Lärmige Erdölsuche gefährdet Meeresbewohner
Das Schweigen der Wale

Mit sogenannten Luftpulsern suchen Energiekonzerne den Meeresboden nach Öl- und Gasvorkommen ab. Doch die Geräte machen Lärm –, und das bringt unter anderem Wale in Gefahr.
Publiziert: 02.12.2019 um 15:37 Uhr
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Aktualisiert: 03.12.2019 um 08:36 Uhr
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«Nur Militärsprengstoff ist lauter»: Die Suche nach Erdöl bringt Buckelwale in einem Umkreis von 250'000 Quadratkilometern zum Verstummen.
Foto: Flickr
Roman Goergen @higgsmag

Trotz Diskussionen über Klimawandel und fossile Brennstoffe wird im Mittelmeer verstärkt nach Erdöl und Erdgas gesucht. Griechenland etwa verspricht sich von den in seinen westlichen Gewässern entdeckten Reserven einen Ausweg aus der Finanzmisere. Die Regierung erlaubte einem vom Mineralölkonzern Total geführten Konsortium, auf einer Gesamtfläche von etwa 75'000 Quadratkilometern nach Öl zu suchen. Der Grossteil dieses Gebiets befindet sich unter Wasser, vor der Westküste des griechischen Festlands.

Für die westlichen Gewässer Griechenlands existieren sehr wenig geologischen Daten. Deswegen steht vor der Förderung zunächst die Suche nach Ölvorkommen. Dabei sorgen sich Wissenschaftler vor allem um ein ökologisch hochgradig empfindliches Gebiet mitten in den vergebenen Konzessionen: den Hellenischen Graben. Das Seegebiet beheimatet Tierarten, die von der Weltnaturschutzunion IUCN entweder als gefährdet oder stark gefährdet eingestuft sind, zum Beispiel die seltene Mittelmeer-Mönchsrobbe, die Unechte Karettschildkröte und vor allem eine nur noch rund 60 Tiere umfassende isolierte Unterpopulation der Pottwale des Mittelmeers.

«Dieser Lebensraum sollte aufgrund seiner Bedeutung für diese Tierarten strikt geschützt sein», sagt Nicolas Entrup von der in der Schweiz ansässigen internationalen Umweltschutzorganisation Oceancare. «Doch stattdessen haben dort bereits seismische Untersuchungen des Meeresbodens stattgefunden und für weitere werden derzeit Lizenzen erteilt.»

Lärm im Zehn-Sekunden-Takt

Bei diesen Tests kommen sogenannte Luftpulser zum Einsatz. Dabei zieht ein Schiff typischerweise 12 bis 48 solcher Geräte hinter sich her. Die Schiffe bewegen sich über das Meeresareal in einem Muster, das vergleichbar ist mit einem Rasenmäher, der ein Fussballfeld bearbeitet. Alle zehn bis 15 Sekunden feuert der Pulser komprimierte Luft in Richtung Meeresboden. Das erzeugt Schallwellen, die kilometertief in die geologischen Schichten des Bodens eindringen. Die von dort zurückgeworfenen Echos werden von Unterwassermikrofonen aufgezeichnet. So entstehen Schallmuster, die in eine dreidimensionale Karte des Meeresbodens verwandelt werden können. Die Karte gibt Aufschluss über die geologische Beschaffenheit des Bodens und liefert Hinweise auf Ölvorkommen. Tests dauern mitunter mehrere Monate, wobei die Pulser 24 Stunden am Tag solche Zehn-Sekunden-Signale senden.

«Diese Luftpulser erzeugen eines der lautesten menschgemachten Geräusche im Meer. Nur Militärsprengstoff ist lauter», erläutert Sarah Giltz, Meeresökologin von der Naturschutzorganisation Oceana in den USA. Auch hier ist der Einsatz der Luftpulser heftig umstritten ist. Wissenschaftler warnen, dass der von den Geräten verursachte Lärm ganze Unterwasser-Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Beispiele betroffener Tiere reichen dabei von Walen und Delfinen über Fische, Tintenfische und Oktopusse bis hin zu Krill.

