Die vielen Namen eines Landes
Heisst es Belarus oder Weissrussland?

Wenn Alexander Lukaschenko am 9. August erwartungsgemäss die Präsidentschaftswahl gewinnen wird, wird man sich wieder fragen: Heisst sein Land nun Weissrussland oder Belarus?
Publiziert: 31.07.2020 um 07:15 Uhr
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Aktualisiert: 31.07.2020 um 10:26 Uhr
Seit 1991 heisst das Land offiziell «Belarus» - so, wie auch die Einheimischen es nennen. «Weissrussland» ist die Bezeichnung, die der Okkupator Russland bevorzugte.
Foto: Nicolas Righetti

Seit 1991 trägt die ehemalige «Weissrussische Sozialistische Sowjetrepublik» nämlich die offizielle Bezeichnung «Republik Belarus». Im deutschen Sprachraum hat sich diese Bezeichnung aber trotzdem noch nicht ganz durchgesetzt.

Doch bedeuten die beiden Namen nicht schlicht das Gleiche?, könnte man fragen. Immerhin geht die Bezeichnung der Region auf den seit dem Hochmittelalter belegten Namen «Weisser Rus» zurück. «Rus» wurde ursprünglich das Herrschaftsgebiet der vermutlich aus Skandinavien stammenden Waräger im nördlichen Osteuropa genannt, das unter anderem als die Wiege Russlands gilt. Für historisch Interessierte dürfte auch das Reich des «Kiewer Rus» bekannt sein.

Warum «weiss»?

Warum das Gebiet des heutigen Weissrussland - das bis zum 18. Jahrhundert mit dem Grossfürstentum Litauen und dem Königreich Polen deutlich enger verbunden war als mit Moskau - überhaupt «weiss» genannt wurde, ist umstritten.

Neben diversen poetischen Erklärungen, die sich auf die Kleidung der Bewohner oder die Farbe des Schnees beziehen, dürfte die plausibelste wohl der Gebrauch von «weiss» als Synonym für «im Westen gelegen» sein. Nach einer weiteren Theorie bezeichnete der «Weisse Rus» jene Gebiete, die gegenüber den Mongolenherrschern der Goldenen Horde nicht tributpflichtig waren.

In älteren deutschsprachigen Publikationen wurde die Region auch Weissruthenien oder Weissreussen genannt, in Eindeutschung des lateinischen Namens «Ruthenia alba». Ruthenien, abgeleitet von Rus, bezeichnete ursprünglich unterschiedslos die ostslawischen Gebiete respektive deren Bevölkerung («Ruthenen»).

Im Zweiten Weltkrieg

In neuerer Zeit verengte sich im Deutschen diese Bezeichnung auf die ukrainischsprachige Bevölkerung der Karpato-Ukraine. Zudem wurde die Bezeichnung «Weissruthenien» im Zweiten Weltkrieg durch die Verwendung in der NS-Verwaltung des «Reichskommissariats Ostland» (Estland, Lettland, Litauen, Teile Weissrusslands) als «Generalbezirk Weissruthenien» mit Sitz in Minsk derart diskreditiert, dass sie heute auch im historischen Kontext praktisch nicht mehr verwendet wird.

Mit der Eigenbezeichnung «Belarus» wurde im Zuge des nationalen Erwachens Ende des 19. Jahrhunderts auf einen Namen zurückgegriffen, der zwar schon seit dem Mittelalter als Kurzversion von «Bjelaja Rus» (Weisser Rus) existierte, historisch aber eher für die östlichen Gebiete des heutigen Weissrussland verwendet wurde, schreiben der Politologe Vitali Silitski (Witali Silitzki) und der Historiker Jan Zaprudnik in ihrem Buch «The A to Z of Belarus».

Für den Westen war demnach aufgrund der historischen Zugehörigkeit zum Grossfürstentum Litauen hingegen «Litwa» gebräuchlich. Erst mit der Verbreitung eines modernen weissrussischen ethnisch-nationalen Bewusstseins setzte sich der Eigenname «Belarus» im gesamten Gebiet durch.

Erfolgreiche Unterdrückung

Nach der vollständigen Annexion durch das zaristische Russland in der dritten Teilung Polens 1795 wurde das Gebiet mit massiven Russifizierungsbestrebungen konfrontiert - galt ja im russischen nationalen Denken «Weissrussland» lediglich als ein Teil Russlands.

Die Unterdrückung der weissrussischen Sprache und Kultur schien im 19. Jahrhundert zunächst erfolgreich, schreibt James Minahan in «Miniature Empires: A Historical Dictionary of the Newly Independent States». Das Wiedererwachen von weissrussischer Sprache und Nationalbewusstsein ging daher erst relativ spät, um 1900, insbesondere von den Intellektuellen der unterdrückten katholischen Minderheit aus.

1918 wurde als erster unabhängiger weissrussischer Staat die sehr kurzlebige «Weissrussische (offiziell: belarusische) Volksrepublik» unter deutscher Patronanz etabliert, die jedoch bereits am 1. Januar 1919 durch die «Weissrussische Sozialistische Sowjetrepublik» ersetzt wurde. 1945 wurden dann die bis dahin polnischen Gebiete östlich der «Curzon-Linie» der Sowjetunion und damit den weissrussischen und ukrainischen Sowjetrepubliken zugeschlagen.

Offizielle Namensänderung

In der sowjetischen Zeit wurde allgemein für die Weissrussische Sowjetrepublik die russische Bezeichnung «Bjelorussija» verwendet, international waren entweder russifizierte Formulierungen («Byelorussia», «Biélorussie») oder Übersetzungen wie «Weissrussland» gebräuchlich. Bei der Unabhängigkeit 1991 wurde indes der Name «Republik Belarus» festgesetzt und damit erstmals die Eigenbezeichnung als offizieller Ländername verankert.

Unionsstaat mit Russland

Seitdem hat sich Belarus, trotz seiner prekären internationalen Position als «letzte Diktatur Europas» unter dem seit 1994 autoritär regierenden Lukaschenko, international um eine Verankerung des Ländernamens «Belarus» im diplomatischen Gebrauch bemüht. Die Verwendung dieses Namens soll dem Missverständnis entgegenwirken, wonach das Land bloss ein Teil Russlands sei. Gleichzeitig haben Moskau und Minsk bereits im Jahr 2000 einen bilateralen Vertrag über die Errichtung eines gemeinsamen «Unionsstaates» geschlossen, dessen Umsetzung jedoch seit Jahren stockt.

Mal Weissrussland, mal Belarus

Das Bestreben um die allgemeine Verwendung von «Belarus» ist Minsk zumindest in englischer Sprache gelungen, wo keine der älteren Bezeichnungen wie «Byelorussia» heute noch gebräuchlich ist. Im deutschen Sprachraum ist die Situation zwiespältig: Während die Aussenministerien konsequent «Belarus» und «belarusisch» (mit einem s) schreiben, ist in den Medien wie auch im allgemeinen Sprachgebrauch weiterhin «Weissrussland» dominierend.

Eine ähnliche Situation liegt in Russland vor, wo die Diplomatie «Belarus», die Medien hingegen das althergebrachte «Bjelorussija» verwenden. Wieder andere Länder lassen sich von solchen Erwägungen indes nicht beeindrucken: Frankreich oder Italien verwenden weiterhin ganz offiziell «Biélorussie» bzw. «Bielorussia». (SDA)

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