Klimaforscher Reto Knutti
«Man sucht Gegenargumente gegen etwas, das nicht ins eigene Weltbild passt»

Klimaforscher Reto Knutti widerspricht Argumenten von sogenannten Klimaleugnern, ist aber offen für eine wissenschaftliche Diskussion.
Publiziert: 20.11.2019 um 08:43 Uhr
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Aktualisiert: 22.11.2019 um 13:23 Uhr
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ETH-Klimatologe Reto Knutti über Klimapolitik, Klimaskeptiker und Social Media als Diskussionsplattform.
Foto: Winterthurer Zeitung/Michael Hotz
Beat Glogger @higgsmag

Herr Knutti, haben wir überhaupt genug Mut, die hochgesteckten Klimaziele zu erreichen?
Reto Knutti:
Ob wir es schaffen oder nicht, hängt von drei verschiedenen Faktoren ab: Ist es technisch machbar? Ist es bezahlbar? Und haben wir den gesellschaftlichen Willen? Zu den ersten beiden Fragen ist die Antwort klar: Ja. Die Frage nach dem gesellschaftlichen Willen hätte ich bis vor einem Jahr mit Nein beantwortet. Doch seither ist viel in der öffentlichen Diskussion passiert. So viele junge Menschen gingen auf die Strasse. Das hat mich optimistisch gestimmt.

Sie unterstützen die Klimajugend, die Aktivistengruppe Extinction Rebellion geht Ihnen hingegen zu weit. Warum?
Bei der Klimajugend haben wir nicht gesagt, dass sie streiken sollen. Aber wir haben gesagt, dass die Fakten, die sie präsentieren, korrekt sind, und ihre Anliegen berechtigt. Ich unterstütze die Forderung der Jugend, sich in der Gestaltung ihrer Zukunft einzubringen. Die Extinction Rebellion ist schwieriger. Es gibt darin Leute, die faktenbasiert argumentieren. Aber dann gibt es auch Aktivisten, die sagen, dass Hungersnöte kommen und 80 Prozent der Menschheit sterben werden. Es gibt aber keine wissenschaftlichen Hinweise, dass die Welt untergehen wird. Das unterstütze ich nicht.

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Die Extinction Rebellion will bis 2025 CO2-neutral sein, die Klimajugend 2030 und der Bund 2050. Was ist realistisch?
Unsere Berechnungen zeigen, dass die Welt spätestens 2050 CO2-neutral sein muss. Wenn das Ziel, deutlich unter zwei Grad Erwärmung zu bleiben, wie es das Pariser Klimaabkommen formuliert, noch erreicht werden soll. Jetzt kann man diskutieren, was das für die Schweiz bedeutet: Kann sich die Schweiz länger Zeit lassen, weil sie so klein ist? Oder müssen wir noch schneller sein, weil wir so reich sind? Das ist keine wissenschaftliche Frage mehr, sondern eine politische. 2030 kann man erreichen mit Kompensation im Ausland. Ohne Kompensation ist es extrem schwierig. In den nächsten zehn Jahren müsste jede Heizung, jedes Auto und die Emissionen der Landwirtschaft CO2-neutral sein. Das ist fast nicht zu schaffen. Natürlich sollten wir alles probieren, was wir können. Aber wir müssen auch realistisch sein. Wir machen jetzt seit dreissig Jahren Klimapolitik, und die Emissionen gingen nur rauf. In fünf Jahren erreichen wir höchstens ein neues Gesetz. An den Emissionen wird sich dadurch aber noch nicht viel ändern. Bei aller Dringlichkeit müssen wir Massnahmen finden, die mehrheitsfähig sind.

Warum müssen diese Massnahmen mehrheitsfähig sein? Es geht um unser Klima.
Wir leben in einer Demokratie. Wenn die Revision des CO2-Gesetzes etwas verlangt, das nicht mehrheitsfähig ist, wird es schlicht bachab geschickt. Das bringt dann auch nichts. Ich sage, wir machen lieber zuerst einen kleinen Schritt, der mehrheitsfähig ist. Dann erst einen nächsten, der etwas weitergehen kann. Im Wissen, dass es eigentlich zu langsam geht.