Lobbyisten gegen Umweltorganisationen

Befürworter der seismischen Untersuchungen, hauptsächlich Mitglieder und Lobbyisten der Öl- und Gasindustrie sowie Unternehmer in der Geophysik, bestreiten die Beweisführung der Umweltschützer. «Mehr als 50 Jahre intensiver seismischer Untersuchungen zeigen, dass das Risiko, Meeressäuger physisch damit zu verletzen, extrem niedrig ist», sagt Gail Adams-Jackson von der Interessenvertretung International Association of Geophysical Contractors (IAGC).

Die Meeresbiologin Lindy Weilgart von der Dalhousie University im kanadischen Nova Scotia hat insgesamt 115 wissenschaftliche Studien zu Auswirkungen von Unterwasserlärm auf Fische und Krustentiere analysiert. In 28 davon ging es um Luftpulser. «Es gibt weitreichende Beweise, dass Luftpulser schädlich sind», sagt Weilgart. Die Todesraten von Jakobsmuscheln, die in Unterwasser-Ökosystemen Wasser filtern und die als Nahrungsquelle dienen, verfünffachte sich unter dem Einfluss der Geräte. Das Immunsystem von Hummern war selbst noch 120 Tage nach Ende der seismischen Tests erheblich geschwächt. Riesentintenfische wiesen massive innere Blutungen auf. «Und solche Effekte konnten noch acht Kilometer vom Einsatzgebiet der Luftpulser entfernt nachgewiesen werden», sagt Weilgart.

Störgeräusch im Walgesang

Bei Meeressäugern führen Luftpulser zu Stress, Panik, Flucht aus deren Einsatzgebieten und stark eingeschränkter Kommunikation. Doug Nowacek, ein Meeresforscher von der amerikanischen Duke University, sagt: «Schall spielt für das Leben in den Weltmeeren, wo optische Wahrnehmung stärker beeinträchtigt ist, eine wesentlich grössere Rolle als an Land. Überlebenswichtige Aktivität von Walen bis hin zu Krustentieren hängt von ungestörter Akustik ab. Es ist der wichtigste Wahrnehmungssinn dieser Tiere.» Der Niedrigfrequenzbereich, in dem die Luftpulser operieren, überschneidet sich erheblich mit dem Kommunikationsspektrum von Meeressäugern, besonders bei Walen.

2012 veröffentlichten Forscher Tonaufnahmen, die über zehn Jahre am Mittelatlantischen Rücken aufgezeichnet worden waren. Dabei entdeckten sie die Geräusche von Luftpulsern, die von Schiffen in bis zu 4000 Kilometer Entfernung ausgingen – zum Beispiel an den Küsten Brasiliens und Westafrikas. Da sich das Geräusch der Luftpulser mit den Hörfrequenzen und der Kommunikation der Wale und anderer Meeressäuger überdecken, werden diese dadurch massiv beeinträchtigt.

Mutter und Kalb verlieren sich

Auch das für die Partnersuche so wichtige Singen der Wale verstummt unter dem Einfluss der Geräte. Oceana verzeichnete ein Schweigen von Finn- und Buckelwalen in einem Umkreis von 250'000 Quadratkilometern um Luftpulser-Aktivität. «Bei Buckelwalen können so ausserdem Mutter und Kalb einander verlieren», warnt Nowacek.

Ähnliches zeigen Studien, die über zehn Jahre hinweg die Reaktion von Grönlandwalen auf Luftpulser untersucht hatten: Die Wale sendeten mehr Rufe aus, wenn die Störgeräusche 94 Dezibel überschritten. Ab 127 Dezibel gingen die Rufe zurück, bei 160 Dezibel schliesslich trat komplettes Schweigen ein. «Das ist wie beim Menschen. Zuerst versucht man, gegen Lärm anzuschreien, und wenn man sich nicht verständlich machen kann, gibt man schliesslich auf», sagt Nowacek.

Die Folgen sind weitreichend und können in den USA beobachtet werden: Hier werden die Luftpulser bereits in der ökologisch hochempfindlichen Meeresbucht Cook Inlet vor Alaska eingesetzt. Seit der Genehmigung im Juli dieses Jahres wurden vier der knapp über 300 dort lebenden Weisswale tot an Land gespült.

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