Als der Unternehmer und Pharmakologe Mark Post sein Geheimnis lüftet, scheint es wie ein Wunder: Er hebt eine silbern glänzende Speiseglocke. Darunter: Fleisch. Doch was Post hier enthüllt ist kein Bratstück sondern Hoffnung auf lustvollen Fleischkonsum ohne schlechtes Gewissen. Ohne leidende Tiere, ohne für Tierweiden abgeholzte Wälder und ohne Klimaschaden. Denn für dieses Fleisch ist kein Tier gestorben. Es reichte, einer lebenden Kuh ein winziges Stück Muskelgewebe zu entnehmen. Der Niederländer Post züchtete daraus im Labor Muskelzellen und liess diese zu einer Hackfleisch-ähnlichen Masse heranwachsen. Das Resultat sieht aus wie ein Burger.
Die beschriebene Szene stammt aus einem Video von 2013 – es wirbt für Posts Firma Mosa Meat.
Seitdem ist ein Hype entstanden um das kultivierte Fleisch, das von den Marketingabteilungen Clean Meat genannt und in der Sprache des Silicon Valley als disruptive Technologie gepriesen wird. Investoren wittern einen Zukunftsmarkt. Mosa Meat etwa zählt Google-Mitgründer Sergey Brin und den Schweizer Fleischhersteller Bell zu seinen Geldgebern und 2018 gewann das Start-Up 7,5 Millionen Euro, um seinen Burger 2021 auf den Markt zu bringen.
Dutzende weitere Start-Ups entstanden in den letzten Jahren, etwa Biotech Foods aus Spanien oder Future Meat aus Israel. Deren Websites sehen allerdings eher aus wie Food-Blogs: Es gibt Bilder von effektvoll inszenierten Fleischgerichten, Verpackungsdesign extra für das Kunstfleisch, Medienberichte, die die Zukunft des Fleischkonsums bejubeln. Nur ein Produkt, das gibt es nicht.
«In einigen Berichten in den Medien hört es sich an, als ob es tatsächlich schon machbar ist, solche Burger im grossen Stil herzustellen», sagt Lieven Thorrez von der Katholischen Universität Leuven in Belgien. Er kritisiert, dass hinter der Hoffnung auf das Fleisch aus dem Labor viel Marketing, aber nur wenige wissenschaftliche Belege stehen. Sein Fachgebiet ist die regenerative Medizin, aus der die Fleischzüchtung ursprünglich entstammt.
Serum aus dem Blut von Kuhföten
Einer der kritischen Punkte ist die Nährlösung. Dank ihr wachsen Muskelzellen in Zellkulturen zu Fleischstückchen heran. Sie enthält fötales Kälberserum, das aus dem Blut von Kuhföten gewonnen wird. Das ist problematisch, denn es widerspricht der Idee eines Fleisches ohne Schlachtung. «An einem Ersatz forschen Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten. Bisher gibt es keine wissenschaftlich erwiesene, zuverlässige und preiswerte Alternative», sagt Thorrez. Mosa Meat äussert sich zu der Problematik gegenüber higgs nicht direkt: «Bisher haben wir ein serumfreies Medium herstellen können, das funktioniert, aber wir müssen es noch optimieren», schreibt die Firma per E-Mail.
Doch das Vorhandensein einer künstlich hergestellten Nährlösung entscheidet darüber, ob der Clean-Meat-Burger jemals auf den Markt kommt. Gegenwärtig ist das extrem teuer: «Ein Liter Kunstmedium kostet derzeit weit über 300 Euro», sagt Thorrez. 80 Prozent der Herstellungskosten von künstlichem Fleisch gehen auf die Nährlösung zurück. Mark Post‘s Burger von 2013 hatte einen Preis von 250'000 Euro. Mosa Meat will den Preis durch Optimierung und grosse Stückzahlen auf neun Euro pro Burger reduzieren. Bis 2021. Dann soll das Fleisch aus dem Labor in den Supermarktregalen liegen. Thorrez ist skeptisch: «Sicher kann man den Preis senken, aber die Frage ist, wie weit.» Mit neun Euro wäre der Burger immer noch um ein Vielfaches teurer als die Alternative aus Schlachtung.
Burger statt Steak
Als Restaurantkritiker den wertvollen Burger 2013 probieren durften, gefiel ihnen, dass der Biss dem eines Fleischstückes ähnelte. Doch davon, die Fleischprodukte einer ganzen Kuh ersetzen zu können, sind wir noch weit entfernt. Denn bisher können die Entwickler nur kleine Gewebsstückchen herstellen. Ein Burger besteht aus tausenden solcher Gewebsstückchen. Um zum Beispiel ein Steak herzustellen, braucht es ein 3D-Gerüst, auf dem das Gewebe wachsen kann. «Momentan können wir keine komplexeren Gewebe herstellen», schreibt die Firma.
Ausserdem: Das kultivierte Muskelgewebe unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von dem eines Tieres: Es wurde nie trainiert. «Die Muskelfasern, die in der Zellkultur entstehen, sind noch sehr jung, ähnlich wie die in einem Fötus», erklärt Thorrez. Damit sie sich zu ausgereiften Muskelsträngen entwickeln, müssen sie sich zusammenziehen und ausdehnen, also Muskelarbeit leisten.
Damit nicht genug. Die Zellkulturen, aus denen das Fleisch heranwächst, sind sehr empfindlich gegenüber Bakterien und Pilzen. Im Labor werden diese üblicherweise mit Antibiotika und Fungiziden in Schach gehalten. Doch werden diese massenhaft eingesetzt, können resistente Keime entstehen.
Ohne Keime
Die Alternative zum Einsatz von Antibiotika verfolgt Mosa Meat: Sämtliche Bioreaktoren steril halten, also komplett frei von Keimen. Das funktioniere zwar gut für das Zellwachstum in einem kleinen Rahmen, meint Thorrez: «Aber ich kenne keine Anlage, die Muskelgewebe steril in grossem, industriellem Massstab heranziehen kann. Nur ein einziges Bakterium könnte die ganze Produktion zunichtemachen.»
Es gibt also viele technologische Herausforderungen und viele Versprechen. Sicherlich mögen Letztere gut sein dafür, Investoren zu gewinnen. Und sicherlich treibt deren Geld die Entwicklung voran. Nur hängt die Entwicklung der Technologie dem Marketing hinterher.
Mehr Wissen auf higgs – Facts statt Fake News.