Massloser Fang
Uns geht der Fisch langsam aus

Fischstäbchen, geräucherter Lachs, Sushi – Fisch ist als Nahrungsmittel populärer denn je. Doch immer klarer wird: Uns geht der Fisch aus. Nun fordern Forscher einen Fangstopp.
Publiziert: 08.01.2019 um 19:59 Uhr
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Aktualisiert: 06.03.2019 um 10:05 Uhr
Atlant Bieri

Fisch wird als Nahrungsmittel immer gefragter: Gepriesen als gesunde Alternative zu Schweinssteaks und Hühnerschenkeln steht Fisch bei immer mehr Menschen regelmässig auf dem Speiseplan. So überschritt der Fischkonsum im Jahr 2014 erstmals die Marke von 20 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Die Schweiz und die EU übertreffen diesen weltweiten Durchschnitt sogar noch: Wir essen 22 Kilogramm Fisch pro Kopf und Jahr. Nicht nur die Menge pro Kopf steigt, sondern auch der Anteil des Fischs am gesamten Fleischverzehr. Im Jahr 1949 machte Fisch 12 Prozent aus. Heute liegt sein Anteil bei 17 Prozent.

Dass Fisch so beliebt ist, sei auf jahrzehntelanges Marketing zurückzuführen. Das sagt Billo Heinzpeter Studer, Präsident des Vereins Fair-fish International, einer Organisation, die sich für die artgerechte Haltung von Fischen in Aquakultur einsetzt. «Die Fangindustrie hat den Konsum massiv angekurbelt. Sie wollte neue Absatzmärkte generieren», sagt Studer. Mit der Erfindung des Fischstäbchens 1955 sei ihnen das gelungen.

Auch der steigende Wohlstand kurble den Verzehr von Fisch an, sagt Dirk Zeller, Meeresbiologe an der Universität von Westaustralien: «Wohlstand bedeutet, dass man sich teurere Nahrung kauft. Das beinhaltet beispielsweise das trendige Sushi.»

Um den globalen Hunger nach Fisch zu stillen, fahren unglaubliche 4,6 Millionen Fangboote über die Weltmeere. Pro Jahr ziehen sie 80 Millionen Tonnen Fisch an Deck. Das entspricht der Ladung eines Güterzugs, der um den halben Erdball reicht. Dabei nicht miteingerechnet ist der Beifang – also Fische und andere Tiere, die nicht gegessen werden – diese werden über Bord geworfen: Sieben Millionen Tonnen sinnlos gefangener Fische werden so jedes Jahr noch auf hoher See zu Abfall. Aus den Seen werden jedes Jahr 12 Millionen Tonnen Fisch gezogen.

Fische zu zählen, ist unmöglich

Die Zahlen stammen aus dem «State of the world fisheries»-Bericht, den die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) regelmässig publiziert. Doch die Angaben sind sehr ungenau, sagt unter anderem Dirk Zeller. «Die Daten ignorieren die Fänge von Kleinfischern und Hobby-Fischern. Ebenso tauchen illegale Fischfänge sowie ein Teil des Beifangs nicht in der Statistik auf.»

Der Meeresbiologe forscht in einem Team, das im Rahmen der Forschungsinitiative «Sea Around Us» die tatsächlich gefangenen Mengen statistisch rekonstruiert. Seine Resultate zeigen Erschreckendes. Die grössten Mengen wurden im Jahr 1996 gefangen – 130 Millionen Tonnen Meerfisch. Seither nehmen die Fänge um jährlich 1,2 Millionen Tonnen ab. Wenn der Trend so weiter geht, liegen die jährlichen Fangmengen bis ins Jahr 2050 bei nur noch 60 Millionen Tonnen, was weit unter dem liegt, was gegenwärtig konsumiert wird

Beifang: Nebst der eigentlich gewollten Beute, Hering, hat dieses Netz eines deutschen Fischerbootes auch viele kleine Fische, Seesterne und Krabben aus dem Meer geholt.


Wie gross die Bestände heute noch sind, weiss niemand genau. «Fische im Meer zu zählen ist unmöglich», sagt der Meeresbiologe Jason Hall-Spencer von der Plymouth University in Grossbritannien. «Die schwimmen frei im Meer herum, wo wir sie nicht sehen können. Wir können höchstens Schätzungen machen.» Statistische Daten aus dem Nordatlantik zeigen, dass sich die Biomasse bei den grossen Fischen in den letzten hundert Jahren um den Faktor neun verringert hat. Das heisst, seit Anfang des 20. Jahrhunderts sind die Fischbestände um rund 90 Prozent eingebrochen. «Das bedeutet, uns geht schlicht der Fisch aus», sagt Zeller.

