Seit einem Monat läuft die Serie «Aufräumen mit Marie Kondo» auf dem Streaming-Dienst Netflix – und hat ein wahres Entrümpelungs-Fieber ausgelöst. In der Sendung bringt die 34-jährige Japanerin Ordnung in chaotische US-Haushalte und dient als Inspiration für alle, die etwas ordentlicher sein wollen.
Ihre «KonMari»-Methode basiert auf folgenden Prinzipien: Erstens wird nach Kategorie aufgeräumt, nicht nach Zimmer – das reicht von Gegenständen, die einen kalt lassen, bis zu emotionalen Erinnerungsstücken. Zweitens: Jeder Gegenstand wird in die Hand genommen. Was ein Glücksgefühl auslöst, darf bleiben, der Rest muss weg. Ist das Ganze nur Hype und Hokuspokus?
Keinesfalls. Von der Methode profitieren können nämlich auch Menschen, die krankhaft Sachen horten: die Messies. Davon ist der Schweizer Fachpsychologe für Psychotherapie, Heinz Lippuner, überzeugt, der sich seit 20 Jahren mit Betroffenen beschäftigt. Denn: «Studien haben gezeigt, dass Messies dazu tendieren, falsche Kategorien für ihre Besitztümer zu bilden», sagt Lippuner zum Online-Magazin «Higgs».
Bei Kleidern spiele es für Messies etwa keine Rolle, ob sie noch getragen werden, sondern von wem man sie bekommen hat. «So wird alles zum Erinnerungsstück, von dem man sich nicht trennen kann», sagt Lippuner. «Wenn es einem Coach gelingt, bei der Kategorienbildung ein Umdenken zu bewirken, kann das durchaus zum Erfolg führen.»
Menschen mit dem Messie-Syndrom sammeln zwanghaft Unmengen von für andere wertlosen Gegenständen und können sich sehr schlecht von ihnen trennen. Im Extremfall sind die Wohnungen damit zugemüllt und kaum mehr begehbar.
Wer viel behalten will, soll viel behalten
Wenn es ums Entrümpeln geht, hilft Karine Paulon aus Thalwil im Kanton Zürich, die Vollzeit als Aufräumcoach tätig ist. Sie hat vor eineinhalb Jahren als Erste im deutschsprachigen Raum das «KonMari»-Zertifikat erworben. «Ich bin etwas zwischen Putzfrau und Psychologin», sagt sie und lacht. Ein Zusammenhang zwischen Seelenleben und Ordnung könne nicht von der Hand gewiesen werden.
«Wir haben zu jedem Objekt eine Beziehung», sagt Paulon. «Indem wir bei jedem Gegenstand auf unser Glücksgefühl hören, lernen wir uns selber immer besser kennen.» Ein Teil ihrer Arbeit ist es, die Leute beim Wahrnehmen dieses Glücksgefühls zu trainieren.
Die meisten von Paulons Klienten haben ihr Leben im Griff, sie wünschen sich einfach mehr Ordnung. Doch manchmal hat sie mit Messies zu tun. «Auch hier funktioniert die Methode, aber ich gehe noch behutsamer vor als sonst», sagt sie. Wenn sie mit Messies arbeitet, holt sie sich Unterstützung von Psychologen.
Paulon betont, dass es bei der «KonMari»-Methode nicht um Minimalismus gehe. «Die Leute dürfen so viel behalten, wie sie wollen.» Einige würden vieles behalten, und das sei in Ordnung. Das sieht auch der Psychologe Lippuner so: «Viele Menschen würden sich quasi nackt fühlen ohne Besitztümer. Objekte können eine wichtige identitätsstiftende Funktion haben.»
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