Kritiker sagen, dass die Massnahmen der kleinen Schweiz sowieso nichts bringen werden.
Dieses Argument kommt sehr oft. Natürlich wird der Effekt unserer Massnahmen auf das globale Klima verschwindend klein sein, wenn alle anderen nichts machen. Aber diese Logik ist so plump. Mit derselben Argumentation muss ich auch keine Steuern zahlen, weil mein Beitrag im Vergleich zu den gesamten Steuereinnahmen in der Schweiz verschwindend klein ist. Wenn man ein gemeinsames Ziel hat, muss jeder seinen Beitrag leisten. Es darf keine Trittbrettfahrer geben. Aber jene, die mehr verursachen, sollen mehr beitragen. Und jene, die viel beitragen können, sollen viel beitragen. Jetzt können wir schauen, wo die Schweiz steht: Sie hat einen hohen CO2-Fussabdruck, sie hat viel Geld, viel Technologie, Intelligenz, stabile politische Rahmenbedingungen. Wenn wir sagen, wir können das nicht, wie sollen wir denn jemanden im Ausland überzeugen, seinen Beitrag zu leisten?

Dann soll die Schweiz ihre Emissionen reduzieren, während andere Länder ihren Fussabdruck noch vergrössern werden?
Natürlich, ja. Ein Land, das keine Strassen und keinen Strom und keine Spitäler hat, wird seine Emissionen nicht so einfach reduzieren können. Alle Berechnungen gehen genau davon aus. Aber die gesamte westliche Welt kann die Emissionen jetzt schon senken. Natürlich muss man sicherstellen, dass andere Länder nicht dieselben Fehler machen wie wir.

Die Klimaerwärmung wird seit über 30 Jahren diskutiert. Trotzdem streiten sich Politiker nach wie vor darüber.
Sie streiten sich aber vor allem darüber, welche Massnahmen geeignet sind, um den Klimawandel zu stoppen. Nicht, ob der Klimawandel Fakt ist oder nicht.

Es gibt aber auch immer wieder Wissenschaftler, die Manifeste unterzeichnen und aussagen, dass der Klimawandel nicht menschengemacht sein soll. Was steckt dahinter?
Man muss sich anschauen, was das genau für Leute sind. Da ist alles Mögliche darunter: aus der Ökonomie, Medizin, Politologie. Die wenigsten haben eine fachliche Ausbildung in Klimaforschung oder haben aktiv auf diesem Gebiet geforscht. Es ist also fragwürdig, wie viel wert diese Meinungen sind. Wenn ich einen Herzfehler habe, frage ich ja auch nicht den Zahnarzt um Rat. Viele Kreise haben aber nicht eigentlich ein Problem mit dem Klimawandel, sondern mit den Massnahmen, die sich abzeichnen. Entweder sehen sie ihre persönliche Freiheit eingeschränkt oder ihr Geschäftsmodell in Gefahr. Sie möchten, dass die Welt so bleibt, wie sie heute ist. Die fossile Industrie hat massiv Geld investiert, um den Status quo aufrechtzuerhalten.

Man spricht immer von 97 Prozent der Wissenschaftler, die der Aussage zustimmen, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Was steckt hinter dieser Zahl?
Ich finde das kein besonders gutes Argument. Wenn in der Wissenschaft eine einzige Person ein gutes Argument hat, das sich als richtig herausstellt, reicht das. Es hat auch schon mal einer als Einziger gesagt, die Erde sei nicht der Mittelpunkt des Sonnensystems – und behielt recht damit. Aber beim Klimawandel müssen wir schon sehen: Mittlerweile gibt es über 250'000 Studien dazu. Und praktisch alle sagen dasselbe. Da reicht es nicht mehr, wenn einer ein kleines Gegenargument bringt. Er müsste schon erklären können, warum die Hunderttausenden von Studien nicht stimmen sollen.

Hört der Wissenschaftsbetrieb überhaupt auf Gegenstimmen?
Natürlich. Der Schweizerische Nationalfonds zum Beispiel fördert jegliche Grundlagenforschung – unabhängig davon, was das Resultat ist oder sein wird. Ich sage immer: Wenn es eine oder einer schaffen sollte, zu beweisen, dass der Klimawandel nicht menschengemacht ist, wird das morgen publiziert, übermorgen hat sie oder er den Nobelpreis und ist wohl Milliardär.

