Schweizer Star-Fussballerin Ramona Bachmann im Interview
«Frauenfussball ist ehrlicher»

Ramona Bachmann (27) ist eine der besten Spielerinnen der Schweiz. Bei der WM in Russland sind alle Augen nur auf die Männer gerichtet – einmal mehr. Was ist da los, Frau Bachmann?
Publiziert: 12.06.2018 um 11:53 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 21:35 Uhr
«Ich hoffe natürlich, dass die Schweiz gewinnt»
1:28
Chelsea-Ladies-Stürmerin Ramona Bachmann im Interview:«Ich hoffe natürlich, dass die Schweiz gewinnt»
Rebecca Wyss

Am Donnerstag ist Anpfiff der WM in Russland. Für welche der Mannschaften würden Sie gerne spielen?
Ramona Bachmann: Sicher für die Schweiz. Es ist wirklich etwas Besonderes, für das eigene Land zu spielen. Wenn man auf den Platz hinausmarschiert und spürt, dass die ganze Nation hinter einem steht – da bekommt man Gänsehaut. Sonst wärs Brasilien. Schaut man die Kaderliste von Brasilien an, fehlen da so viele Namen, die bei jeder anderen Nati spielen würden.

Jetzt die Preisfrage: Wer gewinnt?
Die WM ist in Russland, hmm ... Auf die Russen setze ich definitiv nicht. Spanien ist immer heiss. Frankreich hat eine richtig gute Mannschaft. Aber die Franzosen haben es nicht so mit den grossen Turnieren. Brasilien – natürlich sehr interessant.

Das ist aber schwammig.
Ich kann's wirklich nicht sagen. Es gibt so viele gute Mannschaften. Es wäre toll, wenn es die Schweiz machen würde.

Die Männer-WM von 2014 verfolgten weltweit 3,2 Milliarden Fernsehzuschauer. Bei der Frauen-WM vor drei Jahren waren es 750 000. Kommt da auch mal Neid auf?
Ich vergleiche uns nicht mit den Männern. Vor ein paar Wochen spielte ich mit Chelsea den Cup-Final im Wembley-Stadion. Vor 45 000 Zuschauern. Das gibt dir einen Kick. Man spürt, wie die Leute mitfiebern. Bei jeder Aktion erhöht sich gleich der Geräuschpegel. Das motiviert einen noch mehr. Nach dem Spiel sagte ich zu meinen Mannschaftskolleginnen, dass ich immer vor so vielen Menschen spielen will. Dann überlegte ich kurz und dachte, nein, dann wärs ja nichts Besonderes mehr. Ich frage mich, ob eine solche Atmosphäre denen, die das jedes Wochenende erleben, noch etwas bedeutet.

Dass Frauen weniger Wertschätzung bekommen, ist für Sie kein Thema?
Doch, aber ich bin nicht neidisch. Ich hoffe schon, dass sich das in Zukunft ändert. Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe. Bodenständig halt. Ich lebe meinen Traum, und ich verdiene gut dabei.

Sie sind auch ein Profi. Die meisten Frauen, die Fussball spielen, sind es nicht.
Das Hauptproblem ist, dass in der Schweiz die Frauen erst acht Stunden arbeiten müssen, bevor sie abends noch trainieren gehen. Das muss man sich mal vorstellen. Die haben gar keine Zeit, um sich zu erholen. Die Schweiz würde in der Frauenförderung einen riesigen Schritt nach vorne machen, wenn die Spielerinnen den Sport halb-professionell ausüben könnten. Die meisten, die bei uns in der Nati spielen, wollen so schnell wie möglich ins Ausland. Dort ist viel mehr Geld im Spiel.

Xherdan Shaqiri verdient im Monat 640'000 Franken. Sie etwa 50-mal weniger – als eine der bestbezahlten Schweizer Spielerinnen. Ärgert Sie das nicht?
Ich hatte zwei, drei Mal den Gedanken: Wenn ich ein Mann bei Chelsea wäre, wäre ich Millionär. Wir leisten genauso viel wie die Männer.

Warum haben Sie es nach ganz oben geschafft?
Von klein auf hatte ich den Traum, Fussballprofi zu werden. Ich hatte ausschliesslich das im Kopf. Zu der Zeit lief nur Männerfussball im Fernsehen. Das waren meine Vorbilder. Ich war naiv und machte mir keine Gedanken darüber, ob das als Frau überhaupt geht. Ich habe ja auch nur mit Buben gespielt.

Was hat Ihnen das gebracht?
Es war vor allem für mein Selbstbewusstsein gut. Ich wusste irgendwann: Wenn ich mich gegen die Jungs durchsetzen kann, kann ich es mit allen aufnehmen.

Vor elf Jahren, mit 16, verliessen Sie die Schweiz und gingen zum schwedischen Klub Umea IK. Wo stand der Frauenfussball damals?
Es war für Frauen viel schwieriger, Profi zu werden. Fürs Spielen als Frau bezahlten dich nur ungefähr acht Vereine. Weltweit. Der Sport war bei den Mädchen auch noch nicht so populär wie heute. Mittlerweile haben all die Top-Vereine in Deutschland, England, Frankreich und den USA Frauenmannschaften. Und die bezahlen gut. Nicht vergleichbar mit den Männern, aber immerhin: Ich kann etwas auf die Seite legen.

Sprechen Sie mit den Spielern aus dem Männerteam darüber?
Vor kurzem lud uns der brasilianische Spieler David Luiz in sein Restaurant in London ein. Weil wir gerade das Double – die Meisterschaft und den Cup – gewonnen hatten. Er sagte: Wenn seine Mannschaft das schaffte, würde sie mehr gefeiert als wir. Er schaut alle unsere Spiele.

Ist er die Ausnahme?
Die meisten konzentrieren sich mehr auf sich. Das ist auch in Ordnung. Bei den Chelsea-Awards, bei denen jedes Jahr Spieler ausgezeichnet werden, gratulierten uns einige zu unseren Siegen. Ein paar wussten sogar, gegen wen wir als Nächstes spielten. So egal sind wir ihnen also nicht.

Wieso protestieren die Fussballerinnen nicht gegen die Benachteiligung?
Bei den Frauen ist mehr Leidenschaft dabei. Wir spielen, weil wir es gerne tun. Das Geld ist zweitrangig. Bei den Männern dreht sich oft alles nur ums Business. Für sie ist Fussball ein Job.

Gekaufte Meisterschaften und korrupte Fifa-Funktionäre sind im Männerfussball selbstverständlich. Ist jener der Frauen ehrlicher?
Ja. Das zeigt sich schon bei jeder einzelnen Spielerin. Ich würde auch dann jeden Tag auf dem Platz stehen, wenn ich weniger verdienen würde. Und das genauso gerne wie heute. So geht es den meisten von uns, sonst gäbe es keine Frauen-WM. Ich frage mich, ob die Männer vor so wenig Zuschauern spielen würden wie wir – noch dazu nur für ein paar Tausend Franken.

Was können sich die Männer von den Frauen abschauen?
Wie wir mit den Fans umgehen. Die Männer sind Stars, als solche auch weniger nahbar. Für ein Autogramm kommt man fast nicht an sie heran, weil alles abgesperrt ist. Wir nehmen uns Zeit, uns spüren die Fans mehr. Sie stehen direkt am Spielfeldrand. Zugegeben, wir haben auch weniger.

Im Vorfeld der WM warnten russische Organisationen davor, in den Stadien Händchen zu halten. Stand Ihnen die Homosexualität in Ihrer Karriere jemals im Weg?
Ich habe noch keine einzige schlechte Erfahrung gemacht. Bei den Männern wäre das vielleicht anders. Es ist ja auffällig, dass sich noch nie ein schwuler aktiver Spieler geoutet hat, obwohl es sicher einige gibt.

Was fürchten die Spieler?
Je höher oben du spielst, desto mehr Geld steht auf dem Spiel. Das ist ein ziemlicher Druck. Vielleicht kündigt dir der Klub den Vertrag, weil du dich geoutet hast. Vielleicht wirst du von den Zuschauern ausgepfiffen, wenn du auf den Platz gehst. Oder vielleicht tauchen in den sozialen Medien manipulierte Bilder von dir auf, die dich einen Teamkollegen umarmend zeigen. Weil es keine Outings gibt, weiss man nicht, wie die Szene reagieren würde. Das macht Angst.

Ein Leben für den Fussball: Derzeit bleibt ihr kaum die Zeit, um neue Leute kennenzulernen. Bachmann ist Single.

Sie hatten im SonntagsBlick vor zwei Jahren Ihr Coming-out. Haben Sie es bereut?
Für mich selbst war das keine grosse Sache. Meine Eltern wissen Bescheid, seit ich 16 bin. Ich habs nicht für mich gemacht. Ich wollte anderen zeigen: Schaut, Ramona ist homosexuell, und sie hat trotzdem Erfolg, und die Leute haben sie trotzdem gerne. Nachdem das öffentlich geworden war, habe ich viele nette Nachrichten bekommen. Manche schrieben mir, sie hätten sich erst jetzt getraut, es ihren Eltern zu sagen.

Ist der Frauenfussball aufgeschlossener als jener der Männer?
Ganz klar. Bei uns ist es offiziell, dass viele auf Frauen stehen. Das ist auch Teil des Images, und damit hat niemand ein Problem.

Sie spielten bereits für Klubs in Schweden, England und Deutschland – fühlen Sie sich dort als Homosexuelle anders als in der Schweiz?
In Schweden vor allem. Dort sind die Leute offener als hier. Als ich mit meiner Freundin Hand in Hand auf der Strasse ging, reagierte niemand. Dort ist das normal. In der Schweiz drehen sich die Men schen schon mal um. Schwulen-Pärchen bekommen es noch mehr zu spüren.

Seit einem Jahr sind Sie wieder Single. Beim FC Chelsea sind Sie gefordert. Haben Sie überhaupt Zeit, jemanden kennenzulernen?
Das ist wirklich schwierig. Ich treffe alleine schon deshalb nur wenige neue Menschen, weil ich so viel Zeit mit dem Fussball verbringe. Momentan bin ich zufrieden als Single. Bei meiner Ex-Freundin und mir ging es ja letztlich wegen der Fernbeziehung auseinander. Sie zog wegen mir nach Deutschland, als mich der VfL Wolfsburg holte. Es wäre für beide nicht gut gewesen, wenn ich wegen ihr dort geblieben wäre. Es war mein Traum, zu Chelsea zu gehen. Es ist aber nicht ihrer, mir das ganze Leben lang nachzureisen. In allen Beziehungen kam irgendwann der Punkt, an dem meine Freundinnen merkten, dass der Fussball bei mir an erster Stelle steht.

Bodenständiger Star

Ramona Bachmann (27) wuchs in Malters LU auf. Da blieb sie aber nicht lange. Mit 13 zog sie nach Huttwil BE – wegen der ersten Schweizer Akademie für Fussballerinnen. Für ihren Traum, Profi zu werden, brach sie ihre Lehre ab. Der Erfolg gab ihr recht: Mit 16 spielte sie in der Schweizer Frauen-Nationalmannschaft. Zur gleichen Zeit holte sie der schwedische Klub Umea IK – der erste Schritt Richtung Profi-Karriere. Heute ist sie als Stürmerin bei den Chelsea Ladies FC ganz oben angekommen. Bachmann gehört zu
den Top-Verdienerinnen im Schweizer Frauenfussball.

Ramona Bachmann (27) wuchs in Malters LU auf. Da blieb sie aber nicht lange. Mit 13 zog sie nach Huttwil BE – wegen der ersten Schweizer Akademie für Fussballerinnen. Für ihren Traum, Profi zu werden, brach sie ihre Lehre ab. Der Erfolg gab ihr recht: Mit 16 spielte sie in der Schweizer Frauen-Nationalmannschaft. Zur gleichen Zeit holte sie der schwedische Klub Umea IK – der erste Schritt Richtung Profi-Karriere. Heute ist sie als Stürmerin bei den Chelsea Ladies FC ganz oben angekommen. Bachmann gehört zu
den Top-Verdienerinnen im Schweizer Frauenfussball.

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