Ein Plädoyer für mehr Emanzipation
Er grilliert, er fährt, er fragt

Hören wir auf mit der eingefahrenen Rollenverteilung: Frauen, nehmt die Grillzange, das Steuer und den Ring in die Hand!
Publiziert: 23.05.2018 um 15:02 Uhr
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Aktualisiert: 27.05.2019 um 12:05 Uhr
Meistens steht der Mann am Feuer. Die Erklärung dafür sind oft Ur-Instinkte. Im Mann wird der Neandertaler erweckt.
Foto: Getty Images
Alexandra Fitz

Irgendein Balkon in Zürich. Einer dieser heissen Frühlingstage. Freunde wollen grillieren. Zwei Frauen stehen in der Küche, schälen Spargeln, kochen Couscous. Der Mann fragt: «Soll ich mich um den Grill kümmern?» «Ja», antwortet die Partnerin. «Grillieren ist deine Aufgabe.» «Warum ist das denn meine Aufgabe?», ertönt es nun vom Balkon. Die 36-Jährige antwortet: «Grillieren ist Männersache. » Dieser Satz ist der Grund für diesen Text. Was zum Teufel ist los? Warum ist die Grillerei so eine maskulin aufgeladene Angelegenheit?

Auf dem Stadt-Balkon wird schnell klar: Der Typ hat keine ­Ahnung, vielleicht weil er Vegetarier ist, vielleicht weil er über die ihm zugeschriebene Rolle nachdenken muss: 21. Jahrhundert und sein sonst so emanzipiertes Weib teilt die Welt tatsächlich in Männer- und Frauensachen ein. Er würde gerne weinen. Lässt es aber, weil Gefühlezeigen bei dieser eingefahrenen Rollenverteilung sicherlich nicht zu seinen Aufgaben gehört.

Grillieren ist Freizeitbeschäftigung Nummer eins des Sommers


Während er also halbherzig mit einer Silber-Gabel Spargel, Grill­käse und Tofuwürste dreht, warten die Damen mit den Beilagen am Tisch. Die eine hat schlaue Tipps für den Grillmeister. Typisch, Aufgaben abgeben, aber sekündlich reinreden. Die andere lässt ihren Blick über all die Nachbar-Balkone streifen. Fast überall wird grilliert, und fast überall grilliert der Mann. Nicht nur zu Hause. Auch am See oder im Park ist Grillieren die Freizeitbeschäftigung Nummer eins des Sommers. Und auch dort brutzelt der Mann Würste und Koteletts. Erklärt wird das mit Ur-Instinkten.

Es gibt Ausnahmen. Aber meistens steht ein Mann am Feuer. Dort kann er dann Feuerwehrmann, Ernährer und Entertainer in einem sein.


Der Rauch, die Hitze, der Geruch von Essen über Feuer wecken den Neandertaler im Mann. Er war es, der in ein Bärenfell gewickelt den Mammut mit dem Speer erlegte, schwitzend zur Höhle schleppte und pflichtbewusst das Fleisch über den Flammen briet. Menschen um Feuerstellen versammelt sind evolutionär in uns eingraviert. Wie wohl auch die Aufgabenteilung. Lässt sich diese denn nicht ändern, so wie sich in den letzten Jahrhunderten einige Verhaltensmuster im Bezug auf die ­Geschlechter geändert haben?

Matthias Luterbach forscht am Schweizerischen Institut für Männer- und Geschlechterfragen und an der Uni Basel zum Thema Männlichkeit. Er findet eine Erklärung bei den Geschlechterverhältnissen, die sich im 19. und 20. Jahrhundert etablierten. Mann gleich öffentliche, sichtbare, repräsentative Tätigkeiten. Frau gleich unsichtbare, private, weniger prestigeträchtige Aufgaben. So passe es eben gut, dass der Mann – meist in Anwesenheit der Gäste – grilliert und die Frau im Hintergrund agiert. Es habe auch mit Sozialisation zu tun, dass Männer sich für Aufgaben berufen fühlen, wo man Anerkennung und Respekt abholen könne, während Frauen gelernt hätten, sich nicht in den Vordergrund zu drängen. Ergebnis: unterschiedliche Wertigkeiten und Hierarchien zwischen den Geschlechtern. Dass diese Vorstellungen noch so fest ver­ankert sind, habe nicht zuletzt mit der Werbung zu tun. Gerade die für Grillfleisch reproduziere starke männliche Stereotypen.

Kein Wunder existiert das bescheuerte Klischee, dass Frauen schlechter Auto fahren, wenn Männer sie nicht lassen.

Die Grillerei als letztes männliches Refugium?


Ein Kulturwissenschaftler erklärt in der «Süddeutschen Zeitung», warum sich Männer derart an die Grillzange klammern. Frauen hätten in vielen anderen Bereichen das Zepter in die Hand gerissen. Die Grillerei als letztes Refugium also. «Unterkomplex», sagt Fabienne Amlinger vom Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung in Bern. Dass die Männer immer mehr zurückgedrängt werden, sei eine falsche These. Obschon Frauen in vielen Bereichen aufgeholt haben, könne noch nicht überall von Gleichberechtigung gesprochen werden. Zudem, so Amlinger, «bedeutet Gleichberechtigung, dass auch Privilegien abgegeben werden müssen.»

Manchmal, da drängt sich die Frage auf: Wollen Frauen denn überhaupt alle Privilegien? Denn ähnlich wie beim Grillieren sieht es beim Autofahren aus. Sitzen Frau und Mann gemeinsam im Auto, fährt meist er. Findet sie das angenehm? Will sie gar nicht ans Steuer? Auch beim Heiraten geht es traditionell zu und her. Einen Heiratsantrag machen Frauen selten – Emanzipation hin oder her. Vielleicht haben Frauen einfach null Lust zu grillieren und denken dabei gar nicht über Emanzipation nach. Sondern sind einfach froh, wenn der Mann hin und wieder die Nahrungszubereitung übernimmt. Wenigstens an den wenigen Abenden. Sie geben die Arbeit dankend ab. Ist es nicht doch Emanzipation, wenn die Frau sagt: «Du grillierst!»?

Macht sie den Antrag, ist sie eine Emanze, und er will wohl gar nicht richtig. Wie lange gilt noch: «Er fragt sie»?

Einen Geschlechter-Graben zu erkennen, ist der erste Schritt


Immerhin scheint die Gesellschaft zu erkennen, dass gewisse geschlechterspezifische Überbleibsel nicht mehr ganz ins 21. Jahrhundert passen. Das glauben zumindest Amlinger und Luterbach vom Fach. Dass wir uns dessen bewusst werden und Ungleichheit auch im Grill-Geschlechter-Graben erkennen, sei ein erster Schritt. «Ich glaube, dass es zunehmend Diskussionen um private Tätigkeiten gibt und dass mehr verhandelt wird», sagt Luterbach. Selbstverständlichkeiten im Geschlechterverhältnis würden uns zunehmend befremdlich und absurd erscheinen.
Die eine Dame vom Balkon, die sich so sicher ist, dass die Grillzange in eine Männerhand gehört, philosophierte dann auch darüber, warum Männer immer so überschwänglich für ihre Künste gelobt werden, die etlichen Beilagen der Frauen – die (und das wissen wir alle) aufwendiger und mehr Zeit beanspruchen – aber selten Beifall ernten.

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