Über die Schwierigkeiten ein Piano in die Schweiz zu zügeln
Warum das Klavier zum Tierarzt musste

Unsere Autorin hat versucht, 
ein Klavier in die Schweiz zu zügeln – und hätte niemals gedacht, 
dass das so kompliziert sein kann.
Publiziert: 15.06.2019 um 14:52 Uhr
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Aktualisiert: 17.06.2019 um 09:04 Uhr
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Sechs Monate dauerte es, bis das Bechstein-Klavier endlich in der Schweiz war.
Foto: Siggi Bucher
Fabienne Kinzelmann

Die Stimme der Frau am ­Telefon verändert sich ­innerhalb einer Sekunde. Sie seufzt, sie stöhnt. «Dann», sagt sie und macht eine bedeutungsschwangere Pause, «wird es kompliziert.»

Die Frau am Telefon soll keine Operation durchführen, keine ­Rakete starten. Sie soll einen ­Gegenstand für mich transportieren. Der misst 154 x 141 x 70 Zen­ti­meter – ist also ziemlich gross –, wiegt etwa 300 Kilogramm und ist schwarz: ein Klavier. Mein ­Klavier. Seit ich denken kann,­ ­gehört ein schwarzes Bechstein-Klavier zu meiner Familie in Deutschland. Wegen einer Haushaltsauflösung muss ich es in die Schweiz bringen.

Eigentlich ganz einfach, dachte ich: ein gutes Umzugsunternehmen, ordentlich verzollen, zack, fertig. Ist es aber nicht. Der Grund: Das Erbstück hat Elfenbeintasten. Und genau deswegen macht die Frau am Telefon die bedeutungsschwangere Pause.

Elfenbein ist eines der geschütztesten Güter der Welt. Legal ist das kaum noch zu bekommen. Elefanten werden trotz Jagdverbot für ihre wertvollen Stosszähne abgeschlachtet – allein in Afrika werden jährlich noch etwa 20'000 Tiere ­gewildert. Das Problem: Mit Elfenbein lässt sich noch immer Geld verdienen, das kurbelt die Nach­frage an. Die Behörden wollen es deshalb genau wissen, wenn ­Elfenbein irgendwohin transportiert wird.

Ein grosses Klavier für die ­kleine Susi

Das betrifft auch mein Klavier. Die letzte Besitzerin war meine Mutter Susanne, die leider schon vor mehr als 20 Jahren verstorben ist. Sie wuchs bei ihren Grosseltern in Stuttgart auf. Ihre Oma – meine ­Uroma Maria – und deren Lebensgefährte, ein ehemaliger Loko­motivführer, ersteigerten das Klavier in den 60ern für die kleine Susi. Später stand es in unserem Wohnzimmer, bis ich erst mit der Nasenspitze zu ihm hoch- und dann da­rüber hinauswuchs.

Damit mein Klavier über die Grenze darf, erklärt mir die Frau am Telefon nun, muss ich über zwei Behörden: Für die Ausfuhr ist das Amt für Naturschutz in Bonn (BfN) zuständig, für die Einfuhr die Amtskollegen in Bern. In deutschem ­Behördensprech klingt das dann so: «Beantragung von artenschutzrechtlichen Genehmigungen von Arten der Anhänge A und B der Verordnung.» Oder kurz: Vordruck 221.

Der Klaviertransporteur mit der Frau, die fürchtet, dass er kompliziert werden kann, hat das Klavier mittlerweile an seinem ehemaligen Standort im Schwäbischen ab­geholt und eingelagert. «Steht ja gut bei uns in der Halle», sagt die Frau gutmütig. Und dann: «Wir hatten auch schon einen Fall, da haben die ­Genehmigungen ein Jahr gedauert.»

Vordruck 221 will, dass ich das Exemplar beschreibe, die Nettomasse des Elfenbeins sowie dessen Herkunft angebe. Ich habe ja nicht mal eine Ahnung, wie alt das ­Klavier ist. So um die 100 Jahre, schätzt mein Vater. Auf einer ­Inschrift im Klangkörper steht: «Pianoforte-Fabrik von C. Bechstein. Hof-Lieferant seiner Majestät des Kaisers und Königs.»

Ein Anruf beim BfN. Nach ein paar Tagen erreiche ich die zuständige Sachbearbeiterin. Ich schil­dere ihr die Lage. Sie rät mir, mich mit der Seriennummer an Bechstein zu wenden.

Mein Piano ist stolze 150 Jahre alt!

Ich stelle eine offizielle Anfrage bei Bechstein. Eine Berliner Traditionsfirma, die 1853 zwischen Revolu­tion und Kaiserreich in Berlin gegründet wurde. «Sind Sie sicher, dass das die richtige Serien­nummer ist?», mailt mir der Leiter der ­zuständigen Abteilung. «Denn dann wäre das Klavier am 28. November 1873 (also zwanzig Jahre nach der Firmengründung) in ­Berlin ausgeliefert worden. Den Namen des Empfängers kann ich leider nicht entziffern.» Zur Sicherheit schickt er den Handelsauszug gleich mit. Das Klavier ist tatsächlich 150 Jahre alt!

Die BfN-Sachbearbeiterin überrascht das genauso wie mich. Sie lässt sich ein Foto des Klaviers schicken. «So ein schönes Instrument!», schwärmt sie. Und bei nachweislich 150 Jahren brauche man ja auch gar nicht so lang rumzumachen. Innerhalb einer Woche liegt die Ausfuhrgenehmigung in meinem Briefkasten.

Plötzlich geht es fix

Mit der Genehmigung aus Deutschland geht es auch bei den Schweizer Behörden vergleichsweise fix. Die Einfuhrgenehmigung vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen kommt Ende Februar. Ich bin überrascht, der Klaviertransporteur auch. «Dann müssen Sie ja nur noch abklären, wie wir es verzollen», freut sich die Frau am Telefon. Aus dem «nur noch» werden dann allerdings noch mal zwei Monate.

Musikinstrumente, die man in die Schweiz bringen möchte, muss man mit sieben Prozent des Wertes verzollen. Einzige Ausnahme: ­Umzugsgut. Das muss man allerdings innerhalb von 24 Monaten zügeln. Ich bin für mein Master­studium bereits vor gut dreieinhalb Jahren in die Schweiz gekommen. Damals wusste ich allerdings noch nicht, dass ich auch nach dem Abschluss in Zürich bleibe. Geschweige denn, dass ich den Platz für das ­Klavier habe. Ich bettle bei den ­Behörden, aber: keine Chance.

Wie viel mein Erbstück wert ist, kann mir niemand sagen. Nach 80 Jahren gilt ein ­Klavier als abgeschrieben. Maximal besitzt es noch antiquarischen Wert. Und der lässt sich kaum beziffern. Das Problem: Der Zoll möchte trotzdem eine Zahl haben. Sonst können die Zollbeamten einfach nach eigenem Ermessen einen Wert festlegen – und der wäre vermutlich nicht zu meinen Gunsten.

Ich klemme mich also wieder hinters Telefon. Ein Musikhaus stellt mir eine Bescheinigung aus, dass das Klavier wertlos ist. Ein ­Logistiker, der die nötigen Papiere für den Transporteur vorbereitet, spricht anschliessend mit dem Zoll. Am Ende gebe ich 800 Franken an und schreibe die Summe in eine ­sogenannte «Eigenrechnung für Zollzwecke».

Nie mehr ein Klavier mit ­Elfenbeintastatur, sagt die Frau

Als Anfang Mai alles fertig ist, kommt der panische Anruf der Frau, die bereits ganz am Anfang fürchtete, dass es kompliziert ­würde. Die Einfuhrgenehmigung läuft nämlich ab – was keiner von uns wusste. Zum Glück sind die Schweizer Behörden kulant. Ich muss ­allerdings die ablaufende Originalgenehmigung wieder zurück­schicken, bevor mir eine neue ­ausgestellt werden kann. Die liegt natürlich längst beim Transporteur. Der schickt sie also nach Bern. Bern stellt eine neue ­Genehmigung aus und schickt sie mir. Ich wiederum schicke sie dem Transporteur.

Anfang Juni rollen endlich zwei kräftige Männer das Klavier auf ­einem Brett in die Wohnung. Sie packen es, wuchten es in die Ecke. Innerhalb von zwei Minuten ist die Sache erledigt. Ich bin ehrlich ­ergriffen.

Knapp sechs Monate hat uns das gute Stück beschäftigt: Familie, Transporteur, Behörden. Und jetzt steht es da, als hätte es nie ­irgendwo anders gestanden als ­genau hier zwischen Staubsauger und Kartenspielen.
Lange währt die Freude nicht. Nur eine Woche später läutet der Transporteur auf meinem Handy Sturm: Der Schweizer Zoll hatte die Lieferung ohne Einsicht durch ­einen Tierarzt (!) am Flughafen (!) weitergeschickt.

Das Klavier muss darum wieder abgeholt und an den Zürcher Flughafen gebracht ­werden, bevor es final einziehen darf. Die Frau, die fürchtete, dass es kompliziert werden könnte, klingt erledigt. «Nie wieder», schwört sie. «Nie wieder transportieren wir ein Klavier mit Elfenbeintasten.» 

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