Bei uns landen pro Kopf mehr als 40 Kilo Glas jährlich im Container. Zusammen mit der Recyclingquote von 94 Prozent bedeutet das Weltrekord.
Doch der Erfolg hat eine Kehrseite. Recycling ist zwar gut für das Gewissen und schont wegen der Abfallgebühren das Portemonnaie. Und es ist sicher besser, wenn die Flaschen nicht im Abfall oder irgendwo in der Landschaft landen. Doch in jedes neu hergestellte Kilo Glas muss die Energie von umgerechnet anderthalb Dezilitern Öl gesteckt werden. Bei 344'000 Tonnen Altglas in der Schweiz entspricht das fast 52 Millionen Litern Öl pro Jahr.
Der riesige Scherbenhaufen besteht zu 85 Prozent aus Wein- und Bierflaschen. Der Konsum ist da zwar rückläufig, dennoch nimmt die Zahl der Einwegflaschen zu. Das Problem: Recycling hat im Vergleich zur Mehrwegflasche eine miserable Energiebilanz, zeigen zahlreiche Studien. Eine Flasche bei 80 Grad zu waschen, braucht weniger Energie, als aus den Scherben bei 1600 Grad eine neue zu produzieren.
Waschen fällt kaum ins Gewicht
Wie viel besser die Mehrwegflasche abschneidet, hängt hauptsächlich davon ab, wie oft sie wiederverwendet wird. Je öfter, desto besser. Das Waschen der Flaschen fällt bei der Ökobilanz kaum ins Gewicht, und beim Transport spielt es keine Rolle, ob es neue oder alte Flaschen sind. Je kürzer der Weg, desto besser.
Viele alte Flaschen landen in St-Prex VD, im letzten verbliebenen Schweizer Werk des Glaskonzerns Vetropack. Dort werden pro Tag bis zu 1 Million Wein- und Bierflaschen hergestellt. 120'000 Tonnen Glas waren es letztes Jahr. Wie andere energieintensive Schweizer Grossbetriebe ist die Glasfabrik von der CO-Steuer befreit.
Die neuen Flaschen bestehen zu 80 Prozent aus Altglas. Das senkt den Verbrauch von Gas und Strom und spart Kosten. 80'000 Tonnen Scherben landeten letztes Jahr in der Glasfabrik am Genfersee. 220'000 Tonnen gingen in den Export und kamen – als leere oder volle Flasche – wieder zurück in die Schweiz. Recycling mit Umwegen sozusagen. Das restliche Glas wird als Isolations- oder Baumaterial wiederverwendet.
Vor 30 Jahren Chance verpasst
Die Lage sähe anders aus, wenn sich das Bundesamt für Umwelt vor 30 Jahren durchgesetzt hätte und ein Flaschenpfand eingeführt worden wäre. Es gäbe heute nicht den riesigen Scherbenhaufen, es gäbe nicht immer mehr Getränkedosen und PET-Flaschen sowie die Kollateralschäden mit dem Littering.
Mit dem Flaschenpfand wollte das Bundesamt für Umwelt vor 30 Jahren das bewährte Mehrwegsystem schützen. Doch der Druck von Detailhandel, Getränke- und Verpackungsindustrie war stärker, und so resultierte die noch heute geltende Getränkeverpackungsverordnung, die nur zahme Recyclingquoten vorschreibt. Das Bundesamt will sich dazu nicht äussern, betont aber, dass die geforderten Quoten eingehalten werden. Das Prinzip «Mehrweg ist besser als Recycling» scheint bei den staatlichen Umweltschützern in Bern in Vergessenheit geraten.
Anders in Deutschland. Dank Pfandobligatorium ist dort die Mehrwegflasche weit verbreitet.
«Parlamentarier sind gekippt»
erschiedene politische Vorstösse, die Pfandpflicht in der Schweiz einzuführen, sind gescheitert. Letztmals vor sechs Jahren erlitt der Schwyzer CVP-Nationalrat und Bierbrauer Alois Gmür Schiffbruch. «Die Getränke- und Verpackungsindustrie sowie der Detailhandel haben unglaublich Druck gemacht, und so sind viele Parlamentarier gekippt», berichtet der Mitinhaber der Brauerei Rosengarten in Einsiedeln. Doch Gmür hat jetzt einen neuen Vorstoss eingereicht. «Die Klimadebatte hat dem Anliegen neuen Auftrieb gegeben, und gerade auch aus bäuerlichen Kreisen bekam ich Zuspruch.»
