So feiert Endo Anaconda Silvester
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Berner Legende im Interview:So feiert Endo Anaconda Silvester

Endo Anaconda
«Ich habe lieber ein dummes Handy statt dumme Posts»

Silvester war früher besser, sagt Endo Anaconda (63). Das Schwergewicht der Schweizer Kulturszene erklärt, weshalb ihn Göla und die Schweiz manchmal nerven und was wir von den Ostgoten lernen können.
Publiziert: 31.12.2018 um 09:52 Uhr
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Aktualisiert: 04.01.2019 um 09:23 Uhr
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Endo Anaconda über die Zukunft von Stiller Has: «Wir machen noch diese Tour bis Ende 2020. Ein Album ist noch unterwegs. Danach ist fertig.»
Foto: Thomas Meier
Benno Tuchschmid

Endo Anaconda, das neue Jahr …
Ich bin immer noch todmüde vom alten.

Wie werden Sie das alte ­beenden?
Ich rufe meine Freunde an und danke ihnen, dass sie es mit 
mir ausgehalten haben. Dann schaue ich die Silvester-Show im Fernsehen und schlafe ein. Silvester war früher am TV einfach besser. Da gab es noch das ARD-Fernsehballett!

Zum Jahresende gehören auch die Jahresrückblicke im Fernsehen.
Die mag ich. Obwohl man dann immer die Zeit ticken hört. Und das erinnert mich daran, dass auch ich mittelfristig sterben muss, was ich persönlich als ungerecht empfinde.

Sie haben mit «Aare», «Walliselle» und «Znüni näh» Songs geschrieben, die unser Land besser beschreiben als so manche soziologische Studie. Wie finden Sie denn die Schweiz?
Ich bin ein sentimentaler Pa­triot – oder eher Matriot, denn die moderne Schweiz beginnt für mich 1971 mit dem Frauenstimmrecht. Aber ernsthaft: Ich liebe die Schweiz und setze mich mit ihr auseinander. Leider ist das Reflektieren heute nicht mehr in.

30 Jahre ein 
Stiller Has

Endo Anaconda alias ­Andreas Flückiger kam 
in Burgdorf BE zur Welt und wuchs in Biel BE auf, bevor er mit zwölf in ein katholisches Internat in Klagenfurt (A) geschickt wurde. In den frühen 80er-Jahren kehrte er aus Österreich in die Schweiz zurück und spielte in verschiedenen Formationen. 1989 gründete er mit Balts Nill die Formation Stiller Has, die unter anderem den Salzburger Stier und den deutschen Kleinkunstpreis gewann. Endo ­Anaconda ist zudem ­Autor zahlreicher Kolumnen und veröffentlichte Bücher. Heute lebt ­Anaconda in Erlinsbach AG. Er hat drei Kinder mit drei verschiedenen Frauen.

Endo Anaconda alias ­Andreas Flückiger kam 
in Burgdorf BE zur Welt und wuchs in Biel BE auf, bevor er mit zwölf in ein katholisches Internat in Klagenfurt (A) geschickt wurde. In den frühen 80er-Jahren kehrte er aus Österreich in die Schweiz zurück und spielte in verschiedenen Formationen. 1989 gründete er mit Balts Nill die Formation Stiller Has, die unter anderem den Salzburger Stier und den deutschen Kleinkunstpreis gewann. Endo ­Anaconda ist zudem ­Autor zahlreicher Kolumnen und veröffentlichte Bücher. Heute lebt ­Anaconda in Erlinsbach AG. Er hat drei Kinder mit drei verschiedenen Frauen.

Was meinen Sie damit?
Heute wollen viele in der Schweiz zurück zur Volksmusik. Aber nur weil man das Matterhorn auf der Bühne nachbaut und die Damen im Dirndl made in China kommen, ist das noch keine Volksmusik. Dieses Heimattümelnde, das sich in der Schweiz auch politisch äussert, mag ich nicht. Man schaut sich auf den eigenen Bauchnabel, weil man Angst hat, die globale Realität zu betrachten – oder schon nur die europäische.

