektorat der Universität Lausanne (UNIL), gekleidet in blaues Hemd, schwarze Hose und Sandalen.
Gleichzeitig hob der Wissenschaftler in einer humorvollen Rede die Verdienste anderer Forscher hervor. «Die sind ja sympathisch in Stockholm», sagte Dubochet. «Aber die rücken Personen in den Mittelpunkt, stattdessen müsste man den kollektiven Effort würdigen.»
Die mit dem Preis ausgezeichnete Arbeit habe er «vor 30 Jahren» gemacht. «Mein Sohn ist im Jahr dieser Entdeckung geboren», sagte Dubochet.
Er erwähnte mehrere andere Forscher, welche sein «vitrifiziertes Wasser» vor ihm auf dem Tisch des Mikroskopes gehabt hätten. Insbesondere nannte er Nigel Unwin, welcher den Preis ebenfalls verdient gehabt hätte.
Zentral sei bei seiner Arbeit der Willen zur Zusammenarbeit gewesen, sagte der 75-jährige Waadtländer. «Ich hasse den Wettbewerb unter Personen», sagte Dubochet. Sein Team habe auf Zusammenarbeit gesetzt, wer sich nicht damit habe abfinden können, der habe gehen müssen.
Schweizer Regierung freut sich
Bundespräsidentin Doris Leuthard zeigte sich erfreut über die Vergabe des Nobelpreises an den Schweizer Forscher Jacques Dubochet. Und Forschungsminister Johann Schneider-Ammann gratulierte auf französisch.
Leuthard twitterte, diese Auszeichnung mache sie stolz auf die Schweiz. «Ich gratuliere Jacques Dubochet zum Nobelpreis für Chemie: Diese Auszeichnung ist Ausdruck Ihrer hervorragenden Forschungsarbeit und macht mich stolz auf die Schweiz», erklärte Leuthard.
Auf französisch reagierte Forschungsminister Johann Schneider-Ammann: «Toutes mes félicitations!» liess er sich auf Twitter verlauten. Die Ehre bezog der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) auch auf die Schweizer Forschung. «Science suisse honorée», twitterte er weiter.
Der Wirtschaftsverband economiesuisse gratulierte ebenfalls und wies darauf hin, dass die Schweiz ausreichend Mittel für die Forschung bereitstellen müsse. Nicht unerwähnt liess der Verband dabei, dass die Privatwirtschaft 2015 im Inland 15,7 Milliarden Franken in die Forschung steckte.
Zuletzt ging der Preis 2002 in die Schweiz
Der gebürtige Deutsche Joachim Frank arbeitet an der Columbia University in New York und legte wichtige Grundsteine für diese Technik zwischen 1975 und 1986. 1990 gelang es Richard Henderson vom MRC Laboratory of Molecular Biology, Cambridge, die 3D-Struktur eines Proteins in atomarer Auflösung zu erzeugen. In jüngster Zeit wurde beispielsweise die Struktur des Zika-Virus mit dieser Technik entschlüsselt.
Im vergangenen Jahr erhielten der Franzose Jean-Pierre Sauvage, der gebürtige Brite James Fraser Stoddart und der Niederländer Bernard Feringa den Chemie-Nobelpreis. Sie entwickelten «molekulare Maschinen»: eine Art Lift, künstliche Muskeln und ein Nano-Auto. Alles aus nur wenigen Molekülen.
Zum letzten Mal ging der Nobelpreis 2002 an die Schweiz. Ausgezeichnet wurde Kurt Wüthrich – ebenfalls für Chemie. 1996 erhielt Rolf M. Zinkernagel den Nobelpreis für Medizin. Weitere bekannte Träger sind Albert Einstein, der 1921 im Bereich Physik ausgezeichnet wurde. Und der allererste Friedensnobelpreis überhaupt ging 1901 an Jean Henri Dunant – den Gründer des Roten Kreuzes.
Die Chemie-Nobelpreisträger seit 2007
Die seit 1901 verliehenen Chemie-Nobelpreise gingen vor allem an amerikanische Forscher. Die erste Auszeichnung erhielt der Niederländer Jacobus van't Hoff für die Entdeckung von Gesetzen der Osmose. Die Preisträger der vergangenen zehn Jahre sind:
2016: Der Franzose Jean-Pierre Sauvage, der gebürtige Brite James Fraser Stoddart und der Niederländer Bernard Feringa. Sie bauten aus nur wenigen Molekülen etwa künstliche Muskeln und ein Mini-Auto.
2015: Tomas Lindahl (Schweden), Paul Modrich (USA) und Aziz Sancar (USA/Türkei), die Erbgut-Reparatursets beschrieben hatten. Diese Erkenntnisse dienen unter anderem zur Suche nach Krebsmedikamenten.
2014: Der deutsche Forscher Stefan Hell sowie die US-Amerikaner Eric Betzig und William Moerner für die Erfindung superauflösender Mikroskope. Damit kann man in lebende Zellen blicken und Abläufe bei Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson beobachten.
2013: Martin Karplus (USA/Österreich), Michael Levitt (USA/Grossbritannien) und Arieh Warshel (USA/Israel) für Methoden, mit denen sich auch komplexe chemische Reaktionen virtuell nachvollziehen lassen.
2012: Robert Lefkowitz und Brian Kobilka aus den USA für die Entdeckung von Rezeptoren, die zahlreiche Signale von aussen in die Körperzellen übermitteln.
2011: Dan Shechtman (Israel), der Quasikristalle entdeckt hatte, die zuvor von vielen Chemikern für unmöglich gehalten wurden.
2010: Richard Heck (USA) sowie die Japaner Ei-ichi Negishi und Akira Suzuki, die komplexe Substanzen aus Kohlenstoff herstellten. Sie bauten so unter anderem natürliche Wirkstoffe gegen Krebs nach.
2009: Venkatraman Ramakrishnan (Grossbritannien), Thomas Steitz (USA) und Ada Jonath (Israel) für die Erforschung der Eiweissfabriken in biologischen Zellen, der Ribosomen.
2008: Die Amerikaner Osamu Shimomura, Martin Chalfie und Roger Tsien, weil sie ein grünlich leuchtendes Protein einer Qualle zu einem der wichtigsten Werkzeuge der Biologie gemacht haben. Damit lassen sich viele Vorgänge im Körper verfolgen. (SDA/bö)