Im Sortiment seiner Brauerei führt Gmür auch Bier in Einwegflaschen und Aludosen, doch das meiste landet im Fass oder in Mehrwegflaschen. «Die Glasflaschen zirkulieren im Schnitt 60-mal», erzählt der 64-Jährige. In seiner Jugendzeit in den siebziger Jahren war die Einwegflasche noch die Ausnahme, Dosen gab es kaum. 95 Prozent des Biers gingen in Mehrwegflaschen über den Ladentisch, heute sind es weniger als fünf Prozent. Bei Volg immerhin noch 15 Prozent, bei Coop 5. Aldi und Lidl führen – anders als in Deutschland – gar kein Bier in Mehrwegflaschen. Mit Ausnahme einiger Satelliten gilt das auch für die Migros-Tochter Denner.
Coop: Pfandflaschen abgeschafft
«Aus dem Laden, aus dem Sinn» gilt auch beim Wein. Mehrwegflaschen sind fast vollständig verschwunden. Wie beim Bier ist Coop klarer Marktführer. Vor 15 Jahren hat der Detailhändler die Pfandflaschen abgeschafft. Der Grund dafür seien «Prozessoptimierungen und Reduzierung der weiten Transportwege».
In einigen Regionen wurden bis in die neunziger Jahre 7- und 7,5-dl-Flaschen mit 10 Rappen vergütet, die Flaschen gewaschen und wieder gefüllt. Doch bei der Coop-Medienstelle kann oder will man sich nicht mehr daran erinnern.
Wie viele Millionen Weinflaschen Coop verkauft, will man nicht verraten. Dank eigener Abfüllanlage hätte es der Grossverteiler in der Hand, Flaschen mehrmals zu verwenden.
40 Millionen Flaschen füllte Coop letztes Jahr selber ab, darunter auch Wein aus Australien. Unter dem Titel «Down Under – Pratteln» hat das die «Coop-Zeitung» kürzlich verkündet. Es sei ein Gewinn für die Umwelt, dass der Wein in Spezialtanks um die halbe Welt verschifft werde. Deutlich ökologischer wäre es aber, den Wein, ob aus Australien oder der Schweiz, in Mehrwegflaschen abzufüllen.
«Wegen der Umwelt»
Dass das funktioniert, zeigen verschiedene Winzer und Weinhändler. Sie nehmen leere Flaschen zurück und füllen sie wieder. «Wenn man die ganzen Umtriebe berücksichtigt, rechnet sich das nicht. Aber wir machen es aus Verantwortung der Umwelt gegenüber», sagt Winzer Ueli Kilchsperger aus Flaach ZH. Er lässt seine Flaschen bei Vetrum in Wettswil waschen, wo auch leere Weinflaschen aus mehreren Zuger Gemeinden landen. Dort kann man sie in spezielle Sammelgitter legen, statt sie im Container zu zerschlagen. Trotzdem landen viele Zuger Flaschen im Altglas. «Es gibt immer mehr Flaschentypen. Das erschwert uns, die gewaschenen Flaschen zu verkaufen», bedauert Vetrum-Geschäftsführer Samuel Laubi.
Die Weinflaschen zu standardisieren, würde den Mehrweg erleichtern. Seit Jahrzehnten wird davon geredet, eine Lösung auf schweizerischer oder europäischer Ebene ist aber nicht in Sicht.
Das Wallis zeigt, dass es anders geht. Hier gibt es seit über 30 Jahren die Mehrwegflasche Désirée. Gewaschen wird sie bei Univerre in Sierre. 10 Millionen Stück pro Jahr seien es, sie zirkulierten bis zu 30-mal, sagt Univerre-Sprecherin Désirée Georges. Dass sie den gleichen Namen trägt wie die Flasche, ist kein Zufall. Die Désirée-Flasche hat ihr Vater ins Leben gerufen. «Erst kam ich zur Welt, dann wurde die Flasche nach mir benannt», erzählt sie schmunzelnd. Für sie sei es immer wieder eigenartig, wenn bei einem Apéro gerufen werde: «Noch eine Désirée, bitte!»
Die Wiederverwertung von Glas wird mit einer vorgezogenen Entsorgungsgebühr finanziert. Bei Wein beträgt sie 6, beim Bier je nach Grösse der Flaschen 4 oder 2 Rappen. 2017 kamen so 30 Millionen Franken zusammen. Mit dem Geld werden Gemeinden, Zweckverbände und private Altglassammler für ihre Umtriebe entschädigt.
Die Wiederverwertung von Glas wird mit einer vorgezogenen Entsorgungsgebühr finanziert. Bei Wein beträgt sie 6, beim Bier je nach Grösse der Flaschen 4 oder 2 Rappen. 2017 kamen so 30 Millionen Franken zusammen. Mit dem Geld werden Gemeinden, Zweckverbände und private Altglassammler für ihre Umtriebe entschädigt.
Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch
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