Charlottesville, Christchurch und El Paso – in den USA häufen sich die rechtsextremen Gewalttaten. Die Demokraten machen Donald Trump dafür verantwortlich. Wie plausibel ist das?
Franziska Schutzbach: Donald Trump hat dafür gesorgt, dass es gesellschaftlich immer mehr akzeptiert wird, rassistisch zu argumentieren. Er trägt eine Mitverantwortung, ist aber nicht der einzige Grund. Da spielen viele Faktoren hinein.
Trotzdem hat er ein Klima geschaffen, das den Boden für wahnsinnige Taten legt.
Sicher, aber es ist zu einfach, nur auf einen rechten Sündenbock zu zeigen und damit hat es sich. Bei uns kritisiert man zum Beispiel immer Andreas Glarners Aktionen und wiegelt dann aber gleichzeitig ab: Er sei halt ein extremes Beispiel. Ein Ausreisser.
Aber das ist er doch!
Eben nicht. Das Potenzial für Hass ist bei uns allen vorhanden. Jeder Vierte hat laut Studien in der Schweiz fremdenfeindliche Einstellungen. Das, was Glarner macht, ist auf einem extremen Level provozierend, aber er dockt an etwas an, das absolut verbreitet ist. Wir schieben das Problem von Hass gerne von uns.
Wie kommt es, dass so viele Rechtspopulisten in Europa derzeit erfolgreich sind?
Das hat viele Gründe. Sie gewinnen zum Beispiel Sympathien, weil sie mit Abwertung arbeiten. Indem sie behaupten, Ausländer würden «uns» etwas wegnehmen, aktivieren sie Vorurteile. Negative Gefühle und Bedrohungsszenarien bleiben eher hängen als faktenbasierte Argumente. Orban, Salvini oder Glarner – sie alle betreiben eine Rhetorik der Angst und weiten die Grenzen des Sagbaren aus, sei es noch so verletzend oder faktenfrei. Werden sie dafür kritisiert, schlüpfen sie in die Opferrolle – à la: Man wolle ihnen, die angeblich als Einzige die Wahrheit sagten, den Mund verbieten.
Wählen nicht auch so viele Menschen Rechtspopulisten, weil sie sich durch die Globalisierung, durch die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt als Verlierer fühlen?
Das ist gerade in der Schweiz ein Irrtum. Viele wählen nicht aus Verzweiflung Rechtspopulisten. Sondern weil es ihnen gut geht und sie ihre Vorteile, ihren Wohlstand sichern wollen.
In Deutschland hat kürzlich ein Neonazi den CDU-Politiker Walter Lübcke getötet, der sich für Flüchtlinge engagiert hatte. Im Vergleich dazu sind wir ein Ponyhof. Man könnte behaupten: dank der SVP! Mit ihrem Rechtskurs verhindert sie, dass sich in der Schweiz eine rechtsextreme Partei festigen kann.
Es stellt sich die Frage: Gelingt die Zähmung gerade deshalb, weil die SVP selbst immer wieder extreme Positionen anbietet? Das aktuelle Wahlplakat zeigt es wieder: Da werden alle Parteien, die nicht zur SVP gehören, als Ungeziefer dargestellt, das sich durch einen Apfel frisst. Dieses Apfel-Bild kennt man so nur von den Nazis.
In Ihrem Buch «Die Rhetorik der Rechten» werfen Sie die SVP mit der AfD und dem Rassemblement National von Marine Le Pen in einen Topf. Das wird der SVP doch nicht gerecht!
Ich werfe sie nicht in einen Topf. Ich analysiere ihre rhetorischen Gemeinsamkeiten. Fakt ist, dass die Parteiprogramme zeigen, dass die SVP in vielen Teilen so rechts ist wie eine AfD. Und die SVP ist die Pionierin des europäischen Rechtspopulismus. Das hat der Historiker Damir Skenderovic aufgezeigt. Sie war eine konservative bürgerliche Partei, bis sie mit Blocher den Rechtspopulismus für sich entdeckte. Das verschaffte ihr den Durchbruch. Heute bekommt sie regelmässig Applaus von Marine Le Pen und AfD-Politikern.