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Subventionen treiben Überfischung an

«Die Bestände sind schon heute so weit gesunken, dass sich der Fischfang eigentlich gar nicht mehr rentiert», sagt Billo Heinzpeter Studer vom Verein Fair-fish International. «Die Fischer kriegen mit dem Erlös aus ihren Fängen oft nicht einmal mehr den Preis für den Treibstoff des Boots heraus.»

Damit sich die industrielle Fischerei trotzdem noch rechnet, unterstützen die Behörden die Fischer mit weltweit 35 Milliarden Franken. Damit sind gemäss Angaben der Uno bereits 20 Prozent eines Fischs an der Theke vom Steuerzahler bezahlt.

Wie dieser Mechanismus funktioniert, erklärt Michael Melnychuk, Fischereiexperte an der Universität von Washington: Wenn die Kosten um den Fisch zu fangen höher sind als die Einnahmen durch den Verkauf des Fischs, dann gebe es marktwirtschaftlich keinen Grund, fischen zu gehen, sagt er. «Würde man die Fischerei dem freien Markt überlassen, würde er sich von selbst reduzieren.» Wenn aber die Regierungen beispielsweise den Preis von Treibstoff für Fischerboote reduzieren, sinken die Kosten. Folge: Die Fischer fangen weiter mit Hilfe des Staates und bringen so die Fischbestände zum Zusammenbruch.

Die Fischerei dem Markt zu überlassen, würde den Druck auf die Meere lindern. Doch an der Meeresfischerei hängen weltweit vierzig Millionen Jobs. Darum tun sich Regierungen schwer, Subventionen zu streichen. «Viele Subventionen sind historisch gewachsen», sagt Dirk Zeller von der Universität von Westaustralien. «Wenn sie erst einmal da sind, dann ist es schwierig, sie wieder abzuschaffen. Zudem hat die Fischerei-Industrie eine starke Lobby und Politiker sind allzu hilfsbereit, um den Fischern entgegenzukommen. Sie sichern sich so ihre Stimmen.»

Die Subventionen haben nicht nur katastrophale Auswirkungen auf die Fischbestände, sie fördern auch sinnlose Investitionen in die Fangflotten. «Die weltweite Fangflotte ist heute doppelt so gross, wie sie für eine effiziente Fischerei nötig wäre», sagt Zeller. Zudem fliessen die meisten Subventionen in die industrielle Fischerei in den reichen Industrienationen und nicht zu den Kleinfischern in Entwicklungsländern, deren Existenz und Lebensgrundlage von der Nahrung aus dem Meer abhängt. «Fischer in Entwicklungsländern sind im Nachteil, weil deren Regierungen nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um mit Industriestaaten mitzuhalten», hält ein Bericht des Europäischen Parlaments dazu fest. Kleinfischer werden von den grossen Flotten aus dem Geschäft gedrängt. Aber die Kleinfischerei beschäftigt 24-mal so viele Menschen wie die industrielle Fischerei, sagt Studer von Fair-fish International. «Die Subventionierung der Industriefischer fördert also nicht Arbeitsplätze, sondern deren Vernichtung», sagt er. «Ein Fischer im Senegal erzählte mir, wie er als Junge in den 1960er-Jahren die Fische noch mit einem Netz am Strand fangen konnte. Heute fängt er nicht einmal mehr etwas, wenn er mit dem Boot auf das offene Meer rausfährt.»

Wissenschaftler fordern Fangstopp

Das grösste Problem für die Fischpopulationen ist jedoch nicht mal die Anzahl der Tiere, sondern die sich verändernde Altersstruktur. «Bei den meisten befischten Arten wurden die alten und fruchtbarsten Fische entfernt», sagt der australische Meeresbiologe Dirk Zeller. Doch gerade die alten Weibchen sind für den Erhalt einer Population enorm wichtig. Denn sie produzieren nicht nur viel mehr Eier als die jungen, sondern auch Eier von besserer Qualität.

Die Fische bräuchten geschützte Gebiete, in denen sie sich ungestört fortpflanzen können, sind sich die Experten einig. Es brauche in allen Weltmeeren grosse Schutzgebiete, in denen Fischen verboten ist. Gegenwärtig sind zum Beispiel in den Hoheitsgewässern von Grossbritannien weniger als ein Prozent geschützt. Weltweit liegt der Anteil der permanent für die Fischerei gesperrten Schutzgebiete sogar nur bei einem Promille. «Die Grösse der Schutzgebiete sollte mindestens 20 Prozent der Meeresfläche betragen», sagt Hall-Spencer. Diese Gebiete sollen zu Brutstätten werden, in denen die alten Weibchen massenhaft Nachkommen produzieren und so die Bestände auf einem hohen Niveau halten können. Die Einrichtung solcher Schutzgebiete ist jedoch ein endlos langer, politischer Prozess. Darum fordern Wissenschaftler einen Fangstopp. Einige Jahre kein Fisch würden genügen, sagt Dirk Zeller, um die Bestände zu stabilisieren.

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