In den sozialen Medien stossen Sie immer wieder auf harsche Kritik. Einige werfen Ihnen vor, dass Sie Daten in Ihren Studien fälschen.
Alle unsere Studien publizieren wir in Fachzeitschriften. Die Daten unserer Resultate sind öffentlich. Auch wenn ich als Person oft kritisiert werde – bis heute hat noch niemand eine meiner etwa 150 publizierten Studien berechtigt in Frage gestellt oder irgendeine Fälschung entlarvt. Sie stellen gewisse Punkte immer wieder in Frage, aber ohne Argumente zu liefern.

Oft werden Sie unter der Gürtellinie angefeindet. Wie gehen Sie damit um?
Am Anfang traf es mich natürlich, wenn mir Fälschung oder Lügen vorgeworfen werden. Als Wissenschaftler bin ich der Wahrheit verpflichtet. Aber mit der Zeit habe ich gelernt, damit zu leben. Ich weiss, eigentlich geht es gar nicht um meine Resultate. Sondern darum, dass die Leute keine fachlichen Argumente haben. Also schiessen sie auf mich als Person.

Antworten Sie noch auf solche Tweets und E-Mails?
Selten. In den meisten Fällen ist eine solche Diskussion nicht konstruktiv möglich.

Sie sprechen von den «fünf Stufen der Verneinung» in Bezug auf den Klimawandel. Was meinen Sie damit?
Es ist ein Muster, das sich bei vielen Klimawandel-Kritikern abspielt. Ich beobachte fünf Stufen, durch die diese Leute gehen. Wobei es auch solche gibt, die immer auf derselben Stufe stehen bleiben. Die erste Stufe ist Verneinung: Es gibt den Klimawandel gar nicht. Wenn das nicht funktioniert, sagen sie: Aber ich bin nicht schuld daran. Drittens: Es ist nicht so schlimm. Viertens: Aber andere Dinge sind doch wichtiger. Und fünftens: Es ist sowieso verloren. Das sind natürliche psychologische Prozesse, die auch in anderen Bereichen so ablaufen. Man spricht von kognitiver Dissonanz: Man sucht automatisch Gegenargumente gegen etwas, das von aussen kommt und nicht ins persönliche Weltbild passt.

Kaum eine Zeitung berichtet mehr über Sie als die «Weltwoche». Warum lassen Sie sich von Leuten porträtieren, die Ihre Sicht ablehnen?
Solange die Auseinandersetzung auf Augenhöhe stattfindet und es nicht nur persönliche Angriffe sind, habe ich nichts gegen eine kritische Berichterstattung. Schliesslich sollte auch die Leserschaft der «Weltwoche» einmal eine andere Meinung als die von Roger Köppel hören. Ob es etwas bringt oder nicht, weiss ich nicht. Aber man kann mir nicht vorwerfen, dass ich mich dieser Diskussion nicht stellen würde.

Das britische Fernsehen BBC hat einen mutigen Schritt gemacht: Es lässt Klimaleugner nicht mehr zu Wort kommen mit der Begründung, dass der Klimawandel Konsens der Mehrheit der Forscher ist.
Das ist nicht unvernünftig. Wenn der eine behauptet, es regne draussen, und der andere, die Sonne scheine, ist es nicht die Aufgabe des Journalisten, beide zu Wort kommen zu lassen. Sondern rauszugehen und nachzusehen, wie das Wetter wirklich ist. Es macht keinen Sinn, Leuten eine Plattform zu geben, die keine wissenschaftlichen Argumente haben, sondern ideologische oder politische. Wenn jemand ein gutes wissenschaftliches Argument hat, soll er zu Wort kommen, aber diese Leute sollen sich der gleichen Qualitätssicherung stellen, wie das der Rest der Wissenschaft auch tut. Und das passiert nicht im Feuilleton oder in der Kommentarspalte von Medien, sondern in Fachzeitschriften.

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