Ein Peter Spuhler oder Adolf Ogi sind wohl kaum mit Le Pen vergleichbar.
Ja, es wäre falsch, alle SVP-Politiker als rechtspopulistisch einzustufen. Viele gehören ins konservative bürgerliche Lager.
Der Ökonom Rudolf Strahm hat Sie einmal mit Roger Köppel verglichen: Beide seien in ihrer ideologischen Blase gefangen, beide polarisierten. Was sagen Sie dazu?
Ich kann provokativ und populistisch sein. Aber Rudolf Strahm pauschalisiert: Er unterscheidet nicht mehr, ob jemand Rassismus proklamiert oder ob jemand genau das vehement kritisiert.
Sie sind eine gefragte Genderforscherin, Autorin, Mutter und Ehefrau. Wie kriegen Sie das alles eigentlich unter einen Hut?
Ich und mein Partner legen Wert auf Gleichberechtigung. Beide haushalten, beide erziehen. Wir kommunizieren sehr viel, anders gehts nicht. Hinzu kommt, dass die Kinder langsam älter und selbständiger werden.
Mit 22 Jahren bekamen Sie Ihr erstes Kind. Welche Vorstellung von Mutterschaft hatten Sie damals?
Ich hatte das Gefühl, dass es schlecht für das Kind sei, wenn es fremdbetreut werde. Dann merkte ich, dass ich ohne Krippe nicht studieren konnte und dass das Kind immer happy nach Hause kam. Dass es ja gar nicht ständig bei mir sein musste, um glücklich zu sein. In der Krippe gab es andere Kinder und viel Programm. Entscheidend ist aber auch: Mein Partner ist ein sehr emanzipierter Mensch. Er kommt aus Skandinavien, wo geteilte Elternschaft etwas ganz Normales ist. Er wollte ein aktiver Vater sein. Das prägte mich sehr.
Wie muss man sich die Erziehung im Hause Schutzbach vorstellen – ein Barbie-Verbot im Kinderzimmer?
Meine Tochter war ein Barbie-Fan. Völlig rosa, von oben bis unten Prinzessin. Ich habe in der Erziehung schnell gemerkt, dass es nicht funktioniert, wenn ich ein Konzept im Kopf habe. Die Kinder ticken immer wieder anders, als man gerne hätte. Zum Glück! Das Einzige, was ich immer versucht habe, war, ihr Selbstbewusstsein zu stärken.
Und wie?
Ich habe meiner Tochter gesagt, dass ich Barbie nicht so cool finde, dass sie mir zu dünn ist und Frauen doch in Wirklichkeit gar nicht so aussehen. Gleichzeitig habe ich sie dazu ermutigt, für ihre eigene Meinung und Position einzustehen. Auch gegen mich. Sie blieb damals auch tatsächlich dabei, und ärgerte sich natürlich sehr darüber, dass ich die Barbie nicht so toll fand wie sie.
Sie machten noch vor #MeToo mit der Social-Media-Aktion #SchweizerAufschrei öffentlich auf Frauenanliegen aufmerksam. Und Sie engagierten sich nun auch beim Frauenstreik. Was hat dieser bewirkt?
Unsere Lehrerinnen sagten uns früher: Wir haben für euch das Frauenstimmrecht und das Gleichstellungsgesetz erkämpft, eure Generation kann sich jetzt zurücklehnen und die Früchte ernten. Das glaubte ich, bis ich Mutter geworden bin. Ich war Studentin und konnte mir die Fremdbetreuung kaum leisten. Der Frauenstreik hat den Mythos entlarvt, die Gleichstellung sei erreicht.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Genau, es wurde klar, dass zwar einiges erkämpft wurde, dass aber Frauen nach wie vor weniger verdienen als Männer, dass Gewalt gegen Frauen ein grosses Problem ist. Oder dass es bezahlbare Krippenplätze und Elternzeit braucht. Das Land hat durch den Frauenstreik eine Repolitisierung erlebt. Die Frauenbewegung ist derzeit die stärkste soziale Bewegung und wird die Schweiz verändern. Plötzlich sind viele junge Frauen wieder politisch aktiv. Und sie drängen auch ins Parlament.
