Stellen Sie sich vor, Sie könnten ohne schlechtes Gewissen so viel und so weit in die Ferien fliegen, wie Sie wollen. Ohne dass einem Klimajugendliche oder Grüne den Spass an der Freude verderben. Nein, ernsthaft: Einen Viertel der globalen CO2-Emissionen verursacht die Menschheit durch Personen- und Warentransporte. Wären diese so gut wie emissionsfrei, würde die Klimakatastrophe deutlich abgemildert. Technisch ist das bereits möglich – unter anderem dank der Schweiz. Und zwar haben sowohl ein ETH-Forschungsteam als auch eine weltweit pionierhafte schweizerische, wirtschaftliche Initiative den durch Benzin und Kerosin verursachten Teil der weltweiten Energiekrise eigentlich gelöst.
Die Lösung heisst Wasserstoff oder Wasserstoffgemische. Ersterer benötigt spezielle Fahrzeuge, Letztere lassen sich genauso verbrennen wie Benzin oder Kerosin. Bei beiden Verfahren entsteht bei einer Verbrennung als Abfallprodukt Wasser.
Ideale Treibstoffe, aber (noch) teure Produktion
Wasserstoff ist ein idealer Treibstoff. Reiner Wasserstoff kommt in der Natur nicht vor. Die Herstellung von reinem Wasserstoff ist heutzutage noch aufwendig und deshalb teuer. Das nahezu einzige Verfahren, in welchem dabei kein zusätzliches CO2 freigesetzt wird, ist die Elektrolyse von Wasser. Hierbei spaltet sich Wasser, also H2O, in Sauerstoff O2 und gasförmigen Wasserstoff H2. Leider benötigt das Verfahren relativ viel Strom. Stammt dieser Strom aus erneuerbaren Quellen, ist das zu vertreten – auch wenn ein Teil der Energie verloren geht. Trotz dieser Hindernisse sind die ersten sogenannten Brennstoffzellenfahrzeuge mit Wasserstoffantrieb bereits Realität – und heute schon auf Schweizer Strassen unterwegs. Soeben fuhr Bertrand Piccard (61) mit einem Serien-Brennstoffzellenfahrzeug einen Weltrekord ein: Mit dem Hyundai Nexo kam er letzte Woche in Frankreich 778 Kilometer weit ohne nachzutanken.
Von Hühnern und Eiern
Weit kommen muss man, denn Wasserstofftankstellen sind rar. Coop, Migros, der Autohändler Emil Frey, der Milchverarbeiter Emmi, diverse Tankstellenbetreiber und Transport-Logistiker haben sich deshalb im Mai 2018 zum «Förderverein H2 Mobilität Schweiz» zusammengeschlossen. Dessen Präsident Jörg Ackermann (60) erklärt: «Wir haben ein klassisches Huhn-und-Ei-Problem – wenn noch keine Tankstellen-Infrastruktur da ist, investieren Autohersteller nicht in ein komplett neues Modell. Und niemand baut eine Infrastruktur für Autos, die es noch nicht gibt.» Ausser eben der Förderverein. Bis 2023 plant das Konsortium ein flächendeckendes Tankstellennetz in der Schweiz, die erste Tankstelle ist bereits in Hunzenschwil AG in Betrieb, nächstes Jahr sollen St. Gallen, Dietlikon ZH, Rümlang ZH, Crissier bei Lausanne, Zofingen AG und Geuensee LU folgen. Derzeit arbeitet ein südkoreanischer Anbieter an der Entwicklung einer Wasserstoff-Lastwagenflotte, diverse nationale und internationale Partner ziehen mit. 50 H2-LKW sollen 2020 fahren, 1000 sollen es 2023 sein.
Die neuen Wasserstofftankstellen mit Treibstoff, der ausschliesslich aus erneuerbaren Stromquellen stammen soll, werden auch für den Privatverkehr nutzbar sein. Ackermann blickt optimistisch in die Zukunft: «Ich erhalte täglich Anrufe von Interessenten, von Transporteuren und Logistikern. Brennstoffzellenautos werden sich durchsetzen.» Er gibt sogar Privatpersonen einen Rat: «Planen Sie, sich ein neues Auto anzuschaffen? Warten Sie noch ein, zwei Jahre und kaufen Sie gleich ein Brennstoffzellenfahrzeug!» Aktuell sind die Preise noch hoch: Ein Toyota Mirai, seit März 2018 in der Schweiz erhältlich, kostet 89'900 Franken, der Hyundai Nexo ebenfalls stolze 86'900 Franken. Aber Ackermann ist sich sicher, dass die Preise für Personenwagen stark sinken werden. Auch eine Tankladung Wasserstoff soll schliesslich nicht teurer als konventionelles Benzin kommen.
Die (Fast-)Wunderlösung: Benzin aus Luft und Sonne
Auch Stefan Oberholzer vom Bundesamt für Energie begrüsst diese private Initiative. Der Physiker gibt den relativ geringen Wirkungsgrad der Wasserstoffherstellung aus Strom und Wasser zu bedenken. Deshalb verweist Oberholzer im Zusammenhang mit weiteren Verkehrssektoren wie dem Flugverkehr auf eine weitere einzigartige Schweizer Forschung, die er zwar klar als «noch Zukunftsmusik» betitelt.
Diese Technologie löst das Problem des massiven Stromverbrauchs zur Herstellung von Kraftstoff überaus elegant: An der ETH Zürich hat der Ingenieur Aldo Steinfeld (59), Professor für erneuerbare Energieträger, ein Verfahren zur Treibstoffherstellung entwickelt, welches fast schon esoterisch klingt: Nicht mehr als Umgebungsluft und Sonnenlicht benötigt seine Versuchsanlage auf dem Dach der ETH. Aus diesen Rohstoffen kann Steinfelds Anlage Kohlenwasserstoffe herstellen – diese können wie Benzin verwendet werden.
In einem eigens entwickelten Filter trennt die Anlage aus normaler Luft das darin enthaltene Wasser und CO2. Die Anlage leitet beides in einen keramischen Solarreaktor, welcher immense Hitze aushält. Mittels eines Parabolspiegels erhitzt nun reine Sonnenenergie das Wasser-CO2-Gemisch auf 1500 Grad Celsius. Unter diesen hohen Temperaturen wandeln sich Wasser und CO2 in ein Wasserstoff-Kohlenmonoxid-Gemisch um, welches in einem weiteren Schritt zu Benzin, Kerosin oder Methanol wird. Syngas nennt Steinfeld diesen Kraftstoff.
Diese synthetischen Treibstoffe sind nahezu klimaneutral, weil bei deren Verbrennung nur so viel CO2 freigegeben wird, wie für deren Herstellung aus der Luft entnommen wurde. Der Kraftstoff ist also nahezu klimaneutral, sieht man von der – wenigen – grauen Energie ab, die zur Herstellung der Solaranlage benötigt wird. Das Schöne an der Sache: Die bestehende globale Infrastruktur, also Pipelines, Tankstellen, Motoren etc. eignen sich auch zur Verteilung, Speicherung und Nutzung der neuen solaren Treibstoffe. Man könnte theoretisch den Tank eines normalen Flugzeugs heute schon mit Solarkerosin füllen und damit CO2-neutral fliegen.
Eine saubere Sache, die noch etwas Zeit benötigt
Der Haken an der Sache: «Die Herstellung unseres solaren Treibstoffs ist noch zu teuer», sagt Steinfeld, gibt aber zu bedenken, dass wir eigentlich keinen realen Preis für konventionelles Benzin bezahlen: «Der heutige Preis für fossile Treibstoffe enthält keine externen Umweltkosten für die Verminderung oder gar Vermeidung von CO2 und anderen Schadstoffen, welche die Luftverschmutzung und Klimaerwärmung verursachen. Früher oder später wird sich das ändern. Nachhaltigkeit ist nicht gratis, sie hat ihren Preis. Ich persönlich betrachte sie als eine langfristige Investition, die unseren Kindern als umweltfreundliches Energieversorgungssystem zurückbezahlt wird.»
Mit konventionellem Benzin und Kerosin kann das Gas rein wirtschaftlich trotzdem noch nicht mithalten – die solare Mini-Raffinerie auf dem Dach der ETH demonstriert zwar den ganzen Ablauf unter realen Bedingungen. Sie produziert aber bei guten Wetterverhältnissen, also an sonnigen Tagen, nur rund einen Deziliter Treibstoff pro Tag. Ziel ist, die Technologie industriell hochzufahren und wettbewerbsfähig zu werden. Hierfür sind aus Steinfelds Forschungsgruppe zwei Spin-off-Start-ups hervorgegangen. Während Climeworks die CO2-Abscheidung aus der Luft kommerzialisiert, arbeitet Synhelion daran, die Technologie zur Herstellung der Treibstoffe auf den Markt zu bringen.
Kommerzielle Produktion frühestens ab Anfang 2022
Synhelion arbeitet hierfür mit der Unterstützung vom Bundesamt für Energie sowie von einem weiteren prominenten Partner: Der italienische Energiegigant Eni (Ente Nazionale Idrocarburi, deutsch Nationale Körperschaft für Kohlenwasserstoffe, einer der grössten Konzerne Europas) steht hinter dem Start-up.
Während die Demonstrationsanlage auf dem ETH-Dach und eine grössere Testanlage in Madrid bereits funktionieren, braucht die Technologie aber noch ein paar Jahre, um wirtschaftlicher produzieren zu können. Eine kommerzielle Produktion ist frühestens ab Anfang 2022 möglich.
Spiegelflächen von mehreren Hunderttausend Quadratmetern pro Anlage sind dabei vonnöten, sagt CEO Gianluca Ambrosetti (45). Land sei dafür genügend vorhanden: Theoretisch könnte eine Anlage mit einem Drittel der Fläche der geeigneten Mojave-Wüste – einer Fläche von ungefähr der Grösse der Schweiz – den gesamten globalen Verbrauch an Treibstoff für die Luftfahrt decken. Geeignete Gebiete finden sich nicht nur in den USA, sondern auch in Nordafrika, der chinesischen Gobi-Wüste, in Südeuropa, Australien oder Chile.
Eine leichte Ironie ist den beiden Schweizer Vorzeigeprojekten inne: Schaffen es Synhelion und Eni, die Solartreibstoff-Produktion aus Luft tatsächlich grossflächig hochzufahren, könnten die Wasserstofftankstellen und Brennstoffzellenfahrzeuge wiederum überflüssig werden, da Solartreibstoff ja wie Benzin eingesetzt werden könnte. Synhelion-CEO Ambrosetti sieht darin aber keinen Fehler: «Je mehrgleisiger man in Forschung und Entwicklung fährt, desto besser – wir brauchen jetzt schon saubere Lösungen, nicht erst in ein paar Jahren!»
1766 experimentiert der englische Physiker Henry Cavendish mit Metallen und Säuren. Das Gas, welches dabei entsteht, nennt er «brennbare Luft».
1789 – Jan Rudolph Deiman und Adriaan Paets van Troostwijk benützen eine elektrostatische Machine und einen Flaschenkondensator für die erste Elektrolyse von Wasser (H2O), bei welcher gasförmiger Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) entsteht.
1801 – Der englische Chemiker Humphry Davy entdeckt das Konzept der Brennstoffzelle, in welcher ein Brennstoff, hier also Wasserstoff, in elektrische Energie umgewandelt wird.
1807 Der französische Offizier und Erfinder Isaac de Rivaz meldet den wasserstoffgetriebenen Explosionsmotor zum Patent an. Der Wirkungsgrad und die Zuverlässigkeit des Motors sind aber so, dass er sich nicht durchsetzt.
1863 – Der belgische Erfinder Etienne Lenoir unternimmt mit seinem selbst entwickelten Gasmobil «Hippomobile» eine Testfahrt in Paris. Durch Elektrolyse während der Fahrt entstandener Wasserstoff treibt das Gefährt dabei an. Das Gefährt schafft dabei eine Geschwindigkeit von drei km/h – weniger als Schritttempo.
1900 – Graf Ferdinand von Zeppelin lässt von Friedrichshafen aus das erste mit Hydrogen gefüllte Luftschiff Zeppelin LZ1 steigen.
1937 – Das Zeppelin LZ 129 Hindenburg geht in Flammen auf – ein herber Rückschlag für die Wasserstofftechnologie.
1966 – General Motors präsentiert den Electrovan, das erste Brennstoffzellen-Automobil.
Ab 1966 – Diverse Entwicklungen von Brennstoffzellenwagen, -Unterseebooten, -Flugzeugen etc. Mangelnde Infrastruktur zur Betankung mit reinem Wasserstoff hindert die Marktdurchdringung.
2017 – Am WEF Davos startet der Hydrogen Council, eine globale Initiative von 60 führenden Energie-, Transport- und Industriegrössen wie Shell, Hyundai, Audi, BMW, Alstom etc. Ihr Ziel: Wasserstofftechnologie als Energielösung zu ermöglichen.
1766 experimentiert der englische Physiker Henry Cavendish mit Metallen und Säuren. Das Gas, welches dabei entsteht, nennt er «brennbare Luft».
1789 – Jan Rudolph Deiman und Adriaan Paets van Troostwijk benützen eine elektrostatische Machine und einen Flaschenkondensator für die erste Elektrolyse von Wasser (H2O), bei welcher gasförmiger Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) entsteht.
1801 – Der englische Chemiker Humphry Davy entdeckt das Konzept der Brennstoffzelle, in welcher ein Brennstoff, hier also Wasserstoff, in elektrische Energie umgewandelt wird.
1807 Der französische Offizier und Erfinder Isaac de Rivaz meldet den wasserstoffgetriebenen Explosionsmotor zum Patent an. Der Wirkungsgrad und die Zuverlässigkeit des Motors sind aber so, dass er sich nicht durchsetzt.
1863 – Der belgische Erfinder Etienne Lenoir unternimmt mit seinem selbst entwickelten Gasmobil «Hippomobile» eine Testfahrt in Paris. Durch Elektrolyse während der Fahrt entstandener Wasserstoff treibt das Gefährt dabei an. Das Gefährt schafft dabei eine Geschwindigkeit von drei km/h – weniger als Schritttempo.
1900 – Graf Ferdinand von Zeppelin lässt von Friedrichshafen aus das erste mit Hydrogen gefüllte Luftschiff Zeppelin LZ1 steigen.
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Ab 1966 – Diverse Entwicklungen von Brennstoffzellenwagen, -Unterseebooten, -Flugzeugen etc. Mangelnde Infrastruktur zur Betankung mit reinem Wasserstoff hindert die Marktdurchdringung.
2017 – Am WEF Davos startet der Hydrogen Council, eine globale Initiative von 60 führenden Energie-, Transport- und Industriegrössen wie Shell, Hyundai, Audi, BMW, Alstom etc. Ihr Ziel: Wasserstofftechnologie als Energielösung zu ermöglichen.