Der Urlaub ist vorüber, wir sind voller Ferieneindrücke, und zu Hause stapeln sich Postkarten von Freunden, die ebenfalls in historischen Stätten waren. Das sind die 10 klassischen Postkarten der Vergangenheit.
Eiffelturm
Tourismus ist die grosse Dienstleistungsindustrie, die von sich selber behauptet, dass sie das genaue Gegenteil von Industrie sei, nämlich individuelles Vergnügen. Vor allem ist Tourismus eine Bildermaschine. Sie verwandelt ihre Ziele – Monumente, Städte, Schönheiten – in Bilder und vervielfältigt sie so lange, bis das Original wie eine Kopie seiner selbst aussieht. Mit der Ansichtskarte entstand das passende Massenkommunikationsmittel dafür: Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurden jährlich mehrere Milliarden solcher Karten verschickt.
Kolosseum
Rom, schrieb James Joyce 1906 an seinen Bruder, komme ihm vor wie jemand, der seine verstorbene Grossmutter zur Schau stelle. Stimmt auch: Hier hat die Urgeschichte des Tourismus begonnen. Der erste Reiseführer mit Beschreibung der Sehenswürdigkeiten und Anekdoten wurde von einem Engländer im 12. Jahrhundert geschrieben. Und Bauen in der Ewigen Stadt hiess dann jahrhundertelang, die antiken Vorbilder mit der jeweils neusten Technologie noch ein bisschen üppiger wiederauferstehen zu lassen. Hier ist auch im 16. Jahrhundert ein neuer Beruf entstanden: der Fremdenführer.
Angkor Wat
Haben die anderen auch so beeindruckendes altes Zeug wie wir? Als der portugiesische Missionar Antonio da Madalena vor 450 Jahren als erster Europäer Angkor Wat in Kambodscha sah, war er sicher, ein Stück Antike vor Augen zu haben: Ein so gewaltiges Bauwerk könne nur von den Römern errichtet worden sein, fand er. Der französische Naturforscher Henri Mouhot sah das noch 1860 genauso. Die Tempelstadt stamme aus dem Altertum – wie der Tempel Salomos sähe sie aus, von einem asiatischen Michelangelo errichtet.
Orientexpress
Fremdenverkehr, wie wir ihn heute kennen, ist das Ergebnis von drei Erfindungen des 19. Jahrhunderts: Fotografie, Eisenbahn, Grand Hotel, von der Schweiz, dem Geburtsort der Luxushotels, bis in den Nahen Osten. Wer weniger gut bei Kasse war, konnte die Wunder des Orients auch auf Fotos besichtigen. Oder 1889 auf der Pariser Weltausstellung: Eine Altstadtstrasse von Kairo plus Minarett war dort so täuschend ähnlich nachgebaut worden, dass sich auch «echte Orientalen» in ihrer Heimat wähnten, wie die Zeitungen stolz schrieben.
Disneyland
Disneyland in Florida ist erst einmal eines: praktisch. Grösstmögliche Ansammlung von angenehm verkleinerten Attraktionen aus Geschichte, Film und Comic Strip – oder einer Mischung aus allen dreien. Man kann sie betreten und anfassen; und genügend Parkplätze gibt es auch. Ist aber keine amerikanische Erfindung. Themenparks mit Geschichten aus der Bibel in 3-D, Farbe und gefühlsecht wurden schon im 16. Jahrhundert in Italien gebaut, die «Sacri Monti». Blick ins Paradies inklusive, plus angeschlossenem Hotel.
Pyramiden
Der Rohstoff des modernen Tourismus sind nicht Sonne, Strand oder unberührte Landschaften. Die sind nur Dekoration. Es ist die Zeit selbst – die Verheissung, dass einem anderswo mit Unlust verbrachte Lebenszeit im Urlaub zurückgegeben werde; plus das Versprechen, dass an dem besuchten Ort die Zeit auf geheimnisvolle Weise stehen geblieben sei oder sogar rückwärts laufe. Der Orient ist seit mehr als 150 Jahren für gebildete Europäer eine solche verlockende pittoreske Zeitmaschine, in zahllosen Fotografien und Bildbänden vermarktet. Wir wollen Geheimnisse – aber bitte solche, die wir schon kennen.
Matterhorn
Um den Wiederkennungswert geht es, wissen die Marketingspezialisten. Das Original. Das Echte. Aber ist das Matterhorn «authentisch» (das zweite Lieblingswort der Werber)? Nein, denn Authentizität bezieht sich immer auf Vervielfältigung. Natürlich könnte man einen 4478 Meter hohen Zacken aus Granit erbauen. Macht aber niemand (zu teuer). Das Matterhorn ist eben nicht authentisch, sondern einfach da. Das Authentische im Tourismus dagegen ist authentisch, weil es unendlich oft reproduziert werden kann – und sich so in sein eigenes Abziehbild verwandelt.
Kapellbrücke
Als die Kapellbrücke 1993 abbrannte, hat der Luzerner Tourismusdirektor vor laufenden Fernsehkameras geweint. Unersetzlicher Verlust, hiess es damals – ein 600 Jahre altes Monument, fast so alt wie die Eidgenossenschaft. Oder auch nicht: Denn 15 Jahre vorher waren drei Viertel aller Holzteile der Brücke erneuert worden, wie schon jahrhundertelang zuvor. Sonst wäre sie schon lange nicht mehr da. Heute ist sie wieder echtes Mittelalter, besucht von 5 ½ Millionen Touristen pro Jahr und geschmückt mit Geranien, ohne die es keine gute alte Zeit geben kann: Modeblumen des 19. Jahrhunderts mit Migrationshintergrund (sie kommen aus Afrika).
Akropolis
Die Akropolis ist das Symbol für das griechische Abendland – und ziemlich jung. Zum Wahrzeichen werden konnte sie erst dadurch, dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts alle Reste der Moschee entfernt wurden, die 400 Jahre dort gestanden hatte. Zuvor war sie mehr als 1000 Jahre lang eine Marienkirche gewesen. Könnte es sein, dass ein Wahrzeichen dadurch funktioniert, dass es die weniger passende Vergangenheit zum Verschwinden bringt?
Mittelalterspiele
Wahrscheinlich hat es in der Schweiz im ganzen Mittelalter nicht so viele Turniere und Ritterspiele gegeben wie im 21. Jahrhundert: In der warmen Jahreszeit findet fast jedes zweite Wochenende eines statt. Die Vergangenheit ist eben das unerreichbare Land schlechthin, der Sehnsuchtsort. Genau deswegen wollen wir so gerne dorthin. Aber bitte mit allem Komfort von heute: Mittelalter mit fetter Soundanlage, eisgekühlten Erfrischungsgetränken, Kartoffelchips und WLAN. Und in Originalkostümen.
Valentin Groebner, «Retroland». S.-Fischer-Verlag, ab Mittwoch im Handel.