Gläser, Tassen und Teller stapeln sich auf dem Schreibtisch. Eine grosse Erdnuss-Aludose als Stiftehalter und mittendrin eine Spritzflasche mit dem Aufkleber «Ethanol». Von nebenan ertönt gedämpfter Maschinenlärm und Musik. «Möchten Sie auch etwas trinken?», fragt Wendy Queen und geht in die Gemeinschaftsküche, um Tee zu machen. An der Wand klebt ein Periodensystem in A4-Grösse. Auf dem Whiteboard lassen sich verschmierte Formeln entziffern. Auf dem Tisch davor steht eine Keksdose, sie ist bis zum Rand mit Schokoladenkonfekt gefüllt. Sie bringt den einzigen Farbtupfer in das sonst weisse Büro.
Es ist das Reich von Chemie-Professorin Wendy Queen (39). Sie forscht und unterrichtet an der ETH Lausanne (EPFL). Ihr Labor ist eine Stunde davon entfernt, in Sitten VS. Die Professorin entwickelt hier mit ihrem zehnköpfigen Team ein spezielles Material zur Bekämpfung von Umweltverschmutzungen. Dazu ein klassisches Beispiel: Ein Auto fährt, stösst Kohlenstoffdioxid (CO2) aus, das Erdklima erwärmt sich, die Umwelt leidet. Was wäre aber, wenn man das CO2 aus dem Abgas einfangen könnte? Die Forschung hat darauf eine Antwort gefunden: metallorganische Gerüstverbindungen, auf Englisch «metal organic framework» (kurz: MOF). Das sind stark poröse Stoffe. Im Prinzip kann man sich die MOFs wie einen Schwamm beim Putzen vorstellen.
Ihre Schwämme machen die Welt wieder sauber
Queen greift unter ihren Schreibtisch und nimmt ein Glas hervor. Es enthält ein dunkelblaues Pulver. Sie schüttelt es. Extrem winzige Schwämme. Das Pulver fängt einen bestimmten Stoff aus Gasen (z. B. Luft) oder Flüssigkeiten (z. B. Wasser) ein. Ein solcher Stoff kann das CO2 oder Elektroschrott im Gewässer sein. Die MOFs filtern sie also aus ihrer Umgebung. Wird das Pulver später im sicheren Raum erhitzt, werden die eingefangenen Stoffe aus den Poren freigesetzt. Nun hat man beispielsweise hochreines CO2. Das muss man unterirdisch speichern (Sequestrierung) oder weiterverwenden. Eine Möglichkeit, das CO2 zu nutzen, wäre die Umwandlung in wertschöpfende Chemikalien oder Brennstoffe.
Queen blüht auf, wenn sie über ihre Arbeit spricht. Die Interessen der Professorin aus South Carolina (USA) beschränken sich aber nicht nur auf das Labor. Sie liebt Sport und Tiere. Ebenso typisch amerikanisch wie ihr Südstaatenakzent ist ihr Lieblingssport, den sie schon als junges Mädchen zu spielen begann: Baseball. Der Sport ermöglichte ihr ein Stipendium an der Universität, die ihre Familie vom Land nicht hätte bezahlen können. Noch heute steht sie, so oft sie kann, mit unterschiedlichen Teams aus der Westschweiz auf dem Feld. An den Wochenenden geht sie vorwiegend mit Hunden aus dem Tierheim spazieren. Sie hatte auch eigene Haustiere und brachte zwei Hunde und eine Katze mit in die Schweiz. Sie zeigt auf einen Sitzsack und sagt: «Ich habe sie oft ins Büro mitgenommen. Das war der Stammplatz meiner Bulldoge.» Die Tiere waren für sie ihre Familie in der Schweiz, denn Queens Verwandtschaft lebt in Amerika. Alle arbeiten in der gleichen Textilfabrik. «Ich bin die Einzige, die studiert hat. Aber meine Familie ist sehr stolz auf mich, auch wenn sie nicht genau wissen, was ich tue.»
Der Schwamm filtert auch Edelmetalle aus Abfall
Für ihre Forschung verliess Queen ihre Heimat und ging ans andere Ende des Landes. Am 4300 Kilometer entfernten Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien war sie Projektwissenschaftlerin. Sie entwickelte ein Programm, bei dem Forscher aus der ganzen Welt dieses Labor besuchen und ihre Materialien dort testen konnten. Sie selbst forschte während dieser Zeit nicht viel, was ihr sehr fehlte. Anders in der Schweiz: «Wir haben einige der besten Materialien der Welt für die Säuberung von Wasser von giftigen Schwermetallen sowie für die Gewinnung von wertvollen Edelmetallen aus flüssigem Abfall entwickelt.»
Queen wäre froh, wenn die Forschung bereits beendet wäre. «Es würde bedeuten, dass jeder auf der Welt sauberes Trinkwasser hätte und Probleme wie Umweltverschmutzung, CO2-Ausstoss und Erderwärmung beseitigt wären.» Das Thema liegt ihr sehr am Herzen. Sie will auf die Klimaerwärmung aufmerksam machen. Auf Skeptiker reagiert sie ruhig: «Ich würde gerne glauben, dass man Skeptiker überzeugen kann, aber ich denke, dass sie bestimmte Gründe haben, skeptisch zu sein. Man sieht dies gerade in den USA, wo einige Politiker bestimmte Entscheidungen treffen, die von speziellen Interessen angetrieben werden.»
Die Professorin kommuniziert mit Verantwortlichen aus der Industrie, damit ihr Material im Alltag angewendet werden kann. Ein Ziel: Autoabgase aus der Luft entfernen. Doch Forschungen sind langjährige Prozesse, die oft nie wirklich enden. Die Forscher testen ihre Ideen täglich aus und verbessern sie. Etwa 95 Prozent der Versuche schlagen fehl. «Als Wissenschaftler muss man optimistisch sein. Es gibt mehr Misserfolge als Erfolge, doch wenn man motiviert bleibt, kommt irgendwann der Durchbruch. Der Punkt ist, dass die Öffentlichkeit nur Erfolgsgeschichten sehen will.»
Glücklich, in der Schweiz zu sein
Auch von der Motivation unserer Klimajugend ist Queen begeistert. Proteste und Vorträge seien nötig, um das Bewusstsein für die bedrohte Umwelt zu fördern. «Die Jugendlichen sind die Zukunft. Ich bin sehr glücklich, in der Schweiz zu sein und all diese Dinge geschehen zu sehen.» Die Schweiz habe gerade für die Wissenschaft fantastische Arbeit geleistet. Der Forschung würden tolle Ressourcen zur Verfügung gestellt, um sich auf wichtige Umweltfragen zu konzentrieren. Queen erinnert ihre Studenten oft daran: «Wenn ihr es hier nicht tun könnt, könnt ihr es nirgendwo.»
Queen stammt aus einer konservativen Umgebung in den USA, wo die Mehrheit der Frauen nicht arbeitet. Als sie nach Kalifornien zog, änderte sich auch ihre Lebenseinstellung. «Wenn man weiblich oder sonst irgendeine Minderheit ist, wird man immer wieder mit bestimmten Widrigkeiten konfrontiert. Man muss sie bewältigen. Je bewusster die Leute werden, desto einfacher wird es», sagt sie.