Am Streiktag musste der BLICK zwei Drittel der Online-Kommentare löschen, weil sie frauenverachtend waren. Warum trifft das Thema derart einen Nerv?
Es tut halt weh, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Wenn gewisse feministische Forderungen in Zukunft umgesetzt werden, verändert sich die Gesellschaft grundlegend. Es geht ums Eingemachte: um Familienmodelle, Frauenförderung in der Wirtschaft – und es macht mit der Frage der gleichberechtigten Sexualität nicht einmal vor unserem Schlafzimmer halt.
Warum genau tut das so weh?
Weil jeder und jede sich und alles hinterfragen und etwas verändern muss. Alle müssen sich zum Beispiel überlegen, ob sie sich schon übergriffig benommen haben. Auch Frauen. Es geht nicht um das Monster, das aus dem Busch springt und vergewaltigt. Die meisten Übergriffe passieren unter Menschen, die sich kennen – sei es in der Familie oder in Beziehungen.
Franziska Schutzbach (41) ist Soziologin, Genderforscherin und Autorin. Sie ist zudem Lehrbeauftragte an der Universität Basel und Mitglied der Gleichstellungskommission Basel-Stadt. Gerade ist ihr Buch «Die Rhetorik der Rechten» erschienen. Darin befasst sie sich mit Rechtspopulismus. Ihr nächstes Werk handelt von der Geschichte schwarzer Frauen in Biel und erscheint im Frühling 2020. Noch vor #MeToo lancierte sie die Social-Media-Aktion #SchweizerAufschrei. Aufgewachsen ist Schutzbach im Bieler Seeland. Heute lebt sie mit ihrem Partner, ihrem Sohn und ihrer Tochter in Basel.
Franziska Schutzbach (41) ist Soziologin, Genderforscherin und Autorin. Sie ist zudem Lehrbeauftragte an der Universität Basel und Mitglied der Gleichstellungskommission Basel-Stadt. Gerade ist ihr Buch «Die Rhetorik der Rechten» erschienen. Darin befasst sie sich mit Rechtspopulismus. Ihr nächstes Werk handelt von der Geschichte schwarzer Frauen in Biel und erscheint im Frühling 2020. Noch vor #MeToo lancierte sie die Social-Media-Aktion #SchweizerAufschrei. Aufgewachsen ist Schutzbach im Bieler Seeland. Heute lebt sie mit ihrem Partner, ihrem Sohn und ihrer Tochter in Basel.
Wie bekommen Sie die Wut der Männer zu spüren?
Durch Beschimpfungen auf Twitter bis hin zu vereinzelten Morddrohungen. Und dann gab es noch hetzerische Medienkampagnen von der «Basler Zeitung» (BaZ) und der «Weltwoche» gegen mich. Aber ich bekomme auch viel Unterstützung. Auch von männlicher Seite. Ich bin sicher kein Opfer.
Die Zeitungen kritisierten Sie, weil Sie auf Ihrem Blog schrieben, dass man «rechtsnationale» Politiker ignorieren soll. Die «BaZ» kassierte dafür aber eine Rüge vom Presserat. Was hat die Kampagne mit Ihnen gemacht?
Die Angriffe haben mich darin bestärkt, mich nicht einschüchtern zu lassen und meinen eigenen politischen Gestaltungswillen nicht aufzugeben. Das wäre genau das, was solche Kampagnen und Angriffe ja erreichen wollen.
Sie publizieren weiterhin Texte, geben Interviews und widmen ein Buch der Rhetorik der Rechten. Weshalb machen Sie weiter?
Ich bin uridealistisch, habe einen Gerechtigkeitsfimmel. Mein Partner macht sich manchmal lustig über mich, weil ich jedem Bettler Geld gebe. Schon als Zehnjährige habe ich eine Umweltschutzgruppe gegründet – die «Grünen Hasen». Mein Leben wäre sicher manchmal einfacher, wenn mir mehr gleichgültig wäre.