Wie fühlt sich Pouletfleisch an? Faserig und nicht gummig – das fällt den meisten Fleischesserinnen und -essern dazu ein. Genau das versuchen Pascal Bieri (34), sein Cousin Lukas Böni (30), Eric Stirnemann (30) und Christoph Jenny (34) von der Start-up-Firma Planted nachzubauen. Böni und Stirnemann sind ETH-Lebensmittelingenieure und die Tüftler hinter dem «Fleisch» aus vier pflanzlichen Zutaten: Gelberbsenprotein, Erbsenfasern, Sonnenblumenöl und Wasser. Ab dem 13. Januar 2020 ist das Fake-Fleisch in den Regalen von Coop zu finden.
Doch wie genau entsteht das Fleischersatz-Produkt? «Wir mischen, erhitzen und kneten Erbsenproteine und Wasser und kreieren so eine faserige Struktur, welche jener von tierischem Fleisch sehr nahe kommt. Und zwar von Poulet bis Rind. Das Ganze ohne Chemie, ohne Antibiotika, nachhaltig und tierfreundlich», sagt Lukas Böni gegenüber BLICK. Wie machen sie das? «Im Mixer passiert das Geheimnis», sagt Böni. «Wie exakt wir die Zutaten aufeinander abstimmen im Produktionsprozess, macht es aus, dass das Planted-Fleisch von der Konsistenz her wie Poulet wirkt», ergänzt Jenny. Wer es noch genauer wissen will, kann vom 13. Januar bis 9. März 2020 in der Hiltl Metzg vorbeischauen, wo die Gründer ihr Produkt vorstellen.
ETH glaubt ans Erbsenpoulet
Die vier Gründer verbindet mehr als nur das Geschäft: Bieri und Jenny kennen sich seit der Kantonsschule, Böni wiederum ist der Cousin von Bieri. Sie hätten erst über Werte gesprochen und viel geforscht und getüftelt am perfekten Produkt, bevor sie einen Businessplan erstellt hätten. Im März hätten sie richtig losgelegt und das Poulet an Foodfestivals getestet.
«Weil das Produkt gut ankam, haben wir im Juli Planted gegründet», spult Bieri die Firmengeschichte runter. Und im Oktober 2019 haben sie in ihrer ersten Finanzierungsrunde sieben Millionen Franken zusammenbekommen. Vom Vegi-Papst Rolf Hiltl, dem Denner-Erben Philippe Gaydoul und Stephan Schmidheiny. «Schmidheiny war so begeistert von Planted, dass er und seine Familie es auch gleich zu Hause gekocht haben», erzählt Christoph Jenny. Auch die ETH Foundation gab Geld in den Spin-off-Fonds. Sie unterstützt die Gründer damit zum zweiten Mal. «Ohne die 150’000-Franken-Fellowship, die Lukas von der ETH bekam, hätten wir nicht starten können», sagt Jenny.
51 Kilo Fleisch pro Schweizer
Eine Studie von Proviande (Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft) zeigt auf, dass 94 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer Fleisch essen. Laut der Branchenorganisation kauft seit 1999 jeder zwischen 49,4 und 51,9 Kilogramm Fleisch pro Jahr (2018 waren es 51 kg).
Ob sie schmecken oder nicht, die Fleischersatzprodukte werfen viele Fragen auf. Werden sie, wenn sie einmal im grossen Stil produziert werden, eine nachhaltige Alternative zu Fleisch bieten? «Was die Nachhaltigkeit angeht, so schaden die Fleischersatzprodukte der Umwelt deutlich weniger. Das ist für die neue Generation ein wichtiger Punkt», erklärt Christian Krames, Chef des Helvti Diner, dem «Gastro Journal». Er ist überzeugt, dass es sich um eine langfristige Bewegung handelt: «Es ist keine kurzlebige Mode, die in einigen Jahren wieder vorbei sein wird. Ganz im Gegenteil: Die Fleischersatzprodukte werden sich etablieren, denn wir können schlicht und einfach nicht mehr so viel Fleisch konsumieren wie heute.»
Restaurant-Gäste schätzen das Schweizer Produkt
Getestet haben die Planted-Gründer nicht nur im Labor, sondern nach den Foodfestivals auch in Restaurants. Der gelernte Koch Jarin Huber (35) verwendet es im Matt & Elly Brewerie in Basel. «Dass es ein Schweizer Produkt ist, schätzen unsere Gäste», sagt Huber. Und er selber schätzt an Planted, dass es vielseitig einsetzbar ist und wenig Eigengeschmack hat. «Es ist nicht dominant. Man kann es prima kombinieren – mit Salz ergibt sich eine tolle Kruste. Aber es braucht viel Hitze, sonst wird es mantschig.»
Aber für ihn ist klar: Die Geschmäcker sind verschieden. Und darum sieht das Restaurant-Konzept vor, dass es für alle etwas gibt und niemand ausgeschlossen wird. So bestellt man bei Huber das Protein bei jedem Essen separat dazu, also Fleisch, Fisch oder vegan, wie Planted.
Produktion an der ETH
Für Planted geht es in die nächste Runde: Ab dem 13. Januar ist das pflanzliche Poulet im Detailhandel erhältlich. «Wir werden mehr Leute brauchen», sagt Jenny. Stelleninserate hätten sie schon geschaltet. Aktuell sind 15 Personen fest angestellt. Zudem helfen einige Studentinnen und Studenten bei der Produktion. Momentan werden täglich bis zu 500 Kilogramm pro Tag an der ETH produziert. Dort wird es mittlerweile aber zu eng. Darum zieht Planted bald ins ehemalige Maggi-Areal in Kemptthal ZH um.
Die Produktion wird weiterhin eine Mischung aus «Hightech und Handarbeit» sein. Ihr «Poulet» soll aber ökologisch effizienter sein als echtes Pouletfleisch und später auch preislich interessanter. Momentan ist es etwas teurer als Freiland-Poulet, aber günstiger als Bio-Fleisch – und haltbarer. Gekühlt lässt es sich 20 Tage lagern. Und tiefgekühlt? Jenny lacht und meint: «Wir haben ja erst im Juni angefangen. Damals haben wir schon mal ein paar Portionen in den Tiefkühler gelegt. Um es mit Bestimmtheit zu sagen, brauchen wir mehr Zeit zum Testen.»
Kochen wie Mami
Die Idee für das Fake-Poulet entstand aus persönlichen Gründen. «Ich habe mich selber ein Jahr lang vegetarisch ernährt. Wenn ich bei jemandem zu Besuch war, hiess es oft: Ich mache dir einen Salat. Viele – auch Restaurants – hatten keine Idee, was sie kochen sollten», erzählt Jenny. Zudem habe ihm der Geschmack und «die Struktur» von Fleisch gefehlt. Mit dem pflanzlichen Poulet kann man weiterhin kochen wie gewohnt: rotes Curry, Fajitas oder Satay-Spiesse mit Poulet. «Die Esstraditionen bleiben so gleich in den Familien, denn die Rezepte müssen nicht geändert werden.»
Jenny ist überzeugt, dass wir in zehn Jahren nicht mehr von Fleisch oder eben Nicht-Fleisch sprechen, sondern von verschiedenen Proteinquellen. «Wir wollen eine ökologische Alternative zur Massentierhaltung bieten.» Missionieren würden sie nicht wollen: «Jeder muss für sich selber entscheiden und die Verantwortung übernehmen, wie viel Fleisch er oder sie essen möchte.»