In diesem Gym produzierst du dein eigenes Rapsöl
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Das etwas andere Fitnessstudio:In diesem Gym produzierst du dein eigenes Rapsöl

Eine Stunde Strampeln für fünf Kilo
In diesem Fitnessstudio macht man seine eigene Polenta

Wer im Fitness-Studio des «GmüesEsel» in Thörisau BE strampelt, rudert und radelt, verwandelt mit seiner Muskelkraft Maiskörner in Polenta, mahlt Hartweizen zu Griess und presst Rapssamen zu Öl. So funktioniert die umweltfreundliche Fitness-Alternative.
Publiziert: 09.02.2022 um 13:20 Uhr
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Aktualisiert: 10.02.2022 um 16:58 Uhr
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Es ist kein Fitnessstudio, wie man es sich vorstellt. In einem alten Lagerraum in der Gemeinde Thörishaus stehen zwei Velos, ein Rudergerät und ein Crosstrainer.
Foto: Stephanie Felder
Barbara Ehrensperger

Was für ein Krach! Deutlich strenger als auf dem normalen Hometrainer-Velo – das sind die ersten Gedanken, als ich in die Pedale des uralten Hometrainers in einem alten Lagerraum in Thörishaus BE trete.

Den Lärm verursachen die Maiskörner, die in der Mühle zu Polenta gemahlen werden. Die Mühle treibt man mit den Pedalen auf dem Hometrainer an. Trotz Anstrengung freue ich mich: Endlich wird mein Schwitzen in etwas Produktives verwandelt, freue ich mich.

«Es ist doch irgendwie komisch, dass normale Fitnessstudios Strom brauchen, obwohl da ja Energie hergestellt wird», findet Thomas Wieland (47), der das alternative Fitnessstudio unter dem Namen «GmüesEsel» betreibt.

Geräte aus dem Brocki

Es ist kein Fitnessstudio, wie man es sich vorstellt. In einem alten Lagerraum in der Gemeinde Thörishaus stehen zwei Velos, ein Rudergerät und ein Crosstrainer.

«Alle Fitnessgeräte habe ich aus dem Brocki oder sonstwo herbekommen», erzählt Wieland. Mit einem Kollegen zusammen hat er diese 2016 umgebaut. An jedes Gerät hat er eine Mühle oder eine Presse angeschlossen, die man beim Trainieren antreibt. So mahlt man Mais zu Polenta, Hartweizen zu Griess oder Rapssamen zu Öl.

Je nachdem wie fit man ist, sieht man das Öl schneller fliessen oder die gemahlene Polenta flotter in den Kessel rieseln. «Jemand, der gut trainiert ist, schafft in einer Stunde fünf Kilo», erklärt Wieland.

Kostenlos und man bekommt «Lohn»

Der Eintritt ins Gym ist kostenlos. Man trägt sich vorher in eine Liste mit verschiedenen Terminoptionen ein. Alle, die trainieren, dürfen einen Fünftel ihres Werkes mit nach Hause nehmen. Damit ist der «GmüesEsel» wohl das einzige Fitness-Studio, wo man mit einer leeren Flasche oder einem Behälter hin und danach mit Polenta, Griess oder Öl nach Hause geht. Die verbrannten Kalorien werden hier quasi umgewandelt.

«Mir geht es darum, mein Leben zu verändern», erzählt Wieland. «Dass man mit dem Velo-Anhänger sackweise Mais vom Hof hierherfahren kann oder mit dem Solar-Dörrgerät die Früchte dörrt». Der Gemüse-Esel verarbeitet rund eine Tonne Ware, die Wieland mit dem Velo herbringt. Alle Produkte stammen aus der Region.

Garage mit Umkleide

Er wolle nicht missionieren, erzählt Wieland, sondern seinem eigenen Gewissen und Erkenntnissen Raum geben und diesen folgen.

Das kommt an: Jedenfalls an diesem Mittwoch Nachmittag wird fleissig trainiert und damit gemahlen in der Garage, die dank einem Vorhang auch über eine improvisierte, aber funktionelle Umkleide verfügt.

«Nein, eine grosse Fitness-Kette will ich nicht aufbauen», erzählt Wieland lachend auf die Frage, warum es nicht mehr Gyms von ihm gibt. Aber es würde ihn freuen, wenn die Idee auch sonst wo Anklang findet.

Sinnhaftigkeit statt Lohn

Wieland lebt mit seiner Frau und zwei Kindern auf dem Gumme-Hof etwas weiter oben in der Gemeinde. Die im «GmüesEsel» gemahlenen Sachen verkauft er an Märkten oder in kleinen Geschäften. «Das passt so für mich bestens.»

Dadurch, dass er und seine Familie viel selber anbauen, reichen die Einkünfte mehr oder weniger aus zum Leben. «Da wir einen vergleichsweise einfachen Lebensstil – schweizweit gesehen, weltweit gesehen sind wir immer noch Luxus-Etage – pflegen, sind wir nicht auf ein hohes Salär angewiesen. Dies macht es uns möglich, etwas auszuprobieren und zu leben, das andere Werte als die Finanzen in den Vordergrund rücken», sagt er. «Aber kein Vergleich zum Lohn, den ich damals als gut bezahlter Elektro-Ingenieur verdient habe», sagt er schmunzelnd.

Dafür habe er heute mehr Sinnhaftigkeit bei seiner Tätigkeit, die ihm früher gefehlt habe. Man sieht Wieland die Freude an, seinem Leben «den Rank» in die für ihn richtige Richtung gegeben zu haben.

Die Freude scheint ansteckend zu sein: Alle, die hier trainieren, tun das mit Begeisterung und Freude. Eben ein etwas anderes Fitnessstudio.

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