Besuch seiner letzten Ruhestätte in London
Das Geschäft mit dem Grab von Karl Marx

Am 5. Mai wäre Karl Marx 200 geworden. Seine letzte Ruhestätte liegt in London im Highgate Cemetery – und lehrt fast so viel über den Kapitalismus wie die Schriften von Marx selber.
Publiziert: 09.05.2018 um 19:21 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 23:55 Uhr
Jochen Wittmann

Die Flora ist ausser Rand und Band. Blaue Glockenblumen spriessen auf den Gräbern, Löwenzahn und gelbe Primeln säumen den Wegrand, selbst die notorisch späten Eschen beeilen sich jetzt mit frischem Grün. Auf dem Highgate ­Cemetery im Norden Londons ist der Frühling ausgebrochen. Der Weg zur berühmtesten Grabstätte, die dieser Friedhof aufzuweisen hat, geht leicht bergan.

Es ist gar nicht zu übersehen, schon weil es so viel grösser ist als die anderen Grabmale. Ein übermannshoher, grauer Granitquader, darauf die dunkle Bronzebüste eines massigen Schädels: Karl Marx grüsst die Besucher seiner letzten Ruhestätte schon von weitem. Das Grab des wirkungsmächtigsten Denkers, den Deutschland je hervorgebracht hat, ist keine elegante Angelegenheit. Laurence Bradshaw ist der Künstler, der die Grabanlage 1955 entworfen hat, und Understatement war seine Absicht nicht. Als er den Auftrag zur Gestaltung gewann, erklärte Bradshaw, dass die Herausforderung darin liegen würde, «ein Monument nicht nur für einen Mann, sondern für eine Geistesgrösse und einen grossen Philosophen zu schaffen».

«Proletarier aller Länder verbündet euch»

Hat er deswegen Marx’ Haupt so überdimensional gestaltet? Ein ­gewaltiger Kopf ist das, um nicht zu sagen kolossal. Die hohe Stirn, die buschigen Augenbrauen, das wallende Haar, der mächtige Bart. Es ist eine Büste, die dominieren soll. «Big Brother in drei Dimensionen», kommentierte der linksliberale «Guardian», als das Monument 1956 enthüllt wurde, «das Gesicht eines Vaters, der seine Kinder züchtigt, aber stets in Kummer.»

Bradshaw hat das ­gesamte Tableau geschaffen: die Büste, den drei Meter hohen Sockel, das Design der vergoldeten Inschriften. Oben steht in Englisch der Aufruf aus dem Kommunistischen Manifest: «Proletarier aller Länder, vereinigt euch!» Am Fuss des Sockels mahnt die letzte seiner «Thesen über Feuerbach»: «Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.» Eine in den Sockel eingelassene Marmortafel bezeugt, dass hier neben Karl Marx weitere Mitglieder der Familie bestattet sind, darunter seine Frau Jenny von Westphalen und seine Tochter Eleanor.

Karl Marx ruht auf dem Highgate ­Cemetery im Norden Londons

Doch hierher kommt jeder nur wegen Karl. Der Ort ist ein Aufmarschplatz für die Genossen. ­Jedes Jahr zum Todestag am 14. März versammeln sich britische Sozialisten, europäische Revolutionäre und die Botschafter von kommunistischen Staaten wie Kuba, Vietnam oder China, um Kränze zu legen, weiss Neil Hollows, der ehrenamtlich beim Friedhof aushilft. «Beim letzten Mal kamen 150 Leute zusammen», sagt Neil. «Am Ende sangen sie alle die Internationale.» In diesem Jahr wird ein grösserer Aufmarsch für den 200. Geburtstag am 5. Mai erwartet.

Ansonsten besuchen die Stätte hauptsächlich Touristen, die gerne ­Selfies vor dem Grab machen. Es gibt aber auch Leute, die des Philo­sophen gedenken wollen. Die Grabkerzen zeugen davon, der Strauss roter Nelken, schon arg verwelkt, die weisse und die rote Rose, die auf der Grabplatte liegen. Rings um die letzte Ruhestätte von Marx haben sich Kommunisten bestatten lassen, die ihrem Cheftheoretiker auch im Tode nahe sein wollen. ­Billig ist das nicht, weil kaum Platz mehr da ist. Selbst für eine schlichte Urnenbestattung liegen die Preise mittlerweile bei rund 4000 Pfund und steigen jährlich. Es hat seine eigene Ironie, dass ausgerechnet an ­dieser Stelle die sozialistische Nachfrage zu kapitalistischem Mehrwert führt.

Revolution statt Karl Marx

Frank A. Meyer über den Hype um den 200. Geburtstag von Karl Marx, die Lehren aus der Lehre des Philosophen und Ökonomen – und er erklärt, was das Ganze mit Facebook-Chef Mark Zuckerberg zu tun hat.

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Marx wurde einmal exhumiert und umgebettet

Kaum jemand geht zur vorletzten Ruhestätte von Karl Marx. Denn ursprünglich lag er 200 Meter weiter in einer engen Grabzeile. Zu wenig Raum sei dort, hatten sich die britischen Kommunisten beklagt, auch wäre es für ­Besucher schwierig, das Grab zu finden. Die Sowjetunion fragte bei der britischen Regierung an, ob man Marx’ sterbliche Überreste ausgraben, nach Moskau überführen und dort an der Seite von Lenin bestatten dürfe. London lehnte dankend ab. 1954 beantragte die Marx Memorial Library, der die Verwaltung des Grabes oblag, die Umbettung an einen für Versammlungen geeigneteren Ort. Dem wurde stattgegeben. Marx wurde exhumiert und kam 73 Jahre nach seiner Beerdigung zu einem deutlich repräsentativeren Grabmal.

Genossen versammeln sich am 26. April 1956 vor seinem Grab
Foto: KEY

Dabei ist die vorletzte Ruhestätte viel atmosphärischer. Am Monument vorbei muss man, den Weg ­hinunter und beim Grab von Arthur Joseph Lockett rechts rein. Der Pfad ist schmal, die meisten Gräber hier sind von Brombeergestrüpp überwachsen, die Grabsteine verwittert, die Inschriften kaum zu entziffern. Jede Menge Glockenblumen und Vergissmeinnicht. Ein Specht trommelt. Hummeln bummeln. Rechts ist es dann, ein Doppelgrab, von der Familie erworben für damals drei Guineas, was in heutigen Preisen rund 250 Pfund ausmacht.

Als Marx 1883 hier zur Ruhe gelegt wurde, kamen lediglich zwölf Trauergäste. Sein Freund Friedrich Engels hielt die Grabrede. «Am 14. März, nachmittags um ein Viertel vor drei», sagte Engels, «hat der grösste lebende Denker aufgehört zu denken. Kaum zwei Minuten ­allein gelassen, fanden wir ihn beim Eintreten in seinem Sessel ­ruhig entschlummert – aber für ­immer.» Der 63-Jährige sei wegen seiner revolutionären Philosophie, so Engels, «der bestgehasste und bestverleumdete Mann seiner Zeit» gewesen. Ja, bestätigte der aus Deutschland herangeeilte Gründervater der SPD, Wilhelm Liebknecht: «Er war der bestgehasste, er ist aber auch der bestgeliebte ­gewesen.»

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