Eichhörnchen haben es nicht gemütlich
Warum Winterschlaf nicht toll ist

Ach, wie schön wäre es, wie ein Murmeltier den Winter zu verschlafen! Wirklich? Was kuschelig aussieht, ist für Tiere ein Kampf ums Überleben. Fragen und Antworten zu einem faszinierenden Naturphänomen.
Publiziert: 25.01.2020 um 15:12 Uhr
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Aktualisiert: 06.02.2020 um 09:32 Uhr
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Gartenschläfer können ihre Körpertemperatur im Winterschlaf auf minus 1 Grad senken. Dieser hier hat sich ein unbewohntes Blaumeisen-Nest in einem Baumstamm als Schlafstätte ausgesucht.
Foto: Ingo Arndt / naturepl.com
Jonas Dreyfus

Was ist Winterschlaf?

Der Winterschlaf ist für viele Tiere die einzige Möglichkeit, die kalten und futterarmen Monate zu überleben. Sie graben sich ein oder ziehen sich in Höhlen zurück und fahren ihren Organismus herunter. Weil das Ankurbeln des Organismus' nach dem Winterschlaf viel Energie benötigt, sind die Tiere am Ende nicht ausgeruht, sondern todmüde.

Wie versetzen sich Tiere in den Winterschlaf?

Das Signal zum Winterschlaf wird im Gehirn im Hypothalamus gesetzt. Hier wird sozusagen das interne Thermometer von der normalen Körpertemperatur herabgesetzt. Daraufhin fällt der Energieverbrauch drastisch, die interne Wärmequelle wird abgestellt und der Körper kühlt bis auf Umgebungstemperatur ab. Atem, Puls und alle anderen Stoffwechselaktivitäten verlangsamen sich. Faszinierend: Der Körper eines Gartenschläfers ist in dieser Zeit nur noch –1 Grad warm. Dank einer Art körpereigenem Frostschutzmittel friert sein Blut nicht.

Schlafen die Tiere ohne Unterbrechung durch?

Nein, alle Winterschläfer haben kürzere Wachphasen. Zum Beispiel, um Urin und Kot auszuscheiden. Bären verlassen ihre Höhlen regelmässig für längere Zeit, um die Futterlage in der Umgebung zu checken. Weil sie ihre Körpertemperatur nicht herunterfahren, spricht man bei ihnen von einer Winterruhe. Der Klimawandel verkürzt diese, es könnte vermehr zu Konflikten mit Menschen kommen. Und in den USA werden Murmeltiere aufgrund kürzer werdenden Wintern immer dicker.

Welche Tiere machen Winterschlaf?

Wenige Vögel machen Winterschlaf, darunter Kolibris. Typische Winterschläfer sind jedoch Säugetiere wie Fledermäuse, Hamster und Murmeltiere. Oder der Siebenschläfer, der sich bereits im Herbst einbuddelt und acht Monate lang nicht mehr auftaucht. Fische, Eidechsen, Schlangen oder Schildkröten fallen nicht in den Winterschlaf, sondern in die Winterstarre. Aus ihr lassen sie sich im Vergleich zu typischen Winterschläfern nicht wecken.

Auch Kolibris tun es.

Warum verhungern die Tiere nicht?

Weil sie im Winterschlaf keine Nahrung aufnehmen, legen sich Tiere Fettpolster zu, bevor sie sich einbuddeln oder in Höhlen zurückziehen. Hamster fressen so viel auf Reserve, dass sie sich als temporäre Diabetiker in die Winterpause verabschieden.

Haben es Tiere im Winterschlaf gemütlich?

«Generell brauchen Tiere es nicht gemütlich, um Winterschlaf halten zu können», sagt Lisa Warnecke, deutsche Biologin und Autorin des Buches «Das Geheimnis der Winterschläfer». «Theoretisch könnten sie auch einfach eingerollt in einem Karton überwintern. Material, das sie in ihr Nest tragen, dient mehr der Isolation als zum Kuscheln.» Nicht alle Tiere überleben den Winter. Ein kälteliebender Pilz rottet seit 2006 ganze Kolonien von Fledermäusen aus. Er befällt die Säugetiere im Winterschlaf, wenn ihr Immunsystem geschwächt ist, und tötet sie.

Könnten Menschen wie Tiere überwintern?

Möglich wäre es, doch dass sich Menschen eines Tages ohne Medikamente und andere Hilfsmittel wie Tiere in den Winterschlaf versetzen können, ist unrealistisch. Die Vorgänge eines Winterschlafs sind hoch komplex, vieles davon verstehen Wissenschaftler bis heute nicht. Die Probleme beginnen schon bei der Tatsache, dass sich die Muskelmasse des Menschen nach wenigen Tagen im Liegen abzubauen beginnt, die Gefahr einer Thrombose droht und der Körper wund wird. Wissenschaftler der Washington State University untersuchten Gewebeproben von Winterschläfern und fanden heraus, dass sich die Aktivität von Hunderten bis Tausenden Genen während des Winterschlafs so zu verändern beginnt, dass sie all diese Probleme nicht haben. Um Menschen zu Winterschläfern zu machen, müsste man ihre Zellen beeinflussen. Dass das möglich sei, wisse man, sagte der Leiter der Untersuchung, Dr. Heiko Jansen, in einem Interview mit der «New York Times». Aber man sei weit davon entfernt, es anwenden zu können.

Was erhoffen sich Menschen von der Erforschung des Winterschlafs?

Das gewonnene Wissen könnte zum Beispiel helfen, Organe für Transplantationen über längere Zeit zwischenzulagern. Oder Menschen vor Organschäden zu bewahren: Gerade ist in den USA ein Medikament in der Testphase, das Forscher dank der Untersuchung von Eichhörnchenblut entwickelt haben. Wenn die Tiere nach dem Winterschlaf den Kreislauf hochfahren, schütten sie grosse Mengen an Melatonin aus, damit ihre Organe nicht beschädigt werden. Auch die Organe von Menschen können bei einer schnellen Kreislauf-Ankurbelung in Mitleidenschaft gezogen werden. Zum Beispiel, wenn sie nach einem grossen Blutverlust eine Transfusion erhalten. Das Medikament soll das verhindern.

Wie viel Kälte verträgt ein Mensch?

Der Mittelwert unserer Körpertemperatur liegt bei 36,6 Grad, bereits 27 Grad können tödlich sein. Es gibt jedoch Fälle, die sich nicht erklären lassen. Ein Japaner, der beim Wandern abstürzte, blieb 2006 offenbar drei Wochen liegen, bis ihn jemand fand. Er überlebte ohne Flüssigkeit, Nahrung und bei einer Körpertemperatur von 22 Grad. 1999 konnte eine schwedische Radiologin wiederbelebt werden, die beim Skifahren in einen Fluss fiel und 80 Minuten unter einer Eisschicht lag. Drei Stunden hatte ihr Herz aufgehört zu schlagen. Schäden trug sie keine davon.

Astronauten in Science-Fiction-Filmen werden oft medikamentös in einen Kälteschlaf versetzt. Wie realistisch ist das?

Ziemlich realistisch. Die Firma Spaceworks Enterprises aus Atlanta (USA) entwickelt im Auftrag der Nasa Kammern für Raumschiffe, in denen Astronauten während eines Fluges zum Mars im Zweiwochenrhythmus bei einer Körpertemperatur von 32 Grad schlafen. Ein Problem, das sich bei einer Mars-Mission stellt, sind die Massen an Lebensmitteln, die ein Raumschiff mitführen müsste, um eine Crew während eines Fluges von sechs bis neun Monaten am Leben zu erhalten. Die Kälteschlaf-Lösung würde nicht nur den Nahrungsbedarf verkleinern, sondern auch dazu führen, dass die Astronauten weniger Platz und weniger Sauerstoff benötigten.

Die Nasa lässt Kälteschlaf-Kapseln für Mars-Missionen entwickeln.
Foto: University of Pittsburgh Medical center

Wie könnten Astronauten in den Kälteschlaf versetzt werden?

Um ihre Körpertemperatur zu senken, soll ein Medikament über die Nase zum Hirn gepumpt werden, das es abkühlt. Ein Beruhigungsmittel sorgt dafür, dass die Mars-Reisenden nicht aufwachen, Katheter versorgen sie mit Nahrung und führen Ausscheidungen ab. Die Kapseln könnten den menschlichen Körper vor gefährlichen Strahlen schützen. Plus: Mit Hilfe künstlich erzeugter Gravitation soll der Muskelschwund verringert werden, den ein Aufenthalt in der Schwerelosigkeit auf Dauer mit sich bringt.

Welche Vorteile hat der Kälteschlaf für den Menschen?

Wie bei Tieren im Winterschlaf benötigen auch Menschen bei niedriger Körpertemperatur weniger Energie, ihre Organe weniger Sauerstoff. Dass Ärzte Patienten mit Eispaketen kühlen, ist in der Medizin gang und gäbe. Zum Beispiel bei einem Herzinfarkt, bei dem der Sauerstoffbedarf des Gehirns nicht mehr gedeckt wird und im schlimmsten Fall Teile von ihm absterben.

Wie stark kann ein Mensch künstlich gekühlt werden?

Eine medizinische Sensation gelang jüngst Professor Samuel Tisherman von der Universität Maryland in Baltimore (USA). Er kühlte einen schwer verletzten Patienten für zwei Stunden auf 15 Grad runter, ohne dass dieser grössere Folgeschäden davontrug. Sein Blut wurde durch eine eiskalte Salzlösung ersetzt, Herz und Atmung setzten aus, die Gehirnaktivität war praktisch auf null.

Ein US-Team probt mit einer Puppe eine Kälteschlaf-Operation.

Warum sind wir im Winter müde?

Die Tage sind in den kalten Monaten kürzer, oftmals grau. Und wenn mal kurz die Sonne scheint, kriegen das viele Menschen nur mit, wenn sie einen Blick aus dem Bürofenster werfen. Das fehlende Licht führt im Körper zu einer erhöhten Konzentration des Schlafhormons Melatonin, er braucht deswegen längere Ruhepausen. Die meisten Menschen gönnen sich den zusätzlichen Schlaf nicht, den sie bräuchten, und fühlen sich deswegen müde.

Was lässt sich gegen Wintermüdigkeit tun?

Genug schlafen hilft immer. Müdigkeit kann auch mit der Verteilung der Lichteinstrahlung über den Tag zu tun haben. Am besten wäre es, sich im Winter gleich nach dem Aufwachen der Helligkeit auszusetzen. Gerade wenn es draussen noch dunkel ist. Am besten eignen sich dafür therapeutische Lampen. Sich sofort dem Licht des Computers auszusetzen, ist auch eine Möglichkeit – wenn auch keine entspannende. Wer am Abend auf Bildschirme schaut – inklusive Smartphone und Fernseher –, bringt den Tag-und-Nacht-Rhythmus, den der Winter dem Menschen vorgibt, noch mehr durcheinander.

Warum sind manche Menschen schneller müde als andere?

Genetische Veranlagungen und Alter haben Einfluss darauf, wie schnell ein Mensch müde wird. Bei sogenannten Lerchen, die von Natur aus früh aufwachen und früh müde werden, entspricht die innere Uhr in etwa dem Tag-und-Nacht-Rhythmus, den die Sonne vorgibt. Bei den Eulen, die von Natur aus spät aufwachen und spät müde werden, hingegen nicht. Vor allem nicht in den Wintermonaten. Sie leiden dann am meisten.

Matt Damon erwacht in «Interstellar» fix und fertig nach 35 Jahren Schlaf.

Gibt es die Winterdepression?

«Das fehlende Licht im Winter kann depressiv machen», sagt Helen Slawik, Oberärztin an der Psychiatrischen Uniklinik Basel (UPK). Lichtmangel sei jedoch nur eine von vielen möglichen Ursachen von psychischen Problemen. «Der Versuch, seelische Befindlichkeiten den Jahreszeiten zuzuschreiben, stammt aus dem Lifestyle-Bereich, nicht aus der Wissenschaft. Zu uns kommen im Winter nicht mehr Menschen, um sich helfen zu lassen, als im Frühling, Herbst und Sommer.»

Wie lange können Menschen von Natur aus schlafen?

Rekorde im Wachbleiben sind relativ gut dokumentiert, im Langschlafen nicht. Die Möglichkeiten zu schummeln, wären wohl viel zu gross. Einen Anhaltspunkt bieten die von der Presse gefeierten Franzosen Josie Laures und Antoine Senni, die in den 1960er-Jahren freiwillig Monate in einer Höhle verbrachten, um ihr Schlafverhalten bei fehlendem Sonnenlicht zu dokumentieren. Senni gab an, manchmal dreissig Stunden am Stück geschlafen zu haben. Danach sei er mit dem Gefühl aufgewacht, nur kurz eingenickt zu sein.

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