Sie reden von Trauffer und Gölä?
Ich bin nicht neidisch, das ist ja eher volkstümlich. Aber auch die Mentalität eines Teils der Bevölkerung. Deshalb ist die Schweiz derart überbeflaggt.

Überbeflaggt?
Ich liebe unsere Fahne, aber sie muss mittlerweile für alles herhalten. Als Design ist sie genial. Formal kann nur noch die japanische Flagge mithalten kann.

Aber sie hängt zu viel?
Mich interessiert der kosmische Blick einfach mehr als der natio­nale oder der Kantönligeist. Vor ein paar Jahrzehnten haben ­Astronauten die Welt hinter dem Mond aufgehen sehen. Heute hat die Sonde Cassini unser Sonnensystem verlassen. Und vor kurzem haben wir sogar den Mars gehört. Er klingt etwa so, wie wenn du in einem Techno-Club auf der Toilette sitzt. Das ist doch viel interessanter als diese pseudopatriotische Nabelschau.

Was mögen Sie an der Schweiz?
Vor allem die Menschen. Wir spielten in Luzern in diesem Glaskasten des SRF. «Jeder Rappen zählt». Kein Volk spendet so viel. Vielleicht auch aus Schuldgefühlen. Ein Sozial­fall bei uns, ist in Burundi Oberklasse.

Sie sind in den 80er-Jahren aus Österreich in die Schweiz zurückgekehrt. Wie hat sich die Schweiz seither verändert?
Vor den 80er-Jahren war das kein Land für einen Jugendlichen, dessen Herz links schlug. Gesellschaftspolitisch sind wir seither wahnsinnig viel weiter: Frauenrechte, Kampf gegen die Diskriminierung von Menschen anderer ­Sexualität, Drogenpolitik.

Sie sind ja zur Hälfte Österreicher ...
Nein, bin ich nicht. Meine Mutter kommt aus Österreich.

... ja, eben!
Aber sie stammt da wiederum aus einer slowenisch-sprachigen Familie, die im Laufe der Geschichte germanisiert wurde.

Ich verstehe: Sie mögen keine Schubladen.
Der Parteichef der AfD hat gesagt, die Menschheit interessiere ihn nicht, er sei in erster Linie Deutscher. Ich bin erster Linie Mensch.

Identität ist also nicht wichtig?
Im Gegenteil! Identität ist sehr wichtig, weil sie Vielfalt garantiert. Die Franzosen werden wütend, wenn man ihnen ihren Schimmelkäse reglementiert, nur weil irgendein Nahrungsmittelkonzern dann mehr von seinem Käse verkaufen kann. Die Politik ist heute immer mehr die Gürtelrose der Ökonomie. Da braucht man sich nicht über die Gilets jaunes zu wundern.

Sie sagen, alles werde sich ­immer ähnlicher?
Ja! Genau darum interessiert mich die Reiserei nicht mehr. Es ist überall gleich, ob du nun in Zagreb durch eine Einkaufsstrasse läufst oder in Castrop-Rauxel.

Für Identitätsverlust kann aber auch die Zuwanderung sorgen.
Ach, Blödsinn! Die ist ja statistisch kaum relevant. Viele sagen ja, das Römische Reich sei wegen der Barbaren untergegangen. So ein Quatsch! Rom ging unter, weil die Römer nicht in der Lage waren, diese fucking Ostgoten zu integrieren. Die wären eigentlich am liebsten Römer geworden, aber man hat sie beschissen. Die römische Gesellschaft war morsch, alles basierte auf Sklavenarbeit. Historisch gesehen kann man froh sein, kamen die Hunnen.

Heute geht es weniger um Sklaverei, aber doch auch um die Zukunft der Arbeit. Die Digitalisierung lässt viele Jobs verschwinden. Fahren Sie Uber?
Nein. Aber wissen Sie was? Ich halte die Digitalisierung für eine Blase.

Wieso?
Vor 150 Jahren gab es in Europa den Eisenbahnboom. Hunderte ­Eisenbahngesellschaften schossen aus dem Boden – eine Megablase! Zum Schluss musste man verstaatlichen, und heute haben wir zum Beispiel die SBB. So wird es bei der Digitalisierung auch sein.

Ihr Handy schaut eher alt aus.
Ja, solange ich mir es leisten kann, will ich diese Tablets und Smartphones nicht. Ich habe lieber ein dummes Handy statt dumme Posts.

Sie nannten die Schweiz mal den Gartensitzplatz Europas. Wieso?
Wir haben den Vorteil, dass die Welt so gestresst ist, dass sie eine ruhige Hochpreisinsel braucht. ­Dafür können wir dann auch einen anständigen Preis verlangen. Wir haben jetzt grad in diesem goldenen Ei in Davos gespielt.

Dem Hotel, in dem Trump am WEF übernachtet hatte?
Genau. Ich glaub, ich habe sogar in derselben Suite übernachtet. Es ist ein Wahnsinn. Da kannst du auf dem Balkon joggen, so gross ist der. Aber alles ist dermassen steril.

Stiller Has war mal eine Untergrundband. Jetzt sind Sie ein KMU und übernachten in teuren Hotels.
Privat könnte ich mir das nie leisten. Paul Rechsteiner hat sich ja auch von einem radikalen Linken zu einem Gewerkschaftssekretär gewandelt, und Moritz Leuenberger kenne ich auch noch aus anderen Zusammenhängen.

Wie lange wird es Stiller Has ­eigentlich noch geben?
Wir machen noch diese Tour bis Ende 2020. Ein Album ist noch unterwegs. Danach ist fertig. Ich bring dann vielleicht endlich meinen Gedichtband raus. Aber Stiller Has gibt es dann vorerst nicht mehr.

Jetzt sind Sie als Duo unterwegs. Wieso?
Der Text steht heute mehr im Vordergrund. Und wir können so besser in kleinen Theatern spielen.

Wieso besser?
Es war für mich ja ruinös, dauernd mit grossen Bands in kleinen Clubs zu spielen. Ich habe meine Musiker immer gut bezahlt und dabei zu wenig an mich gedacht. Ich bin ­unterhaltspflichtig in drei absoluten Glücksfällen. Da braucht man Geld, zeitenweise zahlte ich bis 4000 Franken Unterhaltspflicht pro Monat. Wenn ich zurückdenke, hatte ich eigentlich nie Zeit, zu ­geniessen.

Es war immer ein Chrampf?
Ich habe bis 1989 neben der Musik gearbeitet, bin Gabelstapler gefahren, habe Telefonautomaten montiert und Behindertentransporte gemacht, was ich heute noch an meinen Bandscheiben merke. Ja, ich habe immer viel gearbeitet. Vielleicht hat mich das auch geschützt.

Wieso?
Ich sag es mal so: Ich hatte sicherlich nicht die glücklichste Jugend. Da gibt es schon was Posttraumatisches bei mir. Ich verbrachte meine Jugend in Österreich in einem katholischen Heim. Und das kommt heute noch hoch.

Hat das Ihre Beziehung zur Kirche verändert?
Ich wäre Pfarrer geworden, wenn ich die Erfahrungen mit der katholischen Pädagogik nicht gemacht hätte. Die Zehn Gebote sind immer noch in mir. Glaube kann festigen.

Aber auch zerstören.
Dieser Papst Franziskus, der nun Frauen, die abtreiben müssen, vorsätzlichen Mord vorwirft: Das bringt mich meilenweit weg von der Kirche. Immer auf die Frauen. Immer. Und dann die Missbrauchsskandale. Ich selber hatte mehr mit Gewalt zu tun. Mit Prügelstrafen. Du bekamst einfach auf die Fresse und wusstest nicht, wieso.

Also das pure Gegenteil von ...
Liebe.

Letzte Frage: Was wünschen Sie sich vom neuen Jahr?
Dass Viola Amherd im VBS aufräumt. Ich bin ja einer der wenigen Linken, der Respekt vor jedem hat, der Militär- oder Zivildienst leistet. Leider brauchen wir eine Armee, aber eine, die aus den fittesten Demokraten besteht, die Gewalt nur als allerletztes Mittel sehen. Aber wenn es sein muss: Zack